StartseiteMagazinKulturDie Faszination des menschlichen Antlitzes

Die Faszination des menschlichen Antlitzes

Welcher Künstler hat sich nicht damit beschäftigt, sich selbst oder andere Menschen zu porträtieren. Das Musée Jenisch in Vevey zeigt unter dem Titel «Portrait, Autoportrait» Bilder und Studien von Künstlern wie Kokoschka, Tiepolo, Valloton, Warhol und vielen bekannten oder unbekannten Künstlern.

Das zweitgrösste Museum im Waadtland zeigt immer wieder beachtenswerte Ausstellungen, in denen Werke aus eigenen Beständen und Leihgaben sich ergänzen. Die gegenwärtige Ausstellung Portrait, Autoportrait wurde kuratiert von Frédéric Pajak, dem Preisträger des diesjährigen Grand Prix der Schweizer Literatur.

So intensiv sich Künstler und Künstlerinnen mit der Darstellung des Menschen beschäftigen, so zahlreich und unterschiedlich sind ihre Porträts bzw. Selbstporträts. Kunstschaffende – und nicht nur sie – beginnen schon in der Ausbildung, sich mit der Darstellung des (eigenen) Kopfes auseinanderzusetzen. Für manche wird daraus ein lebenslanges Projekt, es gibt immer wieder neue Zugänge.

Rembrandt (Leyden 1606–1669 Amsterdam), Tête d’homme avec bonnet coupé, 1630, eau-forte sur papier vergé, 42 × 42 mm (image et support), Musée Jenisch Vevey – Cabinet cantonal des estampes, Collection du Musée Alexis Forel, MAF-0067 photographe: David Quattrocch

Wenn Rembrandt sich selbst zeichnet, erforscht er seine Physiognomie ebenso wie den Ausdruck seines Gesichts, neugierig, vielleicht kritisch. – Von diesem Meister kennen wir besonders viele Selbstporträts, er hat sich wohl mit voller Absicht immer wieder in verschiedensten Lebenslagen gemalt. Wie auch in seinen grossen – berühmten – Gemälden schönt sich der Künstler nicht, er schaut hier forschend, mit wirrem Haar, schert sich nicht um Konventionen. Sehr ausdruckvoll schaut er uns an. Wer möchte diesem Menschen nicht einmal begegnen?

Im Musée Jenisch hat Frédéric Pajak vor allem Zeichnungen und wenige Gemälde und Bilder grösseren Formats zusammengestellt, aus zwei Gründen: Das Museum hat sich vor allem auf die Sammlung von Kunst und Grafik auf Papier spezialisiert, d.h. auf meist kleinere Formate. Das bedeutet ausserdem, dass die Kunstwerke oft als «vorläufig» gedacht waren, als Studien für ein folgendes grosses Gemälde. Gerade das Provisorische hat einen besonderen Reiz: Der Künstler versucht mit seinem Stift, das Charakteristische einer Person herauszuarbeiten. Sein Blick, seine Suche nach dem, was sich hinter dem Gesicht verbirgt, führt den Zeichenstift. – Jedes Porträt ist auch eine Begegnung zwischen Zeichnendem und Gezeichnetem. Lebenssituationen wirken ebenfalls auf die Darstellung: Sei es festzuhalten, wie ein Kind aufwächst, seien es Momente des Glücks, von Leiden oder des Todes gar, es ist ein besonderer Zeitpunkt, wenn ein Porträt entsteht.

Louis Soutter (Morges 1871-1942 Ballaigues), Masques, avant 1942. Encre sur papier peint crème, 438 x 580 mm Musée d’art et d’histoire, Ville de Genève. © Musées d’art et d’histoire, Ville de Genève / photographe: Bettina Jacot-Descombes

Was wir von Rembrandt wissen, gilt auch für viele andere Künstler. Sie erforschen ein Gesicht oder ihr eigenes, um ihr Wesen, die Facetten ihres Inneren darzustellen. Beliebt sind auch Verkleidungen, Masken, das Ausprobieren einer Rolle. Auch solche finden wir in Pajaks Auswahl. So das Bild Masques von Louis Soutter, der mit minimalistischen Formen Vieldeutiges, Fantastisches und Surreales zum Ausdruck bringt. – Nicht nur in diesem Werk verbirgt sich das Eigentliche hinter den dicken Tintenstrichen.

Ein Portrait kann auch der Erinnerung, dem Gedenken dienen. In der Ausstellung ist eine der Zeichnungen zu sehen, die Ferdinand Hodler schuf, als Valentine Godé-Darel im Sterben lag. Friedrich Dürrenmatt und Varlin, die beiden Freunde, hatten sich versprochen, vom anderen die letzte Zeichnung anzufertigen. Varlin starb als erster. Also kam Dürrenmatt die Aufgabe zu, seinen Freund im Totenbett zu zeichnen. Es ist ein bewegendes und bewegtes Bild geworden. In schlichten Linien liegt Varlins Profil eingebettet in ein Gebirge von Bettdecken, deren Silhouette wiederum wie ein Profil wirkt – ist der Maler vielleicht schon von Wesen umgeben, die ihn aus dem Tode in eine andere Welt begleiten?

Friedrich Dürrenmatt, Le peintre sur son lit de mort, charbon sur papier, Collection Centre Dürrenmatt Neuchâtel (Foto mp)

Besucherinnen und Besucher sollten sich Zeit nehmen für die über 200 Ausstellungsobjekte, von denen gut die Hälfte aus den eigenen Beständen des Museums kommt. Ausgestellt sind Werke von 106 Künstler, darunter von wenigen Künstlerinnen, die aus den letzten vier Jahrhunderten stammen, abgesehen von einer schönen ägyptischen Stele aus der Antike.

Mix & Remix (Philippe Becquelin) (Saint-Maurice 1958–2016 Lausanne), Autoportrait, 2016, pinceau-feutre sur papier, 297 × 210 mm Collection particulière © Droits réservés

Zwei Punkte, zwei Striche, Augen, Nase und Mund, derart reduziert Mix & Remix sein Selbstporträt. Es gehört zu seinen letzten Zeichnungen, als seine Krankheit, die 2016 zu seinem Tode führte, ihn schon im Griff hatte.

Hier reizt der Zeichner und Graphiker den Minimalismus bis zum Äussersten aus. Was von seinem Gesicht bleibt, ist nicht mehr als das Lebensnotwendigste: Augen, Nase, Mund. Wenn Kinder beginnen zu zeichnen, können ähnliche Bilder entstehen. Auf die Konvergenz des Lebens an seinem Anfang und seinem Ende spielt der Künstler wohl an.

Käthe Kollwitz, Drei Köpfe 1925, musée Jenisch Vevey (Foto mp)

Käthe Kollwitz hat ihr Leben lang Menschen dargestellt, ihre Kinder, Erwachsene aus ihrem Umfeld. Sie begann ja zu zeichnen, um den Verlust eines ihrer Söhne im Ersten Weltkrieg aushalten zu können. Aus jeder ihrer Zeichnung spricht ihre Liebe und Mitgefühl und, daraus folgend, ihre unabänderliche Ablehnung des Krieges.

1897 wurde der hübsche Museumsbau eröffnet, finanziert vom Legat Madame Fanny Jenisch, der Witwe eines Hamburger Senators, die sich mit grosszügigen 200`000 Goldfranken für die angenehmen Ferienaufenthalte in Vevey bedankte, die sie mit ihrem Ehemann dort verbracht hatte. Der neoklassizistische Bau steht heute unter Denkmalschutz. Senator Martin Johann Jenisch hatte zuvor schon in seiner Heimatstadt ein Museum gegründet.

Die Ausstellung «Portrait Autoportrait» im Museum Jenisch, Vevey ist noch bis 5. September zu sehen.

Zur Ausstellung ist ein umfangreiches Begleitbuch mit Texten von Frédéric Pajak erschienen.

Titelbild:  Eugène Carrière (Gournay 1849-1906 Paris), Petit garçon assis à une table, de profil gauche [recto], vers 1883-1884, Pinceau, aquarelle et crayon au graphite sur papier, 95 × 137 mm © Musée Jenisch Vevey / photographe : Julien Gremaud

Potraits faszinieren: Hier eine weitere Ausstellung in der Innerschweiz: Von Angesicht zu Angesicht

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