Eine groteske und schräge Geschichte, die ein hysterisches Bürgertum samt Polizei und Armee eines totalitären Systems aufs Korn nimmt – das ist Schostakowitschs Oper «Die Nase». Die Basler Aufführung ist dank Sängerensemble und Orchester ein grosser Opernabend.
Dmitri Schostakowitsch war 22 jährig, als er seine erste Oper schrieb. Die Nase lehnt sich an eine gleichnamige Erzählung Nicolai Gogols von 1836 an, der damit den Repressionsapparat des Zarenreichs und eine spiessbürgerliche Gesellschaft persiflierte. Nun wäre der Zar zwar von der Revolution weggefegt, aber die grosse Freiheit der Künste der ganz frühen Jahre in der Sowjetunion ist der Unterdrückung durch den stalinistischen Machtapparat gewichen. Schostakowitschs Oper wird nach der mit Befremden, aber auch mit viel Begeisterung aufgenommenen Uraufführung 1930 wenige Aufführungen später abgesetzt – zu dekadent die Geschichte, zu westlich die Musik und erst noch: Es fehlt sowjetisches Heldentum.
Beim Barbier (Andrew Murphy) ist zum Entsetzen seiner Frau (Jasmin Etezazadeh) die ominöse Nase aufgetaucht.
In Die Nase geht es um den Staatsbeamten Kowaljow, der eines Tages ohne sein Riechorgan aufwacht und sich schamvoll auf die Suche begibt, während diese Nase in der Stadt herumspaziert, in der Kathedrale gesichtet wird, aber selbst von der Polizei nicht dingfest gemacht werden kann. Der Skandal erfasst die ganze Gesellschaft, nicht einmal der Arzt kann helfen, als die Nase gegen ein Trinkgeld endlich wieder in die Hände des Besitzers gerät. Als der Protagonist am folgenden Tag aufwacht, ist die Nase am alten Ort – fröhlich geht er feiern, weil er wieder im Vollbesitz seiner Kräfte ist.
Diese absurde Geschichte hat der Komponist in ein vielschichtiges musikalisches Gewand gesteckt: Es gibt grosse Arien und Volksweisen, schmetternde Fanfaren und zarte Balalaikamelodien, symphonisches Orchester und Kirchenchor, da sind auch zeitgenössische Disharmonien und das erste lange Schlagzeugsolo der Operngeschichte, wobei es gelingt, die ganze Palette aus verschiedenen musikalischen Quellen in eine temporeiche, anspruchsvolle und zeitgemässe Partitur zu packen. Die drei Akte mit Epilog sind in Szenen unterteilt, die ohne Überleitung aufeinander folgen: Schostakowitsch hat diese harte Schnitttechnik dem noch jungen Film entlehnt.
Abstraktes Bühnenbild (Herbert Fritsch) und perfektes Lichtdesign (Roland Edrich) bieten das ideale Ambiente für die burleske Oper.
Die Nase steht heute regelmässig auf dem Spielplan der Opernhäuser, die jüngste Inszenierung wird nun am Basler Theater aufgeführt. Inszeniert hat mit Herbert Fritsch ein Regisseur, der für bunte, verrückte und absurde Regiearbeit einen Namen hat, am Pult steht mit Clemens Heil ein Dirigent, der sein Orchester präzis wie ein Uhrwerk und zugleich leidenschaftlich durch atemraubende Tempi ebenso wie durch lyrische Passagen führt.
Die Basler Inszenierung, schreibt die Neue Musikzeitung gleich nach der Premiere, habe «jetzt schon Kultstatus.» Ob diese Oper eher eine absurde Groteske sei oder ein subversives Musiktheater im Stalinismus, dessen politische Sprengkraft auch heute noch funktioniert, ist frei wählbar. Gerade in dieser Saison kann man zwei Versionen erleben – in München inszenierte der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, ein Verfolgter des Putin-Regimes, Die Nase mit einer düsteren, schweren Musik, in Basel stellt Herbert Fritsch das Burleske auf die Bühne. Das heisst aber gar nicht, dass die Basler Oper ein leicht verdauliches Stück sei, im Gegenteil, so viel gesangliches und musikalisches Können, so viel Präzision sowohl auf der Bühne als auch im Orchester erfordert die ganze Aufmerksamkeit.
Die als Nase erkannte Staatsrätin in Uniform (Hubert Wild) mit aufgebrachter Menge bei der Flucht aus der Kathedrale.
Fritschs abstraktes Bühnenbild besteht aus Licht und bunten, ineinandergeschobenen Schachteln oder Rahmen, die je nach Bedarf engere oder weitere Durchlässe für die Figuren ermöglichen, mitunter wirkt es, als ob sie ausgeworfen oder wieder eingezogen würden, sobald ihre Aufgabe erledigt ist. Requisiten gibt es keine, aber schon im ersten Bild zeigt sich, dass der Barbier Iwan Jakowlewitsch(Andrew Murphy) weder Rasierschaum noch Messer braucht, um seinen Kunden, den Kollegienassessor Platon Kusmitsch Kowaljow (Michael Borth) zu rasieren. Auch die Nase, die anderntags im Brot des Barbiers auftaucht, existiert weder als Requisit noch als lebensgrosse Figur, welche durch die Stadt spaziert. Sie existiert einfach nur in den Köpfen der aufgebrachten Leute, die nach ihr suchen, sie verfolgen, sie am Ende ergreifen. Wenn sie gemäss Libretto als Staatsrätin in der Kathedralen-Szene auftaucht, ist sie bei Fritsch möglicherweise im Besitz einer rassigen Blondine in Uniform (Hubert Wild), die den Staatsbeamten fasziniert.
Kowaljow (Michael Borth) mit Mutter (Jasmin Etezadzadeh in der zweiten ihrer drei Rollen) und Tochter (Inna Fedorii) im Freudentanz, nachdem die Nase wieder am Ort ist.
Statt Requisiten sind es die Kostüme und der Kopfschmuck der Sängerinnen und Sänger, die dieses Musiktheater zum verrückten Marionettenspiel machen: Frisuren wie aus glasiertem Porzellan und Halbmasken, Anzüge und Kleider wie aus der Puppenstube der Gründerzeit. Damit unterstützt Fritschs kongeniale Kostümkünstlerin Victoria Behr das Bühnengeschehen, wo überzeichnete Figuren mit unnatürlichen Bewegungen das Absurde ausspielen und so die Hysterie einer bigotten Gesellschaft in Szene setzen.
Vor allem aber: Diese Figuren sind allesamt wunderbare Sängerinnen und Akteure, die erst noch für die rasanten Szenen- und Rollenwechsel (alle ausser Borth singen mehr als eine Rolle) verantwortlich sind. Sie folgen einer präzisen Choreographie, welche die Inhalte problemlos transportiert und auch für umwerfend komische kollektive Tanz-Szenen eingesetzt wird: Zum berühmten Schlagzeugsolo wird von etlichen Herren rund um den Protagonisten eine Art Jacke-an-Jacke-ab-Ballett aufgeführt, in der Kathedrale entsteht der sakrale Raum durch Licht und den in einem grossen Kreis sakrale Gesänge intonierenden Chor in Kapuzen. Der Epilog endet mit einem überbordenden russischen Volkstanz, der die Menge immer wilder in Bewegung bringt.
Trailer mit Bildern und einer Tonspur aus Schostakowitschs Die Nase in Basel
Schostakowitsch hat seinerzeit geschrieben, er habe keine witzige oder parodistische Musik komponiert, der Kontrast zur komischen Handlung erzeuge den theatralischen Grundeffekt. Aber Witz und Parodie stecken durchaus in der Komposition. Fritsch konnte sich für seine Umsetzung an die Partitur halten. Was die Solisten – allesamt grossartige Sängerinnen und Sänger, die auch agieren können – und der von Michael Clark einstudierte Basler Theaterchor sowie das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung des Dirigenten Clemens Heil leisten, verdient höchstes Lob. Denn diese Musik fordert absolute Präzision und zugleich eine Leichtigkeit der Klangbilder. Umwerfend, mit welcher Lust und Virtuosität hier in Basel Musiktheater auf die Bühne gebracht wird.
Titelbild: Der schamvolle nasenlose Kowaljow (Michael Borth) samt den Figuren des Jacken-Ballets zum Schlagzeugsolo
Alle Fotos: © Thomas Aurin, Theater Basel
Nächste Aufführungen: 30. Januar, 18., 20., 23.,24., 26. Februar, 4., 13., 20, 24. März
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