StartseiteMagazinKolumnenSchnelle EU versus langsame Schweiz

Schnelle EU versus langsame Schweiz

Wieder mal die Arena geschaut, die Präsidialarena zum Auftakt des Jahres mit Ignazio Cassis, dem Bundespräsidenten für das Jahr 2022, von A bis Z. Geladen waren auch die sechs Präsidenten der wichtigsten Parteien, alles Männer. Vier vorne, welche den Bundespräsidenten einrahmten, zwei hinten auf der Ersatzbank, der Grüne und der Grünliberale, die sich beide möglichst rasch vorne einreihen möchten, bei den Bundesratsparteien.

Nachdem, was ich gesehen, gehört und verstanden habe, weiss ich nicht so recht, soll ich lachen oder weinen, die Arme hochreissen, triumphieren oder mich wegducken, gar verzweifeln, wenn es nur nicht so ernst wäre? Gestenreich und in einem hochstehenden, eloquenten Deutsch, freilich mit Akzent, legte unser erster Mann in der Regierung dar, was er nun mit der Schweiz vorhat. Ein Satz hängt mir nach, den ich nicht so recht verstehen und nicht so schnell verscheuchen kann. Einfach so dahingesagt, leise gar, ohne dass er eine Reaktion auslöste, meinte der Mann aus dem Tessin: «Für einen gleichen Entscheid braucht die EU-Kommission eine Woche, ein EU-Land einen Monat, die Schweiz braucht dafür ein Jahr.» Und jetzt? Ist das der grosse Unterschied zwischen der Europäischen Union, dem wichtigsten Handelspartner der Schweiz, und unserem Land?

Ja, sieben Jahre verhandelte die Schweiz mit der EU über das von beiden Seiten angestrebte Rahmenabkommen. 26mal trafen sich Schweizer Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten mit Kommissionsmitgliedern. Unzählige Stunden, Tage, gar Wochen beugten sich die Unterhändler der beiden Seiten über die Akten und kristallisierten heraus, was beiden Seiten dienen sollte: ein verbindlicher Rahmenvertrag. Doch weit gefehlt. In der Schweiz war ein Konsens über den Vertrag nicht zu erzielen. Der Bundesrat, allein zuständig für die Aussenpolitik, knickte ein, ohne das Parlament zu befragen, ohne in unserer direkten Demokratie das Volk miteinzubeziehen. Und nun kommt die Schweiz erneut und stark unter Druck. Die EU weiss genau, was sie will: Die Schweiz hat sich an die Regeln des EU-Binnenmarktes zu halten, wie alle EU-Mitglieder auch. Sie muss ihre Normen dynamisch an die Normen der EU anpassen. Schweizer Firmen, die im EU-Raum operieren, dürfen nicht von Steuerprivilegien in der Schweiz profitieren und so Wettbewerbsvorteile im EU-Raum haben. Die Schweiz hat regelmässig einen Beitrag an den EU-Haushalt zu leisten. Und nicht zuletzt verlangt die EU einen Streitschlichtungsmechanismus.

Und die Schweiz? Weiss sie, was sie will? Ja, sie will den freien Zugang zum EU-Binnenmarkt, zu dem Markt, im dem sie rund 50% ihrer Produkte vermarkten kann. Sie will nicht nur Zugang zu den EU-Forschungsprogrammen, sondern auch Teilhabe an den EU-Forschungsgeldern. Die Schweizer Wirtschaft insgesamt, insbesondere High-Tech-Firmen in der Medizinalbranche, in der Pharma-Industrie zum Beispiel, sie alle sind auf Fachkräfte aus der EU, so auf die Personenfreizügigkeit angewiesen. Letztlich sind wir eine Schicksalsgemeinschaft auf dem alten Kontinent. Den Bestand an internationalem, globalem Wettbewerb, insbesondere mit den USA und China, kann die Schweiz nur durch ein starkes Europa sicherstellen. Ignazio Cassis will nun evaluieren, die Schweizer Position im Bundesrat einmal mehr auf Kurs bringen, um der EU das zu bieten, was sie erwartet: eine klare Haltung.

Der grösste Streitpunkt ist der institutionelle Rahmen, das Tor zum EU-Binnenmarkt, auf dem die EU beharrt. Sie will, dass darin die beidseitigen Verpflichtungen und das Streitschlichtungsverfahren fest verankert sind. Das war schon 1992 beim EWR nicht anders. Schon damals tat sich die damalige Landesregierung schwer mit Verpflichtungen, die sich aus dem Vertrag ergaben, die nur schwer mit der direkten Demokratie in Übereinstimmung zu bringen waren. Erst als sich der damalige Bundesrat darauf einigen konnte, dass der EWR lediglich ein Etappenziel hin zum EU-Beitritt sei, konnte er sich eher widerwillig auf ein Ja festlegen. Nach einem heftigen, emotionalen Abstimmungskampf liess das Schweizer Stimmvolk am 6. Dezember 1992 bei einer Rekordstimmbeteiligung von 78,7 % den Bundesrat im Stich, sagte mit 50,3%, äusserst knapp zwar, Nein zum EWR.

Gut beraten ist jetzt der Bundesrat, wenn er nun zügig definiert, wie dieser institutionelle Rahmen aus der Sicht der Schweiz auszusehen hat, bevor er weiter unter massiven Druck gerät, bevor er in weitere Verhandlungen geht, die danach eh viel einfacher werden, weil die bilateralen Verträge ja bestehen, sofort erneuert und aktualisiert werden können. Das geht in der Schweiz nicht innert einer Woche, nicht innert einem Monat, das braucht ein Jahr, gar Jahre… Bis es zu spät ist. Oder doch. Zu wünschen wäre es Cassis, dem Bundesrat und schliesslich auch uns.

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3 Kommentare

  1. «Die Schweiz hat regelmässig einen Beitrag an den EU-Haushalt zu leisten.» Das ist sachlich so nicht korrekt. Die Schweiz soll regelmässig Kohäsionsmittel zahlen, die den EU-Staaten zu Gute kommen, deren Bruttonationaleinkommen weniger als 90% des EU-Durchschnitts ausmacht. Diese Mittel gehen jedoch niemmals in den EU-Haushalt, sondern werden von der Schweiz selbstständig verwaltet. Die Schweiz entscheidet autonom, werm wie und mit welchen Projekten von den schweizer Kohäsionsmitteln profitiert.
    An den EU-Haushalt zahlt die Schweiz für Leistungen, die sie von der EU bezieht und für EU-Programme, an denen sie teilnimmt. z.B. EU-Forschungsrahmenprogramme (Horizon2020) oder den Zugriff auf EU-Datenbanken, wie SIS II, Eurodact (etc.) Dies waren in der EU-Haushaltsperiode 2014-2020 rund 565 Mio Euro. Angesichts des EU-Finananzrahmens der EU von 959,51 Mrd. Euro sind dies grosszügig gerechnet 0,6 Promille.

  2. Die Schweiz hat sich spätestens mit der Zahlung von 3 Mrd. für namenlose Konten, auf massiven Druck der Amis, erpressbar gemacht. Von diesem Fonds wurden nicht mal die Hälfte beansprucht und die restlichen Mittel werden an den World Jewish Congress bezahlt werden… was die sicher freuen wird… Dann kam die unilaterale Kapitulation der Schweiz und die Aufgabe des Bankkundengeheimnisses für ausländische Kontoinhaber! Auch dies auf massiven Druck der EU und den USA. Die nun dieses Geschäft mit Schwarzgeldern und kriminellen Geldern lieber selber betreiben…! GB, damals noch in der EU, betreibt allein über 20 unregulierte Offshoreplätze und wurde deswegen von der EU nie unter Druck gesetzt. Weltweit existieren immer noch über 70 unregulierte Offshoreplätze, wo längst alle schmutzigen Geschäfte abgewickelt werden. Dazu kommen die unregulierten Kryptowährungen: Geldwaschanstalten für Kriminelle und Casinos für das Volk und Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe. Was haben wir daraus gelernt? Die Schweiz MUSS hart bleiben und auch hart verhandeln und darf nicht auf jedes Lüftchen gleich einknicken. Das sollte damit anfangen, dass wir selber uns nicht immer schlecht reden und Mea Culpa mässig, aufgrund von Fake News, selber den Rücken blutig schlagen. Das mit dem Steuerparadies Schweiz ist so eine Mär, die von linken einheimischen Kreisen immer wieder koloprtiert wird. In der EU selber gibt es mehrere Mitgliedsländer mit deutlich tieferen Corporate Tax Rates als in der Schweiz! Als Hauptkonkurrent Irland mit 12,5%. Dann Ungarn 9%, Bulgarien 10%, Littauen 15% usw. Die Schweiz liegt mit 18% ziemlich genau auf dem europäischen Mittelwert. Um mit der EU verhandeln zu können, sollte man mindestens faktenfest sein und sich nicht bei jedem Lüftchen knieschlotternd über den Tisch ziehen lassen. Die EU selber ist in einem desolaten Zustand, institutionell, oekonomisch, sicherheitspolitisch usw. Der schwache EURO ist ein Masstab dafür. Die Schweiz soll ihre Strategie sektoriell zu verhandeln mindestens aufrecht erhalten. Drohungen und Retorsionsmassnahmen seitens der EU gegen die Schweiz sind auch für die EU kaum ein zielführender Weg. Das Stimmvolk wäre dann noch viel weniger kompromissbereit und würde Verträgen, die auf Erpressung basieren, kaum zustimmen.

  3. Sowohl Hans Halbschweizer als auch Andreas Herren haben recht.
    Trotzdem: auch wenn die EU in der Weltpolitk eine erbärmliche Rolle spielt, die von niemandem ernst genommen werden kann, ist sie eine wirtschaftliche Grossmacht.
    Die Schweiz muss sie ernst nehmen. Sie muss aber insbesondere sich selbst ernst nehmen und genau wissen, was sie will. Der Schweiz ist es seinerzeit gelungen mit Hitlerdeutschland zu verhandeln, ohne ihre Ideale zu verleugnen; die Schweiz hat namhaft zur Kreation der Unctad beigetragen, etc. etc….., ergo sollten wir auch mit unsern unmittelbaren Nachbarn einig werden können.
    Bräuchte es wieder Stuckis und Jolles?
    Oder ist die EU dermassen dogmatisch, dass sie gar nicht auf echte Verhandlungen eintreten kann?

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