Der richtige Dreh

Wie man ein altes Handwerk auch heute noch mit Gewinn betreibt, weiss Martin Benz, Unternehmer und Betriebsleiter einer Seilerei in Winterthur.

Zur Strasse ist es ein bescheidenes altes Holzhaus mit Vorgarten und moderner Vitrine, dahinter schliesst sich eine hundert Meter lange Holzbude an: die Seilerei A. Kislig in Winterthur. Eine Plakette mit der Adresse mit der Internet-Adresse www.seile.ch sagt ausserdem, dass hier seit 135 Jahren Seile gemacht würden.

Ein bescheidenes Holzhaus in einem Wohnquartier von Winterthur: Die Vorderfront der Seilerei Kislig

Wer eintritt, steht in einer Boutique, die mit wenigen Handgriffen ein perfektes Set für historische Filme abgäbe. Aber trotz der gestemmten Türen und der Messingbeschläge ist die Seilerei Kislig auf der Höhe der Zeit: Die Produktion läuft, der Absatz auch: Besitzer Martin Benz (50) zeigt bei einer der Führungen durch seinen Betrieb mit der Überzeugung eines Jungunternehmers, wie man auf alten Flechtmaschinen oder Drehautomaten zeitgemässe Spezialseile für Kinderspielplätze oder Schnüre für Rollläden, sogar Seile für Zauberkünstler und Zirkusse herstellt. Die Firma ist ein Denkmal aus einer fernen Zeit und zugleich eine Unternehmung, die trotz der ausländischen Konkurrenz ihre Nische gefunden hat. Zwar gibt es auch in der Schweiz andere Seilereien, aber die meisten seien Grossbetriebe, sagt Benz, und er habe bald als letzter noch eine 100-Meter-Bahn, auf der er die längsten Seile drehen könne.

Was einen wunder nimmt: Wie gerät ein Manager aus der Baubranche, der einst Zimmermann gelernt hat, an eine Seilerei?

Martin Benz: «Ich war etwa 28jährig und brauchte ein Seil, kam also als Kunde in die Seilerei, wo E. Albert Kislig, damals schon 78, meinen Wunsch erfüllen konnte. Von da an schaute ich ab und zu vorbei, was dem Seiler wohl weniger gefiel, wenn ich ihm so ungefragt im Weg stand.»

Das Leitholz trennt die einzelnen Stränge oder Litzen beim Seil schlagen. Bei Kislig gibt es uralte und ganz neue Leithölzer.

Nach einem halben Jahr – die Besuche wurden häufiger – nahm Kislig ihn als Lehrling auf, freilich unter der Bedingung, dass er den Betrieb übernehme. Martin Benz – fasziniert sowohl von der Seilerei als auch vom technisch versierten Lehrmeister – nahm den Deal an, lernte vier Jahre das Metier und zeigte dem Patron, inzwischen weit über Achtzig, der wegen einer Erkrankung eine Zwangspause einlegen musste, dass das Geschäft tatsächlich auch ohne ihn weiter lief.

Demonstration auf der kurzen Bahn: Gleich sind zweimal zwei Meter Seil geschlagen.

Martin Benz konnte die Seilerei samt Liegenschaft und Stammkundenkartei «zu einem vernünftigen Preis» übernehmen, die Produktion ausbauen und den Vertrieb modernisieren: Er begann, Messen und Märkte zu besuchen, machte Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, und setzte aufs Internet, wo er heute ein sehr breites Angebot an Spezialitäten anbietet: «Ich mache so spezielle Dinge, dass ich den Kunden nicht so einfach finde.» All das erfährt man bei einer Besichtigung – wenn erwünscht mit kulinarischer Bereicherung, die Benz für Gruppen von fünf bis 35 Personen offeriert. Authentisches altes Gewerbe ist faszinierend, vor allem, wenn es kein musealer Betrieb ist. Benz winkt entschieden ab, als ich nachfrage: «Neinnein, wir leben zu 90 Prozent von der Produktion, die Einnahmen durch Führungen sind nur geringfügig.»

Faszinierend ist der Besuch jedoch auch, weil da so viele Kleinigkeiten erhalten sind, die ein anderer längst weggeworfen hätte: Fotos von früher, Hinweisplaketten, Gerätschaften, Spulen und Leithölzer jeder Art, dazu ganz gewöhnliches Gerät, das in der langen Seilbahn auch Platz findet. Seile schlagen oder auch Seile flechten geht mit Maschinen, die anderswo längst ins Alteisen oder ins Museum gelangten, in der Seilerei Kislig dagegen werden sie laufend gewartet und modernisiert.

Hundert Meter lang ist diese Seilbahn. Auf der rechten Seite gleich unter den Dachbalken sind aufgespannte Seile zu erkennen.

Dass ein geschickter und kreativer Ingenieur alte Maschinen warten, revidieren und reparieren kann, hat Martin Benz seinerzeit an seinem Lehrmeister auch so fasziniert. Jetzt beeindruckt er mit seinem Erfindergeist andere. Ersatzteillager sind beispielsweise dort, wo eine Seilerei die herkömmliche Produktion aufgibt und die alten Maschinen verkaufen oder auch mal verschenken will: «E. Albert Kislig hat in den 50er, 60er Jahren selbst alte Maschinenteile behalten und neues daraus gebaut. Er hat auch automatisiert, z.T ferngesteuert. Die ursprünglichen Bremsanlagen der Seilbahn hat er modernisiert, den Schlitten samt den schweren Steinen durch eine Schienenanlage ersetzt.» Damit arbeitet Benz fast täglich, denn die lange Seilbahn (im Norden übrigens Reeperbahn genannt) braucht er regelmässig.

Zwei Flechtautomaten, links entsteht ein mehrfarbiges geflochtenes Seil, rechts ein ganz weiches.

Eingeführt hat er die Flechterei – zum Teil auf ebenso alten wie tüchtigen Maschinen, die er über andere Seilereien organisieren konnte. Bei unserem Besuch entstand auf einem dieser Apparate mit verschiedenfarbigen Spindeln ein mehrfarbig geflochtenes Seil aus Baumwolle. Und sein Mitarbeiter klebte Haken an schwere Riesentaue: der Zürcher Zoo hatte sie für eine Tieranlage bestellt.

Bei Kislig werden alle möglichen Fasern verarbeitet, neben Baumwolle auch Leinen, Hanf, Sisal und verschiedene Kunststoffe. Je nach gewünschtem Zweck. Daraus werden Seile, die man beim Bauen braucht – so kam ja Benz einst zu Kislig – oder Seile für Kletternetze, Seilbrücken, Hängematten, oder «Gireizli», die seine Kunden, die Spielplätze bauen, regelmässig bestellen. Eine Spezialität sind Schnüre für alte Uhren mit Aufzugsgewichten. Oder das weiche Flechtseil, mit dem uns der Zauberer in Bann zieht und dessen Trick Benz gern mal vorführt. Soeben hat er für einen Lichtinstallationskünstler geliefert, und Richtung Weihnachten wird seine Erfindung, die Seilgarderobe so platzsparend und tauglich wie elegant und diskret ihre Abnehmer finden.

Nur eins stellt Martin Benz nicht her: Seile, die mit Personensicherheit und -schutz zu tun haben, also jene für Bergsteiger, oder für die Rettung. Meist wird ab Rolle geliefert, aber für Privatkunden erstellt die Seilerei auch mal das Netz montierfertig.

Links neben der museumswürdigen Büro-Türe weist eine Kartonhand den Weg. Alt und neu in Harmonie.

Martin Benz hat drei Söhne, die noch in Ausbildung sind. Ob einer sein Nachfolger wird, steht noch in den Sternen. Aber ein Museum soll aus der Seilerei nicht werden, sagt er bestimmt: «Man muss einen Laden haben, der funktioniert und Geld abwirft.» Heute beschäftigt der Unternehmer zwei Teilzeitkräfte, einen Mann im Betrieb, eine Frau, die schon seit vielen Jahren da ist fürs Büro, was auch das Paketmachen und ab und zu die Kundenbedienung im Fabrikladen umfasst.

Obwohl die Seilerei zunächst wie eine Ballenberg-Aussenstation wirkt, ist sie ein Gewerbebetrieb auf der Höhe der Zeit, der sich auch gegen ausländische Konkurrenz gut zu behaupten weiss – eben mit Schweizer Qualität und Massarbeit.

Titelbild: Martin Benz führt eine Gruppe Senioren durch seine Seilerei.
Fotos: © Mario Zambelli und Eva Caflisch
Der Webauftritt der Seilerei Kislig ist auch ein Online-Laden.

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