Erinnerungen

Warum mich plötzlich der Gedanke an meinen Primarlehrer der vierten bis sechsten Klasse im Lettenschulhaus in Zürich so beschäftigt, weiss ich nicht genau. Seither sind doch einige Jahrzehnte vergangen. Ich glaube, die Ursache liegt beim Schriftsteller Lukas Bärfuss. Ihn hörte ich vor wenigen Tagen in der Peterskapelle in Luzern in der Reihe «Die Predigt». Im Verlaufe seiner Ausführungen zog er Zettel mit einem Text darauf aus der Tasche, die er an die rund vierzig anwesenden Personen verteilte. Und dann forderte er uns auf, gemeinsam diesen Text zu lesen.

Die Anfangszeile lautet: «Domodossola höre ich dich sagen…..» Und immer wieder sollten wir den Text laut zusammen wiederholen. Ich weiss nicht, ob das ein neuer Gag ist, der unter der Überschrift: «Einbezug des Publikums» läuft. Das tut ja auch nichts zur Sache.

Kostbar ist für mich, dass Erinnerungen an meine Primarschulzeit wieder hochstiegen. An den Sprachunterricht. An die Behutsamkeit, mit der unser Lehrer uns mit der deutschen Sprache vertraut machte. An die Art, wie er mit uns Gedichte las. Nie geschah das im Klassenverband. Das verpönte er und sprach es auch aus. Er wollte, dass wir als einzelne einen Text lasen und herausspürten, was uns der Autor sagen wollte. Deshalb las er uns auch nie ein Gedicht vor.

Unvergessen blieb mir über alle die Jahre hindurch «Das weisse Spitzchen» von Conrad Ferdinand Meyer. Jemand durfte vorlesen. Der Rest der Klasse gab seine Meinung ab, wie gut die Interpretation geglückt sei. Ich weiss noch, wie vielfältig die Meinungen darüber waren, wie das Locken und Rufen des weissen Spitzchens mit dem Einsatz der eigenen Stimme glaubhaft dargestellt werden könne.

Wir waren eine gemischte Klasse, Buben und Mädchen. Manchmal wurde dasselbe Gedicht von einem Buben und von einem Mädchen vorgelesen. Es blieb uns dann als «Publikum» überlassen, Unterschiede zu benennen. Und was fanden wir heraus? Dass es auf die einzelnen ankam, ob sie eine Beziehung zu einem Gedicht aufbauen und diese präsentieren konnten. Das individuelle Talent spielte eine Rolle, nicht das Geschlecht!

«Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir», das erkenne ich im Rückblick als Motto meiner Primarschulzeit. Wir hatten, immer in der Stufe der vierten bis sechsten Klasse, bereits ein Mitspracherecht in der Klassengestaltung. In einem Wunschbriefkasten konnten wir unsere Anliegen deponieren. Diese wurden dann diskutiert und häufig durch Abstimmungen entschieden.

Damals lernte ich, dass ich gut daran tat, für einen Vorschlag Verbündete in der Klasse zu suchen. Mit Überzeugungskraft konnte ich etwa eine Mehrheit hinter mich scharen, die meine Idee einer Briefmarkenbörse während der grossen Pause unterstützte. Dass diese «Börse» zustande kam, das Interesse daran aber sehr bald wieder verschwand, war dann eine weitere, eher ernüchternde Erfahrung.

Vor der Schulreise brachten wir Teller und Besteck in die Schule und übten uns im korrekten Essen. Denn wir würden in einem Restaurant einkehren und eine Suppe bestellen dürfen. Was für ein Ereignis! Wir lernten, wie sich Personen vorstellen und wer wem das Du anträgt. Spielerisch wurden wir in «Grundtechniken» für das Leben eingeführt.

Aber wann fanden wir dafür im Stundenplan die Zeit? Könnte es sein, dass es ein Fach gab, das sich «Biblische Geschichte und Sittenlehre» nannte? Unser Lehrer erklärte uns offen, dass er dafür nicht ausgebildet sei und deshalb diesen Stoff nicht vermittle. Soweit ich mich erinnere, trauerte niemand diesen Inhalten nach.

Am Schluss der gemeinsamen Schulzeit gab uns unser Lehrer ein Abschiedswort mit auf den Weg, das mich heute noch berührt. Auch dieses konnte ich in meiner Erinnerung wieder lebendig machen. Es lautete: «Von Herzen hab ich euch gegeben, / zu Herzen ging mir euer Streben, / das Geben ward so zum Empfangen, / beschenkt sind beide wir gegangen!»

Ein grosser Dank gebührt auch heute noch meinem ehemaligen Lehrer für alles, was er uns auf den Lebensweg mitgab. Ein Dank gebührt aber auch Lukas Bärfuss, der mit der unkonventionellen Art seines Vortrages bei mir an versunkene Erlebnisse rührte!

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