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Linien, Formen und Farben

Welches sind die Quellen, mit denen sich Paul Klee in seinem Schaffen auseinandergesetzt hat? Paul Klee. Ich will nichts wissen, die grosse Ausstellung im Berner Zentrum Paul Klee, setzt sich mit den Ursprüngen von Klees Kunst auseinander.

Über den Titel der Ausstellung sollten wir uns nicht wundern. Er ist einem Tagebucheintrag des Künstlers aus dem Jahre 1902 entnommen, in dem es etwas ausführlicher heisst: «Wie neugeboren will ich sein, nichts wissen von Europa. Keine Dichter kennen, fast Ursprung.» Damit ist Klee nicht allein. Die Maler des Blauen Reiter, die den jungen Klee in ihren kleinen Kreis aufgenommen hatten, dann die Surrealisten, die Dadaisten, die Expressionisten suchten neue, unverstellte Aspekte als Ausgangspunkte für ihre Werke. Dazu gehörten nicht nur Kinderzeichnungen oder Werke aussereuropäischer und prähistorischer Kunst, sondern auch art brut-Werke, die in psychiatrischen Kliniken entstanden waren. – Im Zentrum Paul Klee wird ja gleichzeitig eine grosse Ausstellung mit Werken von Adolf Wölfli gezeigt. Peter Schibli hat darüber berichtet.

Die Werke von Klee sind nach diesen Kriterien ausgewählt und in einen biografischen bzw. thematischen Zusammenhang gestellt: Kinderzeichnungen, seine eigenen und die seines Sohnes Felix; Eindrücke aus seinen eigenen Reisen nach Tunesien und Ägypten; Figuren aus Afrika oder Geschenke des Ehepaars Nolde aus dem Südseeraum; dazu Abbildungen und Texte aus Büchern und Zeitschriften, die im Archiv gesammelt sind.

Paul Klee, N****blick, 1933 (Nr. 462), Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 49,5×37 cm, Zentrum Paul Klee, Bern

Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Klees Werke in den ersten vierzig Jahren des letzten Jahrhunderts entstanden sind. Wenn Klee oder seine Freunde sich mit Kunstwerken aus Afrika beschäftigten, lagen ihnen rassistisch-kolonialistischen Gesichtspunkte komplett fern.

Sie waren fasziniert vom Fremdartigen, dem «Anderen», von der reduzierten Formensprache, die vielen vorbildhaft erschien. Das «Primitive» galt als das Ursprüngliche, und das erkannten sie auch in Zeichnungen von Kindern oder psychisch kranken Menschen, denen sie – aus Unwissen – mangelnde Urteilskraft zusprachen.

Über die Art, wie Kinder malen, schreibt Paul Klee 1912 in einem Artikel: «Je hilfloser diese Kinder sind, desto lehrreichere Kunst bieten sie. Parallele Erscheinungen sind die Zeichnungen Geisteskranker, es ist also auch Verrücktheit kein treffendes Schimpfwort. Alles das ist in Wahrheit viel ernster zu nehmen, wenn es gilt, die heutige Kunst zu reformieren.» Klee wollte sich an den Uranfängen der Kunst orientieren, «um nicht einfach zu altertümeln». – Vor 109 Jahren eine durchaus revolutionäre Aussage.

Paul Klee, Sie brüllt, wir spielen, 1928 (Nr. 70), Ölfarbe auf Leinwand, originale Rahmenleisten, 43,5×56,5 cm, Zentrum Paul Klee, Bern

Die Ausstellung bietet reiches Material, um Klees Kunstverständnis und das seiner Freunde zu dokumentieren, weist jedoch gleichzeitig darauf hin, wie weit sich der Diskurs seitdem davon entfernt hat. Dass die Zeichnungen aus der eigenen Kindheit ihm einen Weg weisen konnten, in welche Richtung er seine Kunst entwickeln sollte, wurde Klee schon früh bewusst, nämlich nachdem er 1902 von seinem Studium in München enttäuscht nach Bern zurückkehrte. Damals begann er, diese Blätter zu sammeln und fügte ihnen später diejenigen seines Sohnes Felix hinzu. – Die Linie als Formelement gehörte lebenslang zu seinem persönlichen Stil. – Erst 1923 allerdings stellte er mit seinen Werken auch ein paar eigene Kinderzeichnungen aus. Bei seinen avantgardistischen Kollegen erhielt er dafür Beifall, während ihn Vertreter der akademischen Kunst kritisierten.

Paul Klee, Paul und Fritz, 1905 (Nr. 19), Hinterglasmalerei, Aquarell, rekonstruierter Rahmen, 13×18 cm. Zentrum Paul Klee, Bern

Auch aus dieser Abneigung gegenüber den etablierten Kunstakademien lässt sich das Titelzitat erklären: «Ich will nichts wissen.»  Selbstverständlich forschte Klee in alle Richtungen, wie er seine Kunst weiterentwickeln könnte, aber nicht als akademischer Künstler, sondern in einer unmittelbaren Art, sich in eigener Anschauung und Interpretation mit Werken der «Weltkunst» auseinanderzusetzen. – Dieser Begriff kam wohl Ende der 1920er Jahre erst ins Gespräch. – Dass wir uns heute gegen den Begriff «primitive Kunst» wehren, gehört nicht in Klees Epoche, sondern in unsere Gegenwart. Für Klee und die Avantgarde galt die prähistorische Kunst als hochgeschätzte Anregung.

Paul Klee, Brandmaske, 1939 (Nr. 274), Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier auf Karton, 20,9×29,7 cm Zentrum Paul Klee, Bern, Schenkung Livia Klee

Noch einmal ein Zitat: » Es wird manchmal nicht ernst genug genommen, dass sich uns Welten geöffnet haben, die auch der Natur zugehören, aber in die nicht alle Menschen hineinblicken, vielleicht wirklich nur die Kinder, die Verrückten, die Primitiven . . .»

Neue Horizonte öffnen sich Klee und seinen Freunden auch auf ihrer Reise nach Tunesien. Dort entdeckt Klee die Farben für sich, seine Bilder wirken lebendig wie nie zuvor. In der Ausstellung sind ein paar Ansichten von Kairouan nebeneinander gehängt. Daraus wird deutlich, wie jeder der Freunde, neben Klee August Macke und Louis Moilliet, auf seine individuelle Art die tunesische Welt wahrnimmt und zu Papier bringt. Später, 1929, unternimmt der inzwischen als Künstler gereifte Klee allein eine Reise nach Ägypten. Wiederum fasziniert ihn neben den historischen Zeugnissen das orientalische Flair, so dass er nur widerwillig zurückkehrt.

Paul Klee, Verrückung, 1939 (Nr. 805), Kleisterfarbe auf Papier auf Karton, 26,9×21,4 cm. Zentrum Paul Klee, Schenkung Livia Klee.

Wer wie ich in Bern lebt, besucht das Museum Paul Klee immer wieder – und doch bin ich jedes Mal wieder überrascht, welche neuen Zusammenhänge sich eröffnen, wenn die Werke unter einer anderen Themenstellung präsentiert werden. Das gilt gerade für die Linie, die Klee gegen Ende seines Lebens als dicken Strich führt, bedingt durch seine Krankheit, die ihm nebst Schmerzen auch immer grössere Einschränkungen seiner Beweglichkeit brachte. Doch sind gerade diese einfachen Formen von grosser Ausdruckskraft. Das gilt auch für die Darstellung von Gesichtern, oft von Masken, ein Sujet, mit dem er sich seit Jugend befasst. Auch hier kommt Klee mit einfachen Mitteln aus – nicht selten findet sich etwas Groteskes im Ausdruck.

Paul Klee. Ich will nichts wissen. Zentrum Paul Klee Bern, bis zum 5. September 2021 geöffnet.

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