Für Wildtiere ist im Winter Energiesparen oberstes Gebot, wenn sie die kalten Monate überleben wollen.
Die Temperaturen liegen seit Wochen unter dem Gefrierpunkt, Schnee bedeckt die Landschaft, die Nahrung ist knapp. „Ein Winter wie dieser ist für wildlebende Tiere eine grosse Herausforderung, eine Art Flaschenhals, durch den sie durch müssen“, sagt der Heinzenberger Wildhüter Hans Gartmann. Und trotzdem kämen gesunde Wildtiere in der Regel gut durch die kalte Jahreszeit, wenn sie nicht gestört werden. Die Natur habe nämlich jede Spezies mit einer eigenen Überlebensstrategie ausgestattet. Der Heinzenberg ist eine Region beim Piz Beverin in Mittelbünden.
Schneereiche Winter machen auch den Hirschen zu schaffen. Im Sinne einer natürlichen Selektion überleben vor allem gesunde und robuste Tiere.
Wer also überleben will, muss sich etwas einfallen lassen. So weichen Zugvögel dem Winter einfach aus, indem sie vor Schnee und Kälte in südliche Gefilde fliehen. Andere wildlebende Tiere wiederum verkriechen sich in frostsichere Höhlen oder ins Erdreich. So etwa die Mäuse, die wärmende Nestgemeinschaften bilden, oder die wechselwarmen Reptilien und Amphibien, die in Winterstarre verfallen.
Das Eichhörnchen ist zwar ein Winterruher, aber kein Winterschläfer. Es lebt in der kalten Jahreszeit vor allem von seinen Fettreserven und den in Futterlagern angelegten Vorräten.
Eine Besonderheit im Tierreich stellen die Winterschläfer wie Igel, Fledermaus oder Murmeltier dar. Um Energie zu sparen, werden die Stoffwechselvorgänge auf ein Minimum reduziert, und die Körpertemperatur sinkt mit der Aussentemperatur auf Werte ab, die nur wenige Grade über dem Nullpunkt liegen. Der Herzschlag der Schlafmützen verringert sich auf nur noch zwei bis drei Schläge pro Minute, die Atmung ist kaum mehr spürbar. Als einzige Energiereserve dient dabei der im Sommer und Herbst angefutterte Winterspeck. Neben den echten Winterschläfern gibt es auch noch die sogenannten Winterruher, die ebenfalls einen Teil der kalten Jahreszeit verschlafen, jedoch neben ihren Fettreserven auf im Herbst gesammelte Vorräte angewiesen sind. Zu ihnen gehört etwa das Eichhörnchen.
Gedächtnis- und Verwandlungskünstler
Ein fleissiger Vorratssammler ist auch der Tannenhäher – und zudem ein Gedächtnis-Genie. Der Vogel hackt mit seinem Schnabel Arvenzapfen auf und entfernt die nussartigen Samen. Gemäss Vogelwarte Sempach sollen es 30‘000 bis 100‘000 solche Arvenzäpfchen sein, die der gewiefte Alpenbewohner pro Jahr sammelt und im Boden an verschiedenen Stellen versteckt.
Der Tannenhäher, der sich hier zur Verhinderung des Wärmeverlustes aufplustert, ist ein Gedächtnis-Genie: Rund 80 Prozent seiner im Herbst versteckten Arvennüsse findet er im Winter unter der Schneedecke
Studien hätten gezeigt, dass der Schlaumeier im Winter auch unter einer bis zu einem Meter mächtigen Schneedecke rund 80 Prozent der Vorräte wiederfindet. Und wenn es dann trotzdem mal nicht klappen sollte, sind die vergessenen Samen für eine Verjüngung der Bergwälder besorgt.
Ruhen und Fressen sind auch die Hauptaktivitäten der Birk- und Schneehühner. Jede unnötige Anstrengung wird vermieden, die meiste Zeit verbringen sie in selbstgegrabenen Schneehöhlen. Ihre karge Nahrung setzt sich zur Hauptsache aus Trieben, Blättern und Knospen der Heidelbeer- und Alpenrosensträucher zusammen.
Eine weitere Form von Anpassung ist der Winterpelz vieler Alpentiere, der sie vor Nässe und Frost schützt. Hinzu kommt etwa beim Wiesel und beim Schneehasen eine winterliche Weissfärbung des Fells, die nicht nur der Tarnung dient, sondern auch die Wärmeabstrahlung vermindert. Da weisses Haar anstelle von Pigmenten Luft eingelagert hat, isoliert es besser gegen die Kälte.
Das Schneehuhn ist ein Überlebenskünstler und passt die Farbe seines Gefieders der Jahreszeit an, um sich vor Feinden zu schützen.
Das Schalenwild braucht vor allem Ruhe
Ähnlich wie die Zugvögel verhält sich auch das Schalenwild. Hirsche und Rehe steigen im Winter in tiefer gelegene, bewaldete Einstände ab, wo sie günstigere Verhältnisse antreffen. Steinböcke und Gämsen bevorzugen nach Südwesten exponierte Lagen mit vom Wind aper gefegten Flächen oder Steilhänge, an denen der Schnee abgerutscht ist.
Der Futterbedarf der Tiere geht stark zurück. Wie das Murmeltier zehrt auch das Schalenwild von Fettreserven, die es sich im Herbst angelegt hat. „Wenn die Tiere nicht gestört werden, bewegen sie sich nur wenig, denn dies zehrt an ihren Kräften“, sagt Hans Gartmann. „Bei der Flucht im Tiefschnee verbraucht das Wild rund 60mal mehr Energie, als dies beim Gehen der Fall ist. So besteht die Gefahr, dass die Tiere den unverhältnismässig grossen Energieaufwand nicht mehr wettmachen, was im schlimmsten Fall zum Erschöpfungstod führen kann.“
Wildtiere kommen gut durch den Winter, sofern sie gesund sind und nicht gestört werden (im Vordergrund Skispuren).
Das Schalenwild, aber auch andere Wildtiere wie Schnee-, Birk- oder Auerhühner brauchen also vor allem Ruhe. Daran sollte die Spaziergängerin ebenso denken wie der Skitourengänger oder die Schneeschuhläuferin. Es liegt auf der Hand, dass in diesem Winter coronabedingt mehr Leute als sonst in der Natur unterwegs sind, was grundsätzlich zu begrüssen ist. „Solange sich die Aktivitäten auf Pisten, Loipen und offizielle Skitouren- und Schneeschuhrouten beschränken, ist dies in der Regel auch kein Problem für Wildtiere“, so Hans Gartmann. Problematisch seien jedoch Waldabfahrten und Schneeschuhausflüge, die Wildeinstände tangieren. Im Wald sollten zudem Wege nicht verlassen und Hunde an der Leine geführt werden.
Die Natur schreibt ein Gesetz, dem sich die Tiere seit Urzeiten unterwerfen, und mit dem sich der Mensch nach wie vor schwertut: Es überlebt, wer mit seinen Energien und Ressourcen haushälterisch umzugehen weiss.
Fotos: © Pius Furger
Titelbild: Das Schneehuhn passt sein Gefieder der Umgebung an und wird daher praktisch unsichtbar.
Kampagne „Respektiere deine Grenzen“
Damit sich Schneesportlerinnen und Tourengänger abseits der Pisten naturverträglich verhalten und die Natur weiterhin konfliktfrei geniessen können, hat der Verein Natur & Freizeit mit Unterstützung des Bundesamtes für Umwelt die Kampagne „Respektiere deine Grenzen“ lanciert. Wildruhezonen und Wildschutzgebiete sind auf der interaktiven Karte auf respektiere-deine-grenzen eingezeichnet und zunehmend an Ort und Stelle signalisiert.-
Wildtiere nicht füttern: Im Kanton Graubünden ist das Füttern von Wildtieren gesetzlich verboten. Fütterungen dürfen nur in Ausnahmefällen, nur durch Fachleute und nur direkt in den Winterlebensräumen der Tiere stattfinden. Sie dienen einzig dem Zweck, die Tiere in harten Wintern in ihren natürlichen Lebensräumen zu halten. Alle anderen Fütterungen durch Menschenhand schaden den Tieren und können sie sogar töten. Weitere Infos unter stop-fuetterung.ch.