Am «Schauplatz Brunngasse» in der Zürcher Altstadt sind Wandmalereien, die um 1330 von einer jüdischen Bankiersfamilie in Auftrag gegeben wurden, öffentlich zugänglich. Der soeben angelaufene Film «Brunngasse 8» handelt davon, Seniorweb hat den Ort besucht.
Im 14. Jahrhundert war es ein grosser repräsentativer Raum mit Wandmalereien im ersten Obergeschoss der Brunngasse 8, einer städtischen Liegenschaft. Betritt man das Mini-Museum «Schauplatz Brunngasse», das vor rund einem Jahr eröffnet wurde, findet man sich in kleinteiligen Räumen wieder. Von der einst farbigen Pracht ist heute nach 700 Jahren nur noch ein zarter Schimmer übriggeblieben. Dennoch sind die 1996 entdeckten Malereien in Verbindung mit der Familiengeschichte der Frau Minne einzigartig. Denn die hebräischen Buchstaben in den zeitgenössischen Motiven weisen auf jüdische Auftraggeber um 1330 hin.
Festsaal mit einer Fläche von 76 Quadratmetern und rund 3 Metern Höhe, um 1330/1340. Im 16. Jahrhundert wurde der Saal durch Zwischenwände unterteilt und die noch heute bestehende Fensterfront eingebaut.
Die Juden lebten im mittelalterlichen Zürich nicht abgesondert in einem Ghetto, sondern integriert im Quartier des christlichen Bürgertums. Da ihnen das Handwerk nicht erlaubt war, konzentrierten sich einige auf Geldgeschäfte und wurden so zu Kreditgebern der Christen. Christen durften von ihren Glaubensgenossen keinen Zins nehmen, dasselbe galt aber auch unter den Juden selbst, wie die Judaistin Martha Keil betont. Solange alles gut ging, waren reiche Juden, die der Stadt hohe Abgaben entrichten mussten, gern gesehen. Bei Ausbruch der Pest stempelte man sie jedoch rasch zum Sündenbock und ermordete sie. Die Obrigkeit der Stadt enteignete den jüdischen Besitz und alle Schulden waren getilgt.
Ostwand: Bauerntanz. Die Frauen in vornehmer Kleidung, die bäuerlich gekleideten Männer mit Schwert im wilden Reigentanz, wie ihn der Minnesänger Neidhart (um 1180-1245) als Parodie geschildert hat. Bäuerlich-derbe Kerle sind zu Geld gekommen und wollen nun Teil der höfischen Kultur sein, deshalb tragen sie Schwerter, ein Attribut des Ritters.
Historische Dokumente belegen, dass eine jüdische Witwe, Frau Minne mit ihren zwei Söhnen Moysse oder Mosche (Moses) und Mordechai (Gumprecht) ben Menachem um 1320 hier wohnten. Vom Ehemann Menachem ist ausser dem Namen nichts bekannt. Mosche war Rabbiner und führte eine Toraschule, vermutlich in der nahegelegenen Synagoge an der heutigen Froschaugasse, wie im Bericht der Denkmalpflege zu lesen ist. Rabbi Mosche muss weitherum bekannt gewesen sein, nicht zuletzt durch den von ihm verfassten Zürcher Semak, das ist ein noch heute anerkannter Kommentar zu einem jüdischen Gesetzeswerk.
Westwand: Falkenjagd, die Farben sind heute stark verblasst. Die Skizze aus dem Museumsprospekt verdeutlicht die Szene: Der Falknerin (links) entfliegt der Vogel, angelockt vom voranpreschenden Reiter.
Das Szepter führte Frau Minne, denn jüdische Frauen waren im Mittelalter ihren Männern sozial gleichgestellt. Sie waren für «das Brot» zuständig, damit die Männer im Idealfall ihren religiösen Studien nachgehen konnten. Nur im religiösen Bereich waren die Frauen den Männern untergeordnet. Ihre Gleichstellung verloren die Frauen erst mit der zunehmenden Anpassung an christliche Rechte. Aber im Mittelalter konnte eine Frau ihr eigenes Geschäft führen oder übernahm es vom Ehemann, wenn er nicht mehr anwesend war. Sie konnte sogar geschäftlich auf Reisen gehen und trug dabei zu ihrem Schutz auch Männerkleidung. Spannendes über Jüdische Frauen im Mittelalter erfährt man im online Vortrag der österreichischen Historikerin und Judaistin Martha Keil auf der Webseite des Museums.
Urkunde vom 31. Januar 1329 für den Kredit von 950 Mark Silber von Frau Minne, ihren zwei Söhnen sowie dem Juden Susman an den Grafen von Rapperswil. Filmstill: rv.
Die Urkunde vom Januar 1329 erwähnt Frau Minne namentlich als Kreditgeberin zusammen mit ihren Söhnen und einem Juden Susman. Mangels eines eigenen Siegels heisst es darin: «Und ich, die vorgenannte Frau Minne, binde mich mit meiner Söhne Siegel, da ich kein eigenes Siegel habe.» Frau Minne steuerte 850 und Susman 100 Mark Silber bei, eine sehr grosse Summe. Mit diesem Betrag hätte man zwischen zehn bis achtzig stattliche Häuser in Zürich kaufen können, so die Recherchen der Denkmalpflege. In Anbetracht dieser Geschäftsbeziehung erstaunen die noblen Wappen an den Wänden nicht.
Wappenfries mit hebräischer Beschriftung, links das Wappen der Grafen von Luxemburg, rechts von Kyburg, darunter die hebräischen Schriftzeichen.
Der umlaufende Wappenkranz im oberen Fries zeugt vom hohen Anspruch der Auftraggeber, denn es sind Wappen etwa von den Grafen von Luxemburg, damals eines der wichtigsten Geschlechter im Reich, das wiederholt den König stellte, oder von den Markgrafen von Baden und von Brandenburg. Im schmalen Streifen unterhalb der Wappen stehen hebräische Buchstaben. Die technologische Untersuchung ergab, dass diese im Voraus aufgemalt wurden, damit der Maler die dazugehörigen Wappen richtig platzieren konnte.
Das Haus der Frau Minne ging nach dem Pogrom von 1349 in Stadtbesitz über, Bürgermeister Rudolf Brun kaufte es für 10 ½ Mark Silber.
Die jüdische Bankiersfamilie überlebte den Ausbruch der Pest nicht. Die Juden wurden beschuldigt, die Brunnen vergiftet zu haben. Frauen und Kinder wurden vertrieben und die Männer am 23. Februar 1349 in Zürich auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Möglicherweise war Frau Minne schon vorher gestorben, da Rabbi Moische und seine Frau Halde das Haus im Jahr 1345 für 80 Mark Silber dem Schwager verkauft hatten. Zwei Kinder der Frau Minne sollen in Rapperswil überlebt haben, mussten aber unterzeichnen, dass sie keinerlei Ansprüche an den beschlagnahmten Familienbesitz stellten.
Aus der Manessischen Liederhandschrift, «Konradin von Hohenstaufen bei der Beizjagd», zwischen 1305 und 1340. Bild: Wikimedia Commons.
Die erst 1996 entdeckten mittelalterlichen Wandgemälde erinnern an diese jüdische Familie. Die Darstellungen stammen teilweise aus der Manessischen Liederhandschrift, die zur selben Zeit in Zürich entstanden ist, so etwa die Falkenjagd – im Mittelalter ein Privileg des Adels. Auf der westlichen Wand lockt ein Ritter den Falken von der hinter ihm reitenden Falknerin weg. Auf der östlichen ist ein eigenartiger Bauerntanz mit vornehm gekleideten Damen und wild tanzenden Bauern mit Schwertern dargestellt. Beide Szenen wirken unverfänglich. Doch nach jüdischer Lesart verbergen sie einen tieferen Sinn und warnen, sich auf die verführerische Umwelt einzulassen. Dazu gehört auch das dritte, heute hinter Fliesen verdeckte Bild an der Südwand des abtrünnigen Esau als Bogenschütze mit roter Mähne.
Fotos: rv, Skizzen Museumsprospekt: Stadtarchäologie Zürich und Schauplatz Brunngasse
«Schauplatz Brunngasse», Informationen und Links zur online Vortragsreihe
Der Film «Brunngasse 8» von Hildegard Keller, 2022, läuft zurzeit in Zürich im Kino Houdini, ab 6. Februar in Luzern im Kino Bourbaki.
Soeben gelesen: Es kommt Genugtuung: Die Rudolf-Brun-Brücke soll künftig Frau-Minne-Brücke heissen. So will es ein Vorstoss im Zürcher Gemeinderat, der gute Chancen habe. Damit würde man dem Herrn Brun, der damals nach der Judenvertreibung das Haus der Frau Minne zu einem Pappenstiel erwerben konnte, wenigstens den Brückennamen wegnehmen.