StartseiteMagazinKolumnenAuf der Spur des Geheimnisvollen

Auf der Spur des Geheimnisvollen

Mit zunehmendem Alter werden Kindheitserinnerungen stärker. Öfters höre ich Mutter sagen: «Steck deine Nase nicht in alle Dinge!» Ich muss ein neugieriger Knabe gewesen sein. Mir voran also ging die Nase. Sie zählt nicht zu den edelsten Sinnen, aber sie hat den anderen Sinnen die Witterung voraus. Wieder ist Weihnachtszeit. Für den Knaben war sie nicht nur die Zeit des Horchens und Lauschens, sie war auch die Zeit der Gerüche, des Riechens. Die Nase übernahm in gewissen Momenten die Vorherrschaft. Kam ich von der Schule nach Hause, roch ich im Gang den Kuchen, der im Ofen duftete. Die Neugier war geweckt und das Wasser lief mir im Mund zusammen.

Weihnachten war die Zeit, in der ich die Gerüche besonders stark wahrnahm. Es dunkelte früh ein. Die Konturen der Dinge verwischten sich. Unterschiedliche Gerüche dominierten. Man konnte sie nicht sehen, aber sie existierten. Es war wie beim Christkind, das ich nicht sah, aber ich spürte, dass es da war. Es herrschte eine aufgeregte Stimmung, die von einem Geheimnis ausging. Diesem Geheimnis wollte ich, je älter ich wurde, auf die Spur kommen. Die Luft war voll von ihm. Der Geruch der Küche hatte sich verändert. Vater schlug im Wald einen Christbaum und stellte ihn in die gute Stube. In der Mitternachtsmesse duftete der Weihrauch. Die Musik war schöner als sonst, die Kirche war mit einer grossen leuchtenden Tanne geschmückt und der Pfarrer sprach feierlich. Was steckte hinter dieser Veränderung. Grossmutter sprach vom Christkind. Es werde Geschenke bringen.

Der Geruch weckte den Spürsinn. Weil man den Geruch nicht sieht, nicht weiss, woher er kommt, möchte man wissen, wer und was ihn ausstrahlt. Auf einem Bauernhof roch es in jedem Winkel anders. Im tiefen Keller lagen Kartoffeln und manchmal, wenn ich sie holen musste, stank es. Vater sagte, es liege eine tote Maus herum. Die Pferde rochen anders als die Kühe. Wie fein dufteten die Lämmchen und die Zicklein. Menschen hatten eine eigene Ausdünstung. Vater führte ein offenes Haus. Sodass auch Leute an den grossen Küchentisch kamen, die ich nicht riechen konnte. Alle diese unterschiedlichen Gerüche verstärkten die Witterung, machten neugierig und führten zu neuen Erfahrungen. Wer in Räumen aufwuchs, die nicht spiegelglatt und klinisch gereinigt waren, lebte in einer besonderen Geruchswelt. Ich erlebte mich früh als Nasenmensch.

Steckte ich nach Mutters Verdikt die Nase an Weihnachten in einen Schrank, machte ich die Erfahrung, dass ich damit aufs Maul fiel. Das geschah einmal, als ich den Schrank öffnete, in dem die Geschenke für Weihnachten lagen. Ich verschob die Schachteln ein wenig. Mutter hatte einen feinen Spürsinn und fragte mich: «Hast du den Schrank durcheinandergebracht?» Ich log und wollte es nicht gewesen sein. Sie sagte nur: «Warum wirst du denn rot?» Sie strafte mich für die Lüge und die Unbeherrschtheit.

Als ich erfuhr, dass nicht das Christkind die Geschenke unter den Christbaum legte, war ich enttäuscht. Es waren die Eltern und die Grossmutter. Aber war jene Witterung für das Geheimnisvolle und die Entlarvung des «Christkinds» nicht eine der Erfahrungen, die mich später ein Leben lang fragen liess, was wahrhaft hinter den Dingen leuchtet? Es ist das, was mich immer neu bewegt und begeistert. Vielleicht ist es der Sternenhimmel über mir und das Moralgesetz in mir, wie es der Philosoph Immanuel Kant für sich formulierte; das Unfassbare, das ich mit dem blossen Verstand nicht zwingen kann, mit dem ich auf jene Grenzen pralle, über die hinaus ich nicht zu steigen vermag, die mich aber neugierig bleiben lässt.

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1 Kommentar

  1. Ich finde Ihre Kolumnen informativ,interessant,humorvoll einfach super. Weiter so!
    Mit den besten Wünschen fürs Neue Jahr

    Hedy Meyer Schmidiger

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