Bin ich wirklich ein Patriot? Ja, ich bin ein Patriot. Jemand sagte mir mit einem Augenzwinkern, ich wäre ein Lehnstuhl-Patriot. Wenn bei einem Fussballländerspiel der Schweiz ein herrlich herausgespieltes Tor gelingt, springe ich von meinem Fernsehstuhl auf, juble, klatsche und freue mich, dass die Mannschaft ein Tor erzielt hat. Der Reporter schreit: «Die Schweiz liegt in Führung!» Ich weiss natürlich, dass es nicht die Schweiz ist, sondern die Mannschaft mit guten Spielern des Landes. Erklingt beim Sieg die Landeshymne, freue ich mich und kann mich oft einer Träne nicht erwehren. Der Doppelsieg der Schweizer Männer in Kitzbühel und derjenige der Frauen in Garmisch liessen mein Herz höherschlagen.
Demnächst beginnen die olympischen Winterspiele in Peking. Ich hoffe auf einige Medaillen. Zugleich ärgert mich die Wahl des Ortes, wo jede Schneeflocke künstlich erzeugt werden musste. Ich werde Acht geben müssen, dass ich nicht zu lange vor dem Fernsehkasten hocke. Ich werde, nehme ich mir vor, die Olympiade etwas selektiv geniessen und plane in dieser Zeit auch einige Lesefahrten und Freundschaftsbesuche, damit ich dem Ruf des Lehnstuhl-Patrioten nicht ganz gerecht werde.
Ich hüte mich, meinen Sport-Patriotismus mit nationalen oder gar nationalistischen Gefühlen zu grundieren. Ich weiss, dass übermorgen die Mannschaft eines anderen Landes siegen wird. Nationalistische Gefühle verderben den Sport, degradieren ihn, denn es ist ja nicht das Land, das siegt, es sind die einzelnen Sportler. Es gibt keine bessere Möglichkeit, sich gegen den Nationalismus zu wehren, als zu wissen, dass sich Sieg und Niederlage abwechseln. Heute schwingt Spanien obenauf, morgen Italien, das nächste Mal Japan oder Südamerika. Beim Sport lernt man, mit Niederlagen umzugehen und Siege zu relativieren. Heute wird ein Sportler als der Grösste gefeiert und gepriesen, morgen ein anderer. Wenn Sportler anderer Länder siegen, verliere ich manchmal das Interesse an der Sendung und schalte den Fernseher ab. Mein Narzissmus ist gekränkt. Daran aber erkenne ich, dass ich in sportlicher Hinsicht ein Patriot bin.
Dass Sportler mit Lob überhöht werden, will mir nicht so recht gefallen. Oft wird ihnen voreilig Helden- oder Legendenstatus zuerkannt. Begeisterung kann den Menschen blind machen. Manchmal frage ich mich, wer denn ein Held oder eine Heldin sei. Sind es nicht jene Menschen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um anderen aus einer Not zu helfen? Überragende Sportler sind für mich bewunderungswerte Menschen, die Höchstleistungen erbringen, aber sie sind nun einmal Sportler und keine Helden. Sind sie aus dem Licht der Kameras verschwunden, vergisst man sie schnell. Die Kamera richtet sich nun auf die neuen Sieger. Bei Schweizer Siegen muss es mir aber vergönnt sein, den Augenblick des Sieges für unser Land zu geniessen
Spitzensport ist Unterhaltung auf hohem Niveau. Die Kommentare darüber sind oft ein Unding und die Fragen, die den Sportlern gestellt werden, sind fast immer die gleichen. Die Sportler selber freuen sich am Sieg, aber sie relativieren ihn oft selbst. Aus Erfahrung wissen sie, wie kurz der Glanz eines Sieges leuchtet und dass sich schon beim nächsten Wettkampf ein anderer mit dem Lorbeer krönt. Mich interessieren immer auch die Kommentare der Siegerin oder des Siegers und Interviews. Wenn etwa Beat Feuz gefragt wird, was ihm der Sieg bedeute, so macht er aus seiner Freude keinen Hehl. Wird er noch etwas existenzieller befragt, gesteht er, dass ihm die neugeborene, gesunde Luisa letztlich wichtiger sei als der Sieg. Solche Aussagen zeigen mir, dass er die wahren Werte des Lebens kennt und sein Leben letztlich an ihnen orientiert. Diese Einstellung macht den Sieg noch wertvoller und ein solches Bekenntnis berührt mich tief und ich fühle, dass ich nicht einfach bloss ein Hurra-Patriot bin.