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Geschenke mit Strahlkraft

Glasgemälde faszinieren durch die strahlende Leuchtkraft der Farben sowie die vielfältigen Bildthemen. Das Landesmuseum in Zürich präsentiert mit der Ausstellung «Farben im Licht» in der Ruhmeshalle Schweizer Glasmalerei vom Mittelalter bis zur Gegenwart.

Es muss auf die Gläubigen eine schier überirdische Wirkung gehabt haben, als im Mittelalter das Licht erstmals durch farbige Glasscheiben ins dunkle Innere der Kathedrale einströmte. Ein Zauber, von dem wir noch heute ergriffen sind, sei es in der Kathedrale von Lausanne, im Berner Münster oder in der Kirche Königsfelden, der Grabstätte der Habsburger Dynastie. Diese frühen Glasmalereien mit den dominierenden Farben Blau, Rot und Gelb gehören zu den ältesten in der Schweiz aus dem 13. Jahrhundert.

Flumser Madonna, um 1200, Herkunft Kapelle St. Jakob, Gräpplang bei Flums, gilt als ältestes figuratives Glasfenster in der Schweiz.

Das Schweizerische Nationalmuseum besitzt eine der weltweit grössten Glasgemäldesammlungen und präsentiert die Schau chronologisch: von den ersten farbigen Fenstern in Kirchen und Klöstern, über Wappenscheiben in Ratsstuben und Wirtshäusern, zu den Standesscheiben im Parlamentsgebäude des modernen Bundesstaats bis zu den Glasgemälden heute; auch die Herstellungstechniken werden vorgestellt.

Bis ins 13. Jahrhundert waren die Glasfenster in Kirchen mit christlichen Motiven und Heiligenlegenden verziert. Profane Themen brachte man im Masswerk, in Randleisten und in der Sockelzone unter.

Um 1500 wurden vermehrt Kirchen mit hohen Fenstern aus bleiverglasten Butzenscheiben und kunstvollen Masswerkabschlüssen errichtet. Dabei übernahmen Stifter die Kosten für einzelne Fenster und durften diese mit ihren Familienwappen schmücken. Diese bunten Scheiben, weit oben und alle auf gleicher Höhe, bilden ein durchgehendes Farbband im Raum. Sie blieben während der Reformation unversehrt, weil Zwingli sie nicht als Götzenbilder einstufte, wie in der Begleitbroschüre zu lesen ist.

Wappenscheibe, 1571, gemalt von Jos Murer (1530-1580). Der Stifter, Bau- und Ratsherr Felix Brunner posiert im breiten Schritt neben einem reichgeschmückten Renaissance-Säulenbrunnen. Foto: rv

Nicht nur sakrale Fenster wurden gestiftet, auch private Bauherren im 16. bis 18. Jahrhundert liessen sich den Fensterschmuck für ihre Neu- oder Umbauten sponsern, sei es von Verwandten, Freunden, bedeutenden Persönlichkeiten oder von staatlichen Obrigkeiten. Auch diese liessen im Gegenzug ihre Wappen auf den sogenannten Kabinettsscheiben anbringen, was als Auszeichnung und Freundschaftszeichen zwischen dem Hausherrn und dem Donator galt.

Willkommscheibe, 1633. Auf der kleinen Rundscheibe reicht Magdalena Gmünder ihrem Mann mit der rechten Hand einen goldenen Kelch, in der linken hält sie den Deckel.  

In profanen Bauten konnten die Kabinettscheiben aus nächster Nähe und in Augenhöhe betrachtet werden. Oft wurden sie nicht für einen bestimmten Raum entworfen und waren daher beweglich und auswechselbar. Es waren beliebte Sammlungsstücke und Geschenke, etwa bei Hochzeiten oder Taufen. Auf den ausgestellten Scheiben lassen sich Alltagsszenen aus der Zeit entdecken.

Ausschnitt aus der Wappenscheibe von Johannes Bräm, 1571, mit Ansicht des alten Schützenhauses in Zürich am Platz, gemalt von Jos Murer (1530-1580). In den Fenstern sind die Glasgemälde erkennbar.

In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden Grisaille-Scheiben – nur mit Braun- oder Schwarzlot bemalte farblose Gläser – bevorzugt und ab der Mitte des 18. Jahrhunderts setzten sich Schliffscheiben durch, kunstvoll mit dem Diamanten gravierte farblose Monolith-Gläser. Diese wurden von Handwerkern, Wirten oder Gerichtsherren auf dem Lande besonders gern gestiftet.

Standesscheibe Bern, 1675, gemalt von Hans Jakob Güder (um 1631-1691). Über dem Standeswappen von Bern halten ein Löwe und ein Bär die grosse Krone. Der Löwe, das sagenhafte Wappentier der Herzöge von Zähringen, hält die Reiterstandarte der Stadtgründer, der Bär das Berner Banner.

Die Heraldik nahm einen grossen Raum ein. So wurden Kabinettscheiben nicht nur mit Wappen von einzelnen Bürgern versehen, sondern auch von Zünften, Städten und Kantonen. Solche Standesscheiben stifteten die eidgenössischen Orte im 16. und 17. Jahrhundert traditionell in die Ratsstuben, Wirtshäuser und Klöster. Sie versinnbildlichten den Zusammenschluss der gleichberechtigten Orte und drückten damit schon früh ein eidgenössisches Nationalgefühl aus. Der älteste Standesscheibenzyklus von 1501 befand sich im Tagsatzungssaal in Baden.

Das allgemeine Interesse an Standesscheiben nahm im 18. Jahrhundert ab. Doch im frühen 19. Jahrhundert erwachte das Interesse wieder und Glasmalerei-Werkstätten stellten erneut Wappenscheiben her. In Bern zählten adelige Familien zu den ersten Auftraggebern, die mit der althergebrachten Sitte der Schenkung von Glasgemälden wieder an die Zeiten vor der Revolution anknüpften.

Blick in die Ausstellung in der Ruhmeshalle im Landesmuseum.

Nach der Gründung des Bundesstaates 1848 wurden die Scheibenstiftungen mit Wappen der Kantone erneut ein wichtiges Symbol für den nationalen Zusammenhalt. Schenkungen von Standesscheibenzyklen gingen 1861 in das Bundesrathaus, 1873 in das Rütlihaus, 1898 in die Ruhmeshalle des Landesmuseums Zürich und 1901/02 in die Kuppel im Bundeshaus. In vielen Familien zählt das eigene Familienwappen auf einer Glasscheibe bis heute zum kostbaren Erbe.

Durch die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert bekamen Eisen und Glas als moderne Baumaterialien grosse Bedeutung. Neue Bautypen wie verglaste Ausstellungs- oder Gartenpavillons, Kuppeln in Warenhäusern, Decken und Veranden in Hotels und grossbürgerlichen Palais boten viel Platz für Glasmalereien, besonders im Jugendstil.

Sigmar Polke, Isaaks Opferung, Musterglasplatte, Fusing Glass, 2006-2009. © The Estate of Sigmar Polke, Anna-Polke-Stiftung, Grossmünster Zürich.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wählten reformierte Kirchen mit Vorliebe figürliche Bildprogramme für die neuen Farbfenster, die katholischen Kirchen bevorzugten abstrakte Kompositionen. Die Einzelscheibe blieb ein geschätztes Geschenk, das als Andenken zu Jubiläen, Abschieden oder besonderen Anlässen überreicht wird.

Künstler wie Augusto Giacometti (1877-1947), Marc Chagall (1887-1985), Max Hunziker (1901-1976) oder Felix Hoffmann (1911-1975) gestalteten zahlreiche Fenster in Kirchen und öffentlichen Gebäuden. Neue Techniken wie Fusing Glass – verschiedenfarbige Gläser werden miteinander verschmolzen und die Bleiruten fallen weg – entwickelten sich. Sigmar Polke (1941-2010), ursprünglich gelernter Glasmaler, gestaltete die neuen Glasfenster im Grossmünster Zürich in hergebrachten und auch in neu erfundenen Techniken kurz vor seinem Tod.

Fotos: Schweizerisches Nationalmuseum

Bis 3. April 2022
«Farben im Licht – Glasmalerei vom 13. bis 21. Jahrhundert» im Landesmuseum in Zürich, mehr hier

Illustrierte Broschüre mit Texten zur Ausstellung in der Ruhmeshalle

s.a. Eva Caflisch Politwerbung im 16. Jahrhundert

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