Vom Würfelzucker über die Teigknetmaschine bis zum Industrieroboter: Die Aargauer Industrie hat international Geschichte geschrieben. Die Ausstellung «Von Menschen und Maschinen» in Windisch trägt Erstaunliches zusammen und würdigt die Menschen, die dahinterstehen.
Wir können uns heute ein Leben ohne Waschmaschine, Föhn oder Staubsauger kaum mehr vorstellen, doch vor nicht allzu langer Zeit mussten die Menschen ohne diese Helfer auskommen. Maschinen gaben seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend den Takt an und die Elektrifizierung begann den Alltag zu beschleunigen. Die Digitalisierung der letzten Jahre zeigt, dass die Industriegeschichte in einem ständigen Wandel steht.
Schreibtisch des Fabrikherrn. Hier verschafft er sich den Überblick über den Lauf seiner Geschäfte, die Zigarre darf dabei nicht fehlen.
Der Aargau weist seit bald dreihundert Jahren eine vielseitige Industriegeschichte auf. Diese wird vom Museum Aargau auf drei Kapitel aufgeteilt, in der Halle von SBB Historic am Ende des Bahnareals in Brugg-Windisch. Die Ausstellung macht nicht nur die Maschinen, sondern auch das soziale Umfeld sichtbar. So lädt der Rundgang im ersten Teil dazu ein, die szenisch aufgebauten Lebenswelten der Fabrikherren sowie der Arbeiterfamilien zu besuchen.
Das vornehme Interieur gehört in den Aufgabenbereich der Dame des Hauses. Sie managt die Hausangestellten und organisiert Einladungen.
Grosse Fabriken sind auch im 19. Jahrhundert kapitalintensiv und risikoreich. Um erfolgreich und vermögend zu werden, braucht es neben innovativen Ideen gute Beziehungen und politische Stabilität. Die Grundwerte eines Patrons sind Fleiss, Eigenverantwortung, Bildung und Kultur, die dem Bürgertum entsprechen, im noch jungen Kanton Aargau auch liberale Ideen. Der Umgang mit den Arbeiterinnen und Arbeitern ist unterschiedlich, die einen beuten sie rücksichtslos aus, die andern kümmern sich um sie. Viele Fabrikherren sind vernetzt und in die frühe imperiale Globalisierung eingebunden, ihr Denken ist geprägt von eurozentrischen und rassistischen Vorstellungen der Kolonialzeit.
«Warenrassismus» ist ab dem späten 19. Jahrhundert mit Etiketten oder Plakaten Schwarzer Menschen verbreitet, besonders in der Tabakwerbung und bis heute mit dem umstrittenen Produktenamen «Mohrenkopf», der damals erfundenen Süssspeise.
Um 1900 leben die meisten Arbeiterfamilien in beengten Verhältnissen, lange Arbeitszeiten, stickige Fabriksäle und Hungerlöhne prägen den Alltag. Dennoch schafft die Industrie neue Erwerbsmöglichkeiten auch für ungelernte Männer, Frauen und Kinder. Informationstafeln orientieren über die Einkünfte und die Lebenshaltungskosten damals. Über Hörstationen kann man den Erzählungen fiktiver Personen wie der zwölfjährigen Fabrikarbeiterin Luise Bähler oder eines Fabrikherrn zuhören.
Arbeiterfamilien leben meistens in den von Fabrikanten erbauten mehrstöckigen Kosthäusern, oft belegen mehrere Familien eine Wohnung.
Die Arbeitenden müssen sich dem Fabrikherrn völlig unterordnen, ansonsten gibt es Geldbussen, körperliche Züchtigung oder sofortige Entlassung. Die Stechuhr gibt den Arbeitstakt vor. Kinder gelten als kleine Erwachsene und die Familie zählt auf ihr Arbeitseinkommen. Am Arbeitsplatz erleiden sie oft körperliche und geistige Schäden. Zusätzlich leisten die Familien als Working Poor noch Heimarbeit. Erst das eidgenössische Fabrikgesetz von 1877 begrenzt die Arbeitszeit von Montag bis Samstag auf elf Stunden, Nacht- und Sonntagsarbeit werden verboten. Zudem schreibt es für Fabrikarbeit ein Mindestalter von vierzehn Jahren vor.
Arbeiter und Arbeiterinnen setzen sich bereits im 19. Jahrhundert mittels Streiks für bessere Arbeitsbedingungen ein.
Das zweite Kapitel ist den Produkten gewidmet. Im «Spiegelsaal der Objekte» spiegeln sich hundertfünfzig ausgewählte Gebrauchsobjekte scheinbar bis in die Unendlichkeit, begleitet von Klängen des Soundcollectors und Filmmusikers Mario Marchisella. Es sind Kreationen von Aargauer Erfindern, die ihre genialen Ideen nicht nur umgesetzt, sondern auch erfolgreich auf den Markt gebracht haben. Viele Produkte und Hersteller sind bis heute bekannt.
Die Zuckermühle Rupperswil beliefert seit 1906 bis heute die gesamte Schweiz mit Zucker in verschiedenster Form.
Wer kennt nicht den Recycling Zeitungssammler von Willi Gläser von 1983, den er über seine Firma Wogg in Baden verkaufte; das Nachahmerprodukt ist heute bei IKEA billig zu haben. Strombetriebene Zahnbürsten kamen bereits im 19. Jahrhundert auf, doch gelang der Durchbruch erst mit der Weiterentwicklung des «Broxodent», der als weltweit erste elektrische Zahnbürste 1956 von der Bürstenfabrik Walther AG in Oberentfelden hergestellt wurde. Die «Bürsti» geht auf eine Bürstenbinderei von 1886 zurück, beschäftigte in den 1940er Jahren über dreihundert Mitarbeitende und befindet sich heute mit einer Nachfolgefirma immer noch am gleichen Standort.
Die Knetmaschine «Artofex» war über Jahrzehnte aus Bäckereien, Konditoreien und Grossküchen international nicht wegzudenken. Der Maschinenmechaniker Friedrich Aeschbach (1856-1936) hatte seine 1888 in Aarau gegründete Werkstatt 1916 erweitert und exportierte seine Teigknet- und Backmaschinen nach Frankreich, Italien und Grossbritannien.
Es wären noch viele Labels, Produkte und Firmen zu nennen, etwa: «Schöner Wohnen» von Woodtly & Cie., gegründet 1919 in Aarau; die Rückenspritze gegen Rebläuse von der Firma Birchmeier, die auf ein Pfannen- und Blechwaren-Geschäft von 1876 zurückgeht; BrownBoveri, 1891 in Baden gegründet, heute als ABB mit Sitz in Schweden und Zürich aktiv; Kummler & Matter, Wegbereiter der Elektrifizierung der Schweiz, gegründet 1892 in Aarau, mit heutigem Sitz in Dällikon/ZH.
Der letzte Teil der Ausstellung widmet sich zukunftsgerichteter Technologie und präsentiert einen Industrieroboterarm. Der kollaborative Cobot arbeitet gemeinsam mit dem Menschen und nimmt ihm einzelne Prozesse im industriellen Herstellungsverfahren ab. Die von drei dänischen Studenten 2005 gegründete Firma Universal Robots gilt als Pionierin der Entwicklung und Produktion von Leichtbaurobotern, vertreten in der Schweiz durch die Firma Bachmann Engineering in Zofingen, die Anlagen im Bereich Automation und Robotik entwickelt.
Fragen und Gedanken zu Künstlicher Intelligenz sowie zukünftiger Arbeit werden auf Tafeln an der Wand aufgeworfen.
Das Forum bietet an runden Tischen die Möglichkeit zur Reflexion und zum Gespräch, ein Fragenkatalog liegt auf. An den Wänden unterstützen Inputs die Diskussion und eine Zeitschiene hilft bei der Orientierung durch die Industriegeschichte. Die überlebensgrosse Bronzeskulptur «Stehender (Grosser Arbeiter)» 1954-1965 des Bildhauers Hans Josephsohn (1920-2012) erinnert daran, dass hinter jeder Maschine stets der Mensch steht.
Titelbild: Stechuhr
Alle Bilder: rv
Bis 31. Oktober 2021
«Von Menschen und Maschinen», Ausstellung des Museum Aargau im Gebäude des SBB Historic in Windisch, mit Ticketreservation, mehr s. hier
Dazu die Publikation: Manuel Cecilia, Hrsg. Museum Aargau, F. Aeschbach AG, Aargauer Industriegeschichten Band 1, NZZ Libro Verlag, 2021, ISBN 978-3-907291-39-9