StartseiteMagazinKulturDer Weg zur dichterischen Sprache

Der Weg zur dichterischen Sprache

Sie ist in vielen Genres bewandert. Ruth Loosli schreibt Lyrik und Kurzgeschichten, kümmert sich um den Literaturbetrieb und hat nun ihren ersten Roman herausgebracht. Wie kam sie zum Schreiben? Was treibt sie an?

«Ihre Hoffnungen (…) sind irdene Krüge, die der Wind zueinander taumeln lässt. Dann schlagen sie gegeneinander, und es entstehen Risse. Die werden so gross, dass die Krüge die Spannung nicht mehr ertragen und zerbrechen. Hunderte von Scherben, mit denen der heftige Wind nun spielt.» Allegorien wie diese prägen den Stil und die Atmosphäre des ersten Romans der Literatin Ruth Loosli. Mojas Stimmen ist der tagebuchartige Bericht einer Mutter, die schmerzvoll erlebt, wie ihr die geliebte Tochter langsam in die Schizophrenie entgleitet. Ein leiser Seufzer über die ganze Hilflosigkeit dieser psychischen Erkrankung gegenüber. Die Intimität mit der Situation zeugt von einem vermutlich nahen Miterleben der Autorin in engerem Umkreis.

Das Foto einer schlichten, dreiteiligen Steinskulptur auf dem Buchdeckel symbolisiert das fragile Gleichgewicht im Leben, um dessen Erhaltung es hier geht, damit nicht alles auseinanderfällt.

Bisher war Ruth Loosli hauptsächlich als Lyrikerin und Autorin von Kurzgeschichten in Erscheinung getreten. Ihr erster Gedichtband Aber die Häuser stehen noch erschien 2009. Der Band Wila, Geschichten aus dem Jahr 2011 war so erfolgreich, dass er inzwischen ins Französische übersetzt worden ist. 2016 kam der Lyrikband Berge falten hinzu, 2019 Hungrige Tastatur, Gedichte mit Schreibbildern. Fünf solche Bilder aus Schrift tauchen auch im neuen Roman auf.

Für ihre Werke erhielt die Dichterin Auszeichnungen wie 2019 einen Werkbeitrag der Stadt Winterthur und die goldene Feder des Winterthurer Kulturmagazins Coucou. Auf ihren allerersten Preis in Höhe von 5000 Franken aber ist sie immer noch stolz. Sie erhielt ihn bereits im Jahr 1997 vom Spiegeltheater Zürich für den Einakter Jura. «Ich war damals in einer persönlichen Krise, einer Scheidung. Der Preis war eine Riesenermutigung, mit dem Schreiben fortzufahren», erinnert sich Loosli.

Geschrieben hat sie bereits als Kind, während sie in Worben (Berner Seeland) als mittleres zwischen zwei älteren und zwei jüngeren Geschwistern aufwuchs. Loosli: «Der Impuls zu schreiben kam von einer zunehmenden Sprachlosigkeit. Als eins von fünf Kindern konnte ich mir kaum Gehör verschaffen. Das machte mich ratlos, und ich zog mich in die Welt der Bücher zurück, sobald ich lesen konnte. Dann, in der Schule, hatte ich Erfolg mit meinen Aufsätzen und fand meinen Weg, wie ich mich ausdrücken konnte.»

Der Start in die Berufstätigkeit ging zunächst über eine Ausbildung zur Primarlehrerin. Heute ist die Wahl-Winterthurerin als Dichterin ein Begriff. Und sie ist überall anzutreffen, liest an Literaturtagen, Museumstagen, veröffentlicht in Anthologien und in Literaturzeitschriften, fungiert als Stadtschreiberin auf der Winterthurer Plattform Ronorp, engagiert sich in Benefiz-Lesungen zugunsten von Flüchtlingen und ist Vorstandsmitglied der Literarischen Vereinigung Winterthur.

Ein Schreibbild entsteht. Foto © Severin Bigler

Parallel dazu besucht sie immer wieder Weiterbildungen. Zum Beispiel einen dreisemestrigen Kurs über die verschiedenen Genres der Literatur. Oder ein theologisches Teilstudium zwischen 2015 bis 2019 an der Uni Zürich, für das sie auch Latein und Alt-Griechisch belegte. Im Mittelpunkt ihres Interesses stand die Hermeneutik, die Fähigkeit, einen fremden Text oder Sachverhalt zu verstehen und auszulegen. Sich fremden Vorstellungen anzunähern. Und, in umgekehrter Richtung, «die Quellen meines eigenen Denkens kennenzulernen. Zu verstehen, was mich geprägt hat im Schreiben, und zu erkennen, von welchen Figuren aus ich eine Geschichte am besten erzählen kann».

Hat denn Lyrik in unseren modernen, ichbezogenen Gesellschaften überhaupt noch einen Stellenwert? «Durchaus», betont Ruth Loosli. «In meiner Facebook-Filterblase tausche ich mich regelmässig mit Schreibenden aus dem ganzen deutschsprachigen Raum aus. Es sind viele interessante Persönlichkeiten dabei. Das Interesse an neuen Publikationen ist gross.» Und so ist im Jahr 2023 der nächste Lyrikband von Ruth Loosli zu erwarten – ebenfalls im Caracol Verlag. Darüber hinaus plant sie ein Kinderbuch.

Hier hat Loosli über ein geschlossenes Fenster gedichtet. Foto © Severin Bigler

«Insofern», sagt Ruth Loosli, «habe ich die Coronazeit bis anhin gut überstanden. Ich konnte an meinen Projekten weiterarbeiten. Was jedoch für alle Neuerscheinungen schwierig ist: Wenn Lesungen ausfallen. Somit wird auch die Sichtbarkeit für Verlage und AutorInnen eine Herkulesaufgabe. Darunter hat auch mein Lyrikband vom Herbst 2019 Hungrige Tastatur gelitten, obwohl ich damit an die Literaturtage 2020 in Solothurn eingeladen worden bin – sie fanden zwar statt, aber nur online, was alle Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten zunichte machte. Das war wirklich deprimierend.

Nun hoffe ich, dass meine neue Arbeit breiter wahrgenommen wird. Das Thema ‹Kiffen – Sinnsuche/ psychische Krankheit› ist ja aktueller denn je. Es würde mich freuen, wenn das Buch zum Beispiel in den Wartezimmern von Suchtstellen aufliegen würde, an den Schnittstellen der Psychiatrie. Einfach überall dort, wo Menschen sich mit psychischen Realitäten auseinandersetzen wollen oder müssen, mit Beziehungen – und dies in einer authentischen und zugleich literarischen Sprache.»

Titelbild: Ruth Loosli am Schreibtisch und Buchcover: Fotos © Christine Kaiser
Buchhinweis: Ruth Loosli: Mojas Stimmen, Caracol Verlag, Warth 2021, ISBN 978-3-907296-05-9
Wer die Autorin persönlich erleben möchte, kann ihr am 23. August 2021 in der Coal Mine, Winterthur, begegnen. Sie stellt dort ihr neues Buch Mojas Stimmen vor. Hier gibt es Karten zu reservieren.
Da finden Sie die Homepage von Ruth Loosli
Bei der Veranstaltung Schweizer Debüts am 20. April im Literaturhaus in Zürich wurde «Mojas Stimmen» von der Autorin präsentiert. 

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