Alle gegen alle!

1956 verfasste Friedrich Dürrenmatt den Essay „Vom Sinn der Dichtung in dieser Zeit“. Der Text zeigt so verblüffende, aktuelle Parallelen, dass es sich lohnt, sich ihrer zu erinnern.

Die Welt scheint aus den Fugen – nicht erst seit heute, aber unsere orientierungslos gewordenen Zeit offenbart derart krasse Gegensätze und Differenzen, dass die Fragen nach den Ursachen nicht nur nach konkreten, sondern auch nach philosophischen Antworten trachten sollten. Dürrenmatt (Zitate FD) kann unsere Denkansätze auf überraschende Weise vertiefen und vielleicht Erkenntnisse fördern, die hoffentlich etwas mehr Gelassenheit zeitigen.

 Friedrich Dürrenmatt: Denken, Schreiben und Zeichnen gingen bei ihm immer Hand in Hand

FD: „Der Mensch versteht nicht, was gespielt wird, er kommt sich als ein Spielball der Mächte vor. Er spürt, dass ein Weltbild errichtet wurde, dass nur noch dem Wissenschaftler verständlich ist, und er fällt den Massenartikeln von gängigen Weltanschauungen und Weltbildern zum Opfer, die auf den Markt geworfen werden und an jeder Strassenecke zu haben sind.“    

Wohlfeil dem Meistbietenden, möchte man beifügen. Die ausufernde Genderdebatte ist so ein Beispiel. Statt Besonnenheit im Anliegen, geschlechtsneutral zu schreiben, wird um Sternchen, Binnen-I, Gender-Gap oder Doppelpunkte gerungen, bis die emanzipatorischen Fetzen fliegen. Die Sonntagszeitung wollte es genauer wissen und befragte Autorinnen und Autoren: «Können Sie sich vorstellen, das Sternchen zu verwenden, um Inklusion in Ihren Texten zu schaffen?»

Franz Hohler: «Das Gendersternchen ist literarisch unbrauchbar. Menschen, die ich beschreibe, sind ja entweder männlich oder weiblich. Und auch für Kollektive ist der Inklusionszwang ein Poesie-Killer.»

Simone Lappert: «Das Gendersternchen hat seit längerem schon einen festen Platz in meiner schriftlichen Kommunikation. Es gibt für mich keinen vernünftigen Grund, eine inkludierende Schreibweise zu verweigern.

Peter von Matt: «Nein.»

Anna Stern: «Während ich total pro Inklusion bin, sehe ich in meinen literarischen Texten für das Gendersternchen momentan keinen Platz bzw. keinen Bedarf.“

Thomas Hürlimann: «Ich liebe die deutsche Sprache und finde diese Gendereien zum Kotzen. Nie würde ich so ein Sternchen verwenden, auch lese ich keine Texte, die mich mit diesem Unsinn belästigen.»

Tabea Steiner: «Das Thema Geschlechtergerechtigkeit beschäftigt mich sehr. Sprachliche Zeichen wie den Genderstern habe ich bisher in literarischen Texten nicht angewendet – aber nicht, weil ich es mir nicht vorstellen kann. Mir ist es wichtig, den Figuren gerecht zu werden.“

Immerhin, die Bundeskanzlei sagt nein zum Genderstern. Sie untersagt dessen Verwendung in der eidgenössischen Verwaltung. Die Reaktionen sind geteilt. 

FD: „Die Welt, in der wir leben, ist nicht so sehr in eine Krise der Erkenntnis gekommen, sondern in eine Krise der Verwirklichung ihrer Erkenntnisse.“

Die Erkenntnis, dass dringend etwas gegen die Klimaerwärmung getan werden muss, wird in breiten Bevölkerungskreisen zwar geteilt. Trotzdem ist das CO2-Gesetz ausgerechnet von der jüngeren Generation zwischen 18 und 34 mit 58 Prozent abgelehnt worden. Die Begründungen waren so egoistisch wie fadenscheinig: Ein paar Rappen mehr für das Benzin bezahlen zu müssen oder nicht mehr so billig fliegen zu können, waren allein schon Argumente genug, nein zu stimmen. Was zu tun wäre, um viele Probleme unserer Zeit zu lösen, wird mehrheitlich bejaht, aber einen eigenen Beitrag zu leisten, der mit etwas Verzicht verbunden ist, geht dann doch zu weit.

Die Bewegung ‹Fridays for Future›, die mehrheitlich von Jugendlichen initiiert wurde, um Klimaschutz-Massnahmen möglichst effizient und umfassend umzusetzen, nötigte erst einmal Respekt ab. Wenn die Demos nun aber immer mehr dazu dienen, die Hauptachsen der Städte – ja, auch den öV – im Abendverkehr lahmzulegen, dann vergraulen sie auch jene Sympathisanten, die ihnen eigentlich wohl gesinnt sind.

Und dass ein umweltverträgliches Velonetz in den Agglomerationen dringend ausgebaut und als alternativer Verkehrsträger zu fördern ist, haben wohl auch die Autofahrer, wenn auch zähneknirschend, begriffen. Wie sinnvoll es allerdings ist, immer am letzten Freitag des Monats ganze Verkehrsachsen wie die Zürcher Hardbrücke mit tausenden von Velos zu blockieren und jetzt auch noch einen autofreien Freitagabend zu fordern, ist eine Provokation, welche Befürworter und Gegner mehr als nötig spalten. Eigentlich schaffen wir es nur gemeinsam, die Herausforderungen der Zeit zu meistern. Überlassen wir ‚Alle gegen alle‘ als Völkerball dem Schulsport. In unserem demokratischen Land, das insgesamt erfolgreich auf Konsens baut, sind radikale Forderungen fehl am Platz. Dazu müssten sich auch Alternative, Autonome und Provokateure aller Schattierungen bekennen.    

FD: Alles Kollektive wird wachsen, aber seine geistige Bedeutung einschrumpfen. Wir sind nie ‚im Bilde‘ über diese Welt, wenn wir uns über sie kein Bild machen. Im Denken manifestiert sich die Kausalität hinter allen Dingen, im Sehen die Freiheit hinter allen Dingen.“

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1 Kommentar

  1. Danke Herr Auchter – Ihr(e)Text(e/Gedankengänge) tut mir in der Seele wohl! Die Jugend enttäuscht sehr. Alles prägt nur Geld und Ich. Hat die Vorgänger-Generation sie so ins Erwaschenenleben geleitet? (Coop-Slogan: für mich und dich) Dass nicht ICH sondern WIR die Welt in der wir leben, gestalten, scheint in den meisten Köpfen keinen Platz zu finden. Und die Wahrheit heisst: Man/frau muss sich bewegen, wir müssen gehen, handeln, HANDELN. (Elenora Duse um 1900). Dichter- und Journalisten-Innen sollten aktiv werden: Schreiben und Publizieren ist gut, aber nur die Hälfte der Angelegenheit. Über FD-Texte z.B. sollten Fernsehsendungen erstellt und diese um 20 Uhr ausgestrahlt werden. (Anstelle Doku Frisur und Aussagen von Fussballern in den Nachrichten (!)_für wie blöd halten die FS-Leute eigntlich ihr Publikum?) Die Gedanken sind der Anfang von Taten. Im Guten wie im Schlechten. Was denken sich die Berichterstatter-(Innen?) wenn sie bei der Information über Jugendagressionen mehrmals ein blankes Messer im Bild aufblitzen lassen? Man/frau bedenke: Alles was wir sähen, ernten wir auch. Früher oder später.

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