StartseiteMagazinKulturAls der Mensch sich sein Bildnis machte

Als der Mensch sich sein Bildnis machte

Das Landesmuseum in Zürich zeigt mit «Menschen. In Stein gemeisselt» jungsteinzeitliche Stelen aus verschiedenen Ländern Europas. Sie gehören zu den frühesten Denkmälern und geben Einblicke in die Lebenswelt der Menschen vor 6000 Jahren.

Aus der Steinzeit kennen wir die monumentalen Steinsetzungen in der Landschaft, wie etwa Stonehenge in Südengland. Doch Steinstelen, grosse Steinskulpturen mit Kopf, Augen, Armen, Kleidung und Waffen sind uns weniger vertraut. Sie stammen aus dem vierten und dritten vorchristlichen Jahrtausend und man findet sie vom Atlantik bis zum Kaukasus. Sie vermitteln uns heute, wie sich die Menschen im Übergang zur Sesshaftigkeit entwickelten, wie sie um ihren Besitz kämpften und sich selber darstellten.

Blick in die Ausstellung. Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum.

Mehr als tausenddreihundert Steinstelen sind bisher europaweit bekannt, weitere Funde kommen laufend hinzu. So entdeckte man in den letzten Jahren in Sion/VS etwa dreissig Stelen. Rund vierzig Steinskulpturen aus der Schweiz, Frankreich, Italien und Deutschland sind im Landesmuseum ausgestellt. Ein Monolith aus Bevaix/NE macht den Auftakt, denn Menhire, grosse, grob zugehauene Steine, die eine Menschenform erahnen lassen, sind die Vorläufer der Stelen und wurden rund tausend Jahre früher errichtet.

Männliche Stele mit tätowiertem Gesicht, horizontale Doppellinie neben der Nase, Armen, Beinen, Halsschmuck und Gürtel. 3000-2500 v. Chr., La Serre, Okzitanien, Frankreich. Musée Saint-Raymond, Toulouse.

Die bearbeiteten Steinstelen zeigen menschliche Formen: Kopf, Schultern, das Gesicht ist rudimentär gestaltet mit prominenter Nase und Augen bzw. Augenbrauenbögen, meist ohne Mund. Die Arme sind in den steinernen Körper eingraviert oder in Relief ausgeführt, ein Gürtel trennt den Ober- vom Unterkörper, Waffen und Schmuck sind sorgfältig herausgearbeitet. Untersuchungen zeigen, dass Stelen auch mit Pigmenten gefärbt wurden.

Stele mit Unterarmen und Händen, Gürtel und Halsschmuck mit Doppelspiralanhängern. 3000-2500 v. Chr., Sion/VS. Office cantonal d’Archéologie VS. Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum.

Die Skulpturen weisen regionale Eigenheiten auf: Stelen aus der Provence bestehen nur aus einem Kopf, jene aus Okzitanien haben komplexe Frisuren, Tätowierungen bzw. Narben und jene aus dem Trentino im Südtirol lassen sich klar einem Geschlecht zuordnen, es gibt sogar Kinderdarstellungen. Die Stelen aus Sion sehen jenen aus Aosta ähnlich und man vermutet dieselben Urheber.

Die Ausstellung beleuchtet auch die Epoche, in der die menschenförmigen Skulpturen entstanden sind. Es war eine Zeit des Umbruchs und der Neuerungen, das Rad, der Pflug sowie die Nutzung von Kupfer zur Herstellung von Statussymbolen wurden erfunden. Archäologische Artefakte werden den Stelen gegenübergestellt, wie Doppelspiralanhänger, Dolchklingen aus Kupfer oder Beile als Werkzeug zum Fällen von Bäumen und Bearbeiten von Holz, auch ein Rad aus massivem Ahornholz mit einem rechteckigen Loch für die Achse. Auf einzelnen Stelen erkennt man die Darstellung eines Wagens oder Rinder, die einen Pflug führen.

Männliche Stele mit T-förmigem Gesicht, gemustertem Gewand, Pfeil und Bogen. 2500-2200 v. Chr., Sion/VS. Musées cantonaux du Valais, Sion.

Auf den Stelen von Sion und Aosta fallen die sorgfältig gearbeiteten geometrischen Muster auf. Sie verzieren Tuniken, Lendenschurze und Gürtel. Durch die frühe Erfindung des Webstuhls war es möglich, reichgemusterte Kleidungsstücke herzustellen. Als Artefakt ist auch ein mit Dreiecken und Schachbrettmustern gefertigter Mantel aus Lindenbast ausgestellt, ein Fundstück aus dem Greifensee von 2700-2500 v. Chr.

Männliche Stele mit Halskette, Dolchen, Beilen, Streitäxten und mehrreihigem Gürtel. 3000-2500 v. Chr., Arco, Trentino-Südtirol, Italien. Museo Alto Garda, Riva del Garda.

Die Waffen gelten als Hauptmerkmal männlicher Stelen. Jäger jagten und kämpften mit Pfeil und Bogen auf Distanz. Mit der Sesshaftigkeit stand der Besitz im Mittelpunkt und gewalttätige Auseinandersetzungen nahmen zu, wie zahlreiche Funde eingeschlagener Schädel und Knochen zeigen.

Für den Nahkampf brauchte es in der ruralen Gesellschaft Spezialisten. Krieger, die im Nahkampf mit den neuen Waffen, etwa Beilen, Dolchen und Streitäxten den Reichtum einer Elite zu verteidigen wussten oder ihn durch Eroberungen vergrösserten. Es entstanden in der Gemeinschaft Hierarchien. Man ehrte mit der Stele nicht nur die dargestellte Person, sondern sie wurde selbst zum Machtsymbol des Clans.

Der letzte Teil der Ausstellung befasst sich mit der Bedeutung und dem Verwendungszweck. Die Steinfiguren repräsentierten nicht nur ranghohe Personen zu Lebzeiten, sie wurden auch nach dem Tod als Ahnen verehrt. Doch liess die Bedeutung einer Person nach, wurden die Stelen umgeworfen, zerstört und für Baumaterial umgenutzt.

Weibliche Stele (Rückseite) mit Brüsten und Kreuzband, Gewand und Gürtel. 3000-2500 v. Chr. Latsch, Trentino-Südtirol, Italien. Pfarrei zu den heiligen Aposteln Petrus und Paulus, Latsch im Vinschgau. Im Hintergrund Replik einer Wandmalerei aus Ludwigshafen.

Im kultischen Bereich spielten die Stelen eine wichtige Rolle. Eine der ältesten bekannten Wandmalereien auf weiss bemalten Lehmfragmenten aus einem Pfahlbauhaus in Ludwigshafen (um 3860 v. Chr.) zeigt eine Reihe weiblicher Gestalten alternierend mit pflanzlichen Motiven. Eine Replik dieser Wandmalerei in der Ausstellung steht einer weiblichen Stele gegenüber. Weibliche Ahnen wurden als Urmütter verehrt und garantierten den Fortbestand des Clans sowie die Fruchtbarkeit des Bodens und des Viehs.

oben: Überarbeitete Stele mit Sonnendarstellung und gemustertem Gewand. 2500-2200 v. Chr., Sion/VS. Musée d’histoire du Valais, Sion.
unten: Schale mit Gestirn- und Tierdarstellungen. Gold. Um 1100 v. Chr., Altstetten, Zürich. Schweizerisches Nationalmuseum.

Kultische Verehrung geniessen auch die Gestirne. Sie bestimmen den Zeitpunkt von Aussaat und Ernte und regulieren das Leben der Menschen. Im Verlauf des dritten Jahrtausends v. Chr. wird der Sonnenkult immer wichtiger.  So wurde die Stele mit Sonnendarstellung und gemustertem Gewand aus Sion nachträglich überarbeitet. Wo sich einst das Gesicht befand, wurden Sonnenstrahlen eingemeisselt. Die Sonne verdrängte zunehmend das Bildnis des Menschen, neue Glaubensvorstellungen dürften sich durchgesetzt haben. Während sich der Kult um die Gestirne in der Bronzezeit fortsetzte, fand die grossformatige Darstellung des Menschen ab dem zweiten Jahrtausend v. Chr. ein Ende.

Titelbild: Blick in die Ausstellung © Schweizerisches Nationalmuseum
Bilder: rv

 Bis 16.01.2022
«Menschen. In Stein gemeisselt» im Landesmuseum Zürich

Illustrierte Publikation zur Ausstellung mit verschiedenen Essays, Hrsg. Schweizerisches Nationalmuseum, 2021, CHF 29.00

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