StartseiteMagazinKulturGelbe Felder und rot-blaue Berge

Gelbe Felder und rot-blaue Berge

Das Kunstmuseum in Winterthur präsentiert eine grosse Überblicksschau zum Expressionismus in der Schweiz. Künstlerinnen und Künstler aus allen vier Landesteilen sind vertreten, die zur bahnbrechenden Strömung des 20. Jahrhunderts beigetragen haben.

Der Expressionismus gehört zu den einflussreichsten Kunstströmungen der Schweiz im beginnenden 20. Jahrhundert. Man wollte nicht mehr das Abbild der realen Welt, sondern das eigene Innere befragen und subjektive Gefühlswelten ausdrücken, auch mittels einer ungehemmten Farbigkeit. Über Hundertzwanzig Werke, Ölgemälde, Plastiken und Grafiken von mehr als vierzig Kunstschaffenden aus den verschiedenen Kunstregionen sind in Winterthur auf zwei Etagen zu sehen.

Hermann August Scherer (1893-1927), Der Maler, um 1925, Privatsammlung. Scherer reiste 1921 zu Ernst Ludwig Kirchner nach Davos und war der eigentliche spiritus rector der Basler Künstlervereinigung «Rot-Blau». Foto: © Kunst Museum Winterthur.

Wie in Deutschland und Frankreich, wo mit Expressionismus, Fauvismus, Kubismus und Futurismus experimentiert wurde, griffen auch Schweizer Kunstschaffende zu den neuen Kunstformen. Dabei entwickelte sich in der Schweiz eine heterogene Avantgarde mit unterschiedlichen Ansätzen. Nicht die Definition des Stils steht in der Ausstellung «Expressionismus Schweiz» im Fokus, sondern die vielfältigen Ausprägungen expressiver Strömungen zu Beginn des Jahrhunderts.

Cuno Amiet, Der gelbe Hügel, Tempera auf Leinwand, 1903, Kunstmuseum Solothurn. Foto: © Daniel Thalmann, Aarau.

Pionier der künstlerischen Neuausrichtung war der Solothurner Cuno Amiet (1868-1961), der sich zwischen 1892 und 1893 in Pont-Aven in der Bretagne aufgehalten hatte, wo in der Nachfolge Gauguins, van Goghs und Cézannes gearbeitet wurde. Mit der Entdeckung des intensiven Kolorits und des freien Umgangs mit den Motiven begeisterte Amiet nicht nur seinen Freund Giovanni Giacometti (1868-1933), sondern er eröffnete der Kunstwelt in der Schweiz die neue Sichtweise. Amiet gehörte als einziger Schweizer der Künstlervereinigung «Die Brücke» an, die Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) in Dresden 1905 mitbegründet hatte.

Die Westschweiz richtete ihren Blick nach Frankreich und versuchte, sich um die Jahrhundertwende vom Übervater Ferdinand Hodler zu lösen. So arbeitete die Genfer Künstlerin Alice Bailly (1872-1938) in Paris unter dem Einfluss der Fauves in intensiv leuchtenden Farben und in vereinfachten Formen und flächigen Kompositionen. Doch schon 1910 begann sie sich auf den Kubismus und den Futurismus zu konzentrieren, der sich nicht nur durch die rein kubistische Formauflösung auszeichnete, sondern auch versuchte, Bewegungsabläufe im Bild darzustellen. Alice Bailly stand mit den Winterthurer Sammlern im engen Kontakt, die sie förderten.

Alice Bailly, Le Jardin rose, 1907, Musée cantonal des Beaux-Arts de Lausanne.

Zahlreiche Künstler vereinigten sich in Gruppen, um anerkannt zu werden oder die Zeit des Krieges besser zu überstehen. Oft waren es Zweckbündnisse, die nur wenige Jahre hielten. So schlossen sich die Westschweizer Kunstschaffenden zur Gruppe «Le Falot» (1915-1917) zusammen und stellten ihre Werke gemeinsam in Genf aus. Die Mitglieder, darunter der Bieler Künstler Hans Berger (1882-1977) oder der Genfer Maurice Barraud (1889-1954), pflegten keinen einheitlichen Stil, waren aber in der fauvistischen Malweise verankert. Sie malten meist Landschaften, Stadtansichten und Aktdarstellungen. Marianne von Werefkin (1860-1938) und Alexey von Jawlensky (1864-1941) lebten vorübergehend in der Westschweiz, beide waren Mitglieder des «Blauen Reiters». Doch bald schlossen sie sich in Zürich der Dada-Bewegung an und übersiedelten 1918 nach Ascona.

Hans Berger, Champs et Collines, 1909, Privatsammlung, Zürich.

In Ascona formierte sich 1924 die Künstlervereinigung «Orsa Maggiore» (1924-1942), genannt nach dem Sternbild Grosser Bär am Nordhimmel; Marianne von Werefkin war Mitbegründerin. Die meisten Mitglieder waren Emigranten und bewegten sich im Umfeld der Reformbewegung des Monte Verità. «Orsa Maggiore» gab kein künstlerisches Programm vor, doch war die Tessiner Landschaft bevorzugtes Bildmotiv. Marianne von Werefkin stach mit ihren intensiv aufgeladenen Bildern deutlich aus der Gruppe hervor.

Marianne von Werefkin, Tragische Stimmung,1910, Tempera auf Papier auf Karton, Museo comunale d’arte moderna Ascona, Collezione del Comune. Foto: © Kunst Museum Winterthur.

In der deutschen Schweiz entstand 1911 im Luzernischen Wäggis die Künstlergruppe «Der Moderne Bund» (1911-1914), um durch Ausstellungen die avantgardistische Kunst bekannt zu machen. Treibende Kraft war der Deutsche Walter Helbig (1878-1968), aber auch Hans Arp (1886-1966), Paul Klee oder Wilhelm Gimmi. Im Dezember 1911 konnten sie eine grosse internationale Exposition im Grand Hotel du Lac in Luzern eröffnen, wo fünfundsechzig Werke von sechzehn Künstlern, darunter Bilder von Paul Gauguin und Pablo Picasso, präsentiert wurden.

Ignaz Epper (1892-1969), Krankenzimmer III, 1917, Kunst Museum Winterthur. Der aus St. Gallen stammende Maler, Zeichner und Grafiker gehörte zum Kreis der sozialkritischen Zürcher Künstler. Er schuf während seines Kriegsdienstes zahlreiche Holzschnitte und Zeichnungen.

Den bekanntesten Beitrag zu einem eigenständigen Schweizer Expressionismus leistete die Basler Gruppe «Rot-Blau» (1925-1927). Sie hatte sich unter dem Eindruck von Ernst Ludwig Kirchners Einzelausstellung in der Basler Kunsthalle von 1921 gebildet. Hermann Scherer (1893-1927) besuchte Kirchner noch im gleichen Jahr in Davos; Albert Müller (1898-1926) und Paul Camenisch (1893-1970) folgten ihm nach. Die Drei schlossen sich zur Gruppe «Rot-Blau» zusammen, um als innovative Künstlervereinigung gegen die in Basel vorherrschende Generation der «Dunkeltonigen» anzukämpfen. Stilistisch orientierten sie sich in ihrer expressiven Malweise an ihrem Vorbild Ernst Ludwig Kirchner, der in der Ausstellung mit mehreren Ölgemälden und Holzschnitten vertreten ist. Nach dem Tod von Hermann Scherer löste sich die Gruppe 1927 auf.

Fotos: rv

Bis 16. Januar 2022
«Expressionismus Schweiz» im Kunst Museum Winterthur, Reinhart am Stadtgarten.

Ausstellungskatalog «Expressionismus Schweiz» mit verschiedenen Essays und Farbabbildungen, Winterthur 2021, CHF 39.00.

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1 Kommentar

  1. Dieser Beitrag hat mich sehr an die früheren Sommerausstellungen in Trubschachen erinnert. Dort war Schweizer Kunst aus diesem Zeitraum oft (oder meistens) ein Schwerpunkt. Es war immer schön, zwischen Gärten von einem Schulhaus ins andere zu spazieren. Die Ausstellung fand alle paar (es war wohl aller drei) Jahre zu Beginn der Sommerferien statt. Schade, dass die Organisatoren altershalber aufgegeben haben.

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