Noch letzte Woche traute ich meinen Augen nicht, als nach einer langen Regennacht auf der kleinen Strasse vor dem Haus ein Bach vorbeizog, die Kanalisation das viele Nass nicht zu schlucken vermochte. Was wir aber am Donnerstag- und am Freitagabend und auch noch in den folgenden Tagen in TV-Sendungen zu sehen bekamen und weiter bekommen werden, übertrifft mein ganzes Vorstellungsvermögen bei weitem. Ganze Dörfer in unserem Nachbarland Deutschland sind von riesigen Wasserlawinen überrollt, einzelne Quartiere radikal wegrasiert worden. Von Luzern, wo der Vierwaldstättersee überquoll, die Reuss unter der Egg die Ufer überflutete, schien in den internationalen TV-Nachrichtensendungen schon gar nicht mehr auf. Und viele fragen sich, warum blieb die Schweiz so verschont.
Ich erinnerte mich an meine Jugend, als ich oft am Nadelwehr nahe der Jesuitenkirche beim heutigen Restaurant Opus stand und fasziniert die riesigen Wassermengen bestaunte, die nach einem schweren Gewitter der Streuerbrücke entgegenschossen. Irgendwie haben sich die Luzernerinnen und Luzerner daran gewöhnt, dass sich bei grossen Unwettern riesige Wassermengen aus dem See in die Reuss ergiessen. Sie haben seit Jahrzehnten immer und immer wieder Massnahmen getroffen, die das Schlimmste zu verhindern vermögen, auch in den letzten Tagen.
Schon damals bewunderte ich die Feuerwehrleute, die Sicherheitskräfte, wie engagiert, wie selbstverständlich, ruhig, ja besonnen sie sich den Gefahren stellten, wie sie zupackten, wie die Bevölkerung zupackte, wenn Not am Mann war.
Nicht anders jetzt. Tief beeindruckt hat mich, wie in Deutschland, aber auch in Belgien und Holland, die ebenfalls von den Fluten heimgesucht wurden, sich die Menschen solidarisierten, wie sie denen in Not geratenen Menschen halfen, wie Feuerwehrmänner selbstlos in die Fluten stiegen, Menschen retteten, wie Menschen einen Feuerwehr-Mann, der sich in den Fluten selbst nicht mehr halten konnte, mit vereinten Kräften aus dem Wasser zogen und sich dabei selbst gefährdeten.
Die Bilder werden haften bleiben. In Deutschland geht der Wahlkampf bald in die entscheidende Phase. Keine der Parteien wird sich eine Blösse geben wollen, sieht man von der AfD ab, die das alles nicht so dramatisch findet, die Ursache nicht im Klimawandel geschuldet sieht. Alle werden alles versprechen, um damit bei der Wählerschaft punkten zu können. Aber immer zwingender wird sich die Frage stellen, warum die gefährdeten Bundesländer nicht besser auf die Katastrophe vorbereitet waren. Gibt es Verantwortliche, kann die Verantwortung für das Versagen Parteien, Personen direkt zugewiesen werden? Die Wahlentscheidung wird von einem geprägt sei: Wer hat die Kompetenz, die Kraft, das Durchsetzungsvermögen und das Vertrauen, aber auch den Mut, um im Interesse der Bevölkerung das zu tun, was jetzt notwendig ist: eine umfassende Umwelt- und Klimapolitik, die nicht zum Nulltarif zu haben ist?
Armin Laschet, der Kanzlerkandidat der CDU, kann sich als Ministerpräsident des betroffenen Bundeslandes Nordrhein-Westfalen als Krisenmanager in Gummistiefeln profilieren, aber auch blamieren, wenn er, wie geschehen, in einem Interview bekräftigt, dass er nach einem solchen Krisentag nicht seine Politik «Wirtschaft zumindest gleichauf mit dem Klimaschutz» verändern will oder bei der Trauerrede von Bundespräsident Franz Walter Steinmeier im Hintergrund lacht. Annalena Baerbock, die Grünen-Chefin, kann zwar Betroffenheit markieren, nicht aber direkt handeln, dafür markant deutlich machen, dass sie und ihre Partei seit Jahren, gar Jahrzehnten griffige Konzepte für eine umfassende Klimapolitik umsetzen und damit aus dem selbstverschuldeten Umfragetief herauskommen wollen. Deutschland hat die Wahl.
Still, ohne riesiges Medienbrimborium, quasi im Schatten der Klimakatastrophen in den USA, Kanada und jetzt aktuell in Europa, einigten sich die G20-Staaten und im Schlepptau die 130 OECD-Staaten letztes Wochenende in Venedig auf eine globale Mindeststeuer von 15% für grosse Unternehmen. Damit wollen sie einen Schlussstrich unter den ausufernden Steuerwettbewerb unter den meisten Staaten auf dieser Welt ziehen. Ueli Maurer applaudierte nach der Einigung nicht, er blieb skeptisch. Bereits in Venedig forderte er eine angemessene Berücksichtigung kleinerer Länder wie der Schweiz. Nicht erstaunlich: In der Schweiz wird seit Jahrzehnten unter bürgerlichen Ägide einem Steuerwettbewerb unter den Gemeinden und den Kantonen gehuldigt, so dass es unserem SVP-Finanzminister schwerfallen musste, in Begeisterung auszubrechen. Und bereits in Venedig musste er geahnt haben, dass ein Einverständnis der Schweiz bei seinen Parteikollegen nicht gut ankommen wird: Roger Köppel attackiert ihn deswegen bereits recht heftig. Zurück in der Schweiz meinte er nämlich: «Der von den G20 beschlossene Mindeststeuersatz von 15 Prozent ist noch nicht in Stein gemeisselt, aber man wird dort landen». Kleinere Länder wie die Schweiz, die sich durch niedrige Unternehmenssteuern Wettbewerbsvorteile gegenüber den grossen Konkurrenten sichern, dürften tatsächlich zu den Verlierern zählen. In zwei Dritteln der Schweizer Kantone liegt der Steuersatz für Unternehmen unter der Marke von 15 Prozent.
Die Idee einer globalen Unternehmensbesteuerung hatte Martin Kreienbaum, ein Beamter im deutschen Finanzministerium, wie die deutsche Wochenzeitung «Die Zeit» schreibt. Nach rund drei Jahren setzte sich die Idee durch. Die Umsetzung zeigt eines: Wenn sich die G20-Saaten einigen, kann das schnell gehen. Wenn sie dies auch bei Standards bei der Bekämpfung der Corona-Krise, bei einer umfassenden Klimapolitik täten, könnten wir etwas optimistischer in die Zukunft blicken. Tröstlich ist: An Menschen mit grossen, aber auch realisierbaren Ideen fehlt es nicht und an der Solidarität der Menschen untereinander schon gar nicht.
Auch die letzten im Volk haben nach dem unerträglichen Grinsanfall von Laschet, live gefilmt und weltweit verbreitet, gecheckt, dass die Auswahl für die Kanzlerschaft beider in den Umfragen führenden Parteien, nicht mal drittklassig ist. Die Grüne sitzt auf einem selbstgebastelten Plagiatshaufen und Laschet hat seine charakterliche Untauglichkeit und Glaubwürdigkeit mit kindischem, charakterlosem Benehmen selber beschädigt. Auch der Katastrophen Gummistiefel-Freizeitlook der führenden Politriege – seit Schröder schon bekannt – wirkt im Volk nur noch aufgesetzt und das Gerede leer und unglaubwürdig. In zwei Monaten wird gewählt. Noch in einer globalen Pandemie und nach verheerenden Unwettern. Für Deutschland und Europa ist zu hoffen, dass Deutschland regierungsfähig bleibt und nicht politische Extreme an die Macht kommen.