StartseiteMagazinKulturSpielerische Geometrie und bunte Mythen

Spielerische Geometrie und bunte Mythen

Zwei Ausstellungen im Zürcher Migros Museum, die nicht unterschiedlicher sein könnten: Im Erdgeschoss «Playful Geometry», die Installation der brasilianischen Künstlerin Laura Lima im Dialog mit Werken aus der Sammlung des Migros Museum für Gegenwartskunst. Im Obergeschoss Videoinstallationen, Gemälde, Objekte und Performance-Kunst des thailändischen Künstlers Korakrit Arunanondchai.

Betritt man den Ausstellungssaal, meint man in ein Restaurant mit Bar zu kommen. Auf den Bistrotischen stehen Biergläser, die sich auf mysteriöse Weise leeren, ein Kellner geht mit einem Krug herum und füllt die Gläser nach. Die Stühle sind besetzt, nicht mit Personen, sondern mit Bildern, bunten geometrischen Körpern, auch mit einem Regenschirm oder einem Papierstapel. Hier gibt es kein Bier oder Kaffee für Besucherinnen und Besucher, sondern es ist die Installation Bar Restaurant der brasilianischen Künstlerin Laura Lima.

Laura Lima «Bar Restaurant», 2010, im Hintergrund an der Wand Sol LeWitt, Geometric Figures, 6 Teile, 1977. Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst.

Laura Lima (*1971) lebt und arbeitet in Rio de Janeiro. Die raumfüllende Installation hat sie 2013, anlässlich ihrer Einzelausstellung im Migros Museum für Gegenwartskunst, gebaut. Lima ist fasziniert von den komplexen sozialen Beziehungen und menschlichen Verhaltensweisen und inszeniert diese mit künstlerischen Ausdrucksformen, mit performativ aktivierten Installationen, Zeichnungen, Malerei oder Skulptur.

Laura Lima «Bar Restaurant», 2010. Der Kellner als performativer Teil der Installation.

Mit Bar Restaurant knüpft Laura Lima an die brasilianische Bewegung der neo-konkreten Kunst der späten 1950er Jahre an. Die Künstlerinnen und Künstler begannen damals, den menschlichen Körper in die nüchtern-geometrischen Werke einzubeziehen. Das Publikum wurde eingeladen, die Kunstwerke zu berühren und sie durch Manipulation zu vollenden.

Trotz der Nähe zum Neoconcretismo lässt sich Limas Arbeit in keine feste Kategorie einordnen. Die Betrachter bleiben Beobachter. Die Interaktion in Restaurant Bar zum vollständigen Werk wird nicht an das Publikum, sondern an die Figur des Kellners delegiert. Die Gäste bzw. Objekte auf den Stühlen der Installation sind für die Künstlerin eine kunsthistorische Referenz, etwa der weisse Regenschirm auf René Magrittes Gemälde Hegels Ferien von 1958.

Die Ausstellung wird zusätzlich durch Stücke aus der Migros Museumssammlung ergänzt, wie die Wandobjekte der amerikanischen Minimal Art und Konzeptkunst von Donald Judd (1928-1994) und Sol LeWitt (1928-2007), Gemälde von Oliver Mosset (*1944, CH) aus seiner geometrischen Periode oder eine Serie von 70 Radkappen, installiert im strengen Raster an der Wand von Sylvie Fleury.

Blick in die Ausstellung, im Zentrum «Pavillon», 2002, von Valentin Carron (*1977).

Ausgehend von der eher nüchternen, ruhig-distanzierten Atmosphäre im Erdgeschoss, wärmt diese sich beim Aufstieg ins Obergeschoss akustisch auf. Man betritt die mythisch anmutende Welt des thailändischen Künstlers Korakrit Arunanondchai (*1986) aus Bangkok. Seine Installationen in den drei aufeinanderfolgenden Räumen bilden ein prozesshaftes Ganzes: Der mittlere Raum «If we burn, you burn with us» ist abgedunkelt, der Teppich knallrot, die Wände intensiv buntfarbig, fast psychedelisch, beleuchtet mit einzelnen Spots. Der wie ein riesiges loderndes Feuer wirkende Raum, der den Schöpfungsmythos versinnbildlicht, verbindet die zwei angrenzenden Räume mit den Videoinstallationen Songs for dying im schwarzen und Songs for living im blau gehaltenen Bereich.

«If we burn, you burn with us», Installation, 2021. Courtesy the artist and Bangkok CityCity Gallery, Bangkok. Im Hintergrund vor der Wand stehend der Künstler Korakrit Arunanondchai.

Geburt und Tod sind Grenzerfahrungen, in denen das Bewusstsein eine andere, gesteigerte Form annimmt. Der Künstler entwickelt seine Videoinstallationen aus persönlichen Erfahrungen heraus, ebenso vor dem Hintergrund soziohistorischer Bedingungen in Thailand.

Filmstill, Songs for dying.

Als Besucherin habe ich mich im dunklen Raum hingesetzt und bin während dreissig Minuten in die Welt der Songs for dying eingetaucht; dieses Video wurde vollständig in Thailand konzipiert und hergestellt. Auch wenn ich nicht wirklich alles verstanden habe, liess ich mich gern in die grossangelegte Erzählung ein und erhielt einen Einblick in eine Kultur, die ich kaum kenne.

Von Korakrit Arunanondchai geschaffenes schamanisches Gewand.

Im Zentrum steht der Grossvater, zu dem der Künstler eine innige Beziehung hatte, und den er während längerer Zeit auch am Sterbebett mit der Kamera begleitete. Für Arunanondchai lebt das Bewusstsein nach dem Tod in Geistern weiter. In der Video-Erzählung führen Geister, verkörpert durch eine Schamanin, eine sterbende Meeresschildkröte zurück an den Strand, an dem sie einst geschlüpft ist. Meeresschildkröten spielen in der thailändischen Mythologie eine wichtige Rolle als Nachkommen des mächtigen «Drachen-Meeresgottes».

Der Künstler selbst erscheint ebenso in der Rolle eines Geistes mit Erzählungen, die sich auf unterschiedlichen Zeit- und Raumebenen bewegen. Neben den mythischen erscheinen immer wieder Bilder aus der sozialpolitischen Gegenwart Thailands, etwa Proteste gegen die vom Militär und der Monarchie gestützten Regierung oder Erinnerungen an frühere Aufstände und Massaker.

In die Welt der «Songs for living» lässt es sich im blau beleuchteten Raum auf grossen Kissen sitzend eintauchen.

Das Gegenstück Songs for living entstand in New York in Zusammenarbeit mit dem Künstler Alex Gvojic. Hier handelt es sich um Transformationen in einer Welt jenseits des Todes, Geister kehren in körperlicher Gestalt zurück. Unter der Wasseroberfläche des Ozeans, als Metapher für eine kosmische Realität, oder im Mutterleib, als eine Art Ozean, finden die Geister ins Leben zurück.

Titelbild: Detail aus «If we burn, you burn with us», 2021. Installation, Courtesy the artist and Bangkok CityCity Gallery, Bangkok.
Alle Fotos: rv

Bis 9. Januar 2022
Laura Lima – Playful Geometry, Sammlung Migros Museum für Gegenwartskunst und Korakrit Arunanondchai, Songs for dying / Songs for Living im Migros Museum für Gegenwartskunst, Zürich, mehr s. hier

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