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Zu Besuch bei Hanna Widrig

Viele Jahre ihres Lebens hat die pensionierte Kulturrätin im EDA und ehemalige Geschäftsführerin der «Landis & Gyr Stiftung» im Ausland gelebt. Nun geniesst sie in Bad Ragaz ihre Pension. Seniorweb hat die «Kulturbotschafterin» besucht.

Vom Stubenfenster blicken wir auf den verschneiten Falknis ins Bündner Rheintal hinüber. Die Fensterbank ist gespickt mit blühenden Orchideen. Auf dem Esstisch steht eine Flasche Rosé aus der Bündner Herrschaft. Die Begrüssung ist herzlich und unkompliziert. Hanna Widrig (77) wuchs in Bad Ragaz in einem Dreimädel-Haus auf und ging hier zur Schule. Da sie der Mutter gerne in der Küche half, war ihr erster Berufswunsch Köchin. Doch dann wurde die berühmte Maria Stader ihr Vorbild, und die junge Hanna träumte – nur kurze Zeit! – davon, Opernsängerin zu werden.

Die Realität verlief anders: Nach der obligatorischen Schulzeit ging sie nach Chur an die Handelsschule und nahm nach dem Diplom ihre erste Stelle als Bank-Buchhalterin in Sargans an. Während Sprachaufenthalten in England, Genf und Florenz verbesserte sie später ihre Sprachkenntnisse. In einem Inserat in der «Tribune de Genève» las sie, dass das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) Sekretärinnen suchte. Das interessierte sie. Mit knapp 24 Jahren wechselte sie am 1. August 1968 ins EDA, wo es ihr in der Abteilung «Internationale Organisationen» bestens gefiel.

Die Gastgeberin im Lesezimmer, vor der Bibliothek mit zahlreichen Kunstbänden.

1969 bot sich ihr bereits die Chance, auf die Schweizer Botschaft nach Kuala Lumpur (Malaysia) zu wechseln. Dort musste sie alles neu lernen: Einladungen für Anlässe  schreiben, das «Social Life» des Botschafters organisieren und sich auf internationalem Terrain bewegen. An viele Namen der geladenen Gäste kann sie sich bis heute erinnern, denn das gute Gedächtnis hat sie anscheinend vom Vater, einem Postangestellten, geerbt. In ihrer Freizeit brachte Hanna ihre Freude an der Musik zum Tragen: Mit Berufsmusikern und Amateuren musizierte und konzertierte die Querflötistin regelmässig. Die musikalische Ader hat sie von ihrer Mutter.

Interesse für China

In Malaysia begann sich Hanna Widrig für China zu interessieren und nahm gemeinsam mit zwölf Kantonesen Chinesisch-Stunden (Mandarin). Sie bewarb sich in Bern für eine Stelle auf der Schweizer Botschaft in Peking und war erfolgreich. In den Nachwehen der Kulturrevolution trat sie 1971 in der chinesischen Hauptstadt ihre neue Stelle an und erlebte in den folgenden Jahren die langsame Öffnung des Landes und auch der ganz in der Nähe der Botschaft gelegenen Verbotenen Stadt.

Im Lesezimmer: Hanna Widrig, stehend neben Bildern von Nanne Meyer und Wilfried Moser.

Am Stubentisch in Bad Ragaz serviert die Gastgeberin Nüssli-Salat mit Ei, eine Tranche Lachs auf Zucchetti mit Linsen als Beilage. Während wir das wunderbare Essen geniessen, erzählt Hanna Widrig von ihrem Koch, der sie in Peking verwöhnte und den sie 36 Jahre später nach ihrer Pensionierung in China wieder traf. Sie lernte dann auch dessen Tochter, Studentin an der Universität Ulm, kennen und als diese (inzwischen Dr. in Biologie) 2011 heiratete, fungierte Hanna gleich als «Master of Ceremony». Die Hochzeitsreise führte das Brautpaar samt Brauteltern als erste Station nach Bad Ragaz und weiter durch die Schweiz zu alten Bekannten. Gerne erinnert Hanna sich an ihre Zeit im China der frühen 70er Jahre, zu Zeiten Maos, Chou En-Lais, gar Lin Biao und der «Gang of Four».  Gleichzeitig erlebte sie den fortschreitenden Wandel des Landes. Da Kontakte zur Bevölkerung kaum möglich waren, musizierte sie viel und knüpfte im Kreis der Diplomaten gute Freundschaften, die bis heute währen.

Rückkehr in die «Zentrale» nach Bern

1973 interessierte sie sich für eine Stelle in Äthiopien, doch es mangelte am notwendigen Timing und so liess sie sich 1973 nach Ungarn versetzen, wo sie in einem anderen (kommunistischen) Umfeld ganz neue Erfahrungen machte und wieder neue Freunde kennenlernte. Sie wurde sich auch bewusst, in welch behüteter Umgebung sie in der friedlichen Schweiz aufwachsen durfte. 1975 kehrte sie nach Bern zurück, wo sie in der Politischen Direktion viel Interessantes mitbekam, gleichzeitig mit der Koordination der EDA-Sekretärinnen im Bundeshaus neue Erfahrungen sammelte.

Ihr Wunsch, sich im Ausland kulturellen Fragen zu widmen, erfüllte sich 1977 mit der Versetzung als Kulturassistentin an die Schweizer Botschaft in Washington. Parallel zum Job studierte Hanna Widrig ab 1981 an der «American University» «Internationale Beziehungen» und «Germanistik». 1985 schloss sie das berufsbegleitende Studium mit dem «Bachelor of Art» ab. Inzwischen war sie auch von der «Zentrale» in Bern zur Kulturattachée befördert worden. Das Vermitteln von Schweizer Kultur im Ausland, die Betreuung von Schweizer Künstlerinnen und Künstlern, die Organisation von Kulturanlässen war zu ihrer eigentlichen Berufung geworden.

Hanna Widrig im Gang, Bad Ragaz-Stich von 1798, Geschenk eines Schweizers aus Berlin.

Zurück an der «Zentrale» in Bern vertrat Hanna Widrig das EDA in der Koordinationskommission (heute «Präsenz Schweiz»), wo sie u.a. die China-Gruppe präsidierte, an zahlreichen Grossprojekten beteiligt war und auch an Sitzungen von «Pro Helvetia» teilnahm. 1992 wurde sie als Kulturrätin an die Schweizerische Botschaft nach Deutschland versetzt. Acht Monate arbeitete sie in Bonn, dann verlegte sie die Kultursektion in das nach der Wiedervereinigung boomende Berlin. Von dort aus setzte sie sich im Grossen und im Kleinen für die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz ein, half mit, Künstlerateliers für Kantone und Städte zu suchen und zu betreuen und das breite Netzwerk für die Kulturvermittlung zu nutzen. Ende der neunziger Jahre kehrte sie noch einmal für drei Jahre nach Washington zurück, entschied sich dann, das EDA zu verlassen, als sie das verlockende Angebot zur Leitung der Zuger Kulturstiftung Landis & Gyr (heute Landis & Gyr Stiftung) annahm. Sie tat dies auch aus privaten Gründen, um ihrem inzwischen 90jährigen Vater und ihrer Familie näher zu sein. Die faszinierende Stiftungsarbeit brachte sie mit der Schweiz wieder hautnah in Kontakt und erweiterte ihren Radius  auch nochmals Richtung Osteuropa. Ende 2009 ging sie nach 47 aktiven Jahren in Pension.

Unvergessliche Momente

Beim Dessert, einer feinen Schoggimousse, bilanziert die Gastgeberin ihr berufliches Leben: «Ich habe so viele Höhepunkte in meiner Karriere erlebt, dass es mir schwer fällt, einen herauszupicken, weil sie alle einer bestimmten Lebenslage zuzuordnen sind: «In lebhafter Erinnerung bleibt ein Moment im Jahr 1966, als ich in der Londoner St. Pauls Cathedral mit meinen Schwestern in Anwesenheit der Königin, ihrer Familie, den politischen Grössen an einem Festgottesdienst teilnehmen durfte. Dann sind da all die China-Erlebnisse samt Heimreise von Peking mit der Transsibirischen Eisenbahn im Jahr 1973. Wunderschön war es auch, zahlreiche Konzerterlebnisse wie z.B. die Zauberflöte auf der Wiese in Washingtons «Wolf Trap», die Oper «Idomeneo» am Händelfestival in Göttingen oder Bach-Aufführungen in der Thomaskirche Leipzig direkt zu erleben. Sehr genossen habe ich auch Besuche an historischen Orten, eindrückliche Landschaften, Freundschaften sowie Begegnungen mit vielen interessanten Leuten.»

Historische Ragaz-Bilder im Wartsaal des Bahnhofs.

Seit ihrer Pensionierung am 31.12.2009 ist Hanna Widrig viel und weit gereist, hat aber auch Zeit für die Familien ihrer beiden Schwestern. Dazu gehört eine wunderbare Schar von sieben Grossnichten und sieben Grossneffen im Alter zwischen 3 und 23 Jahren. Ausserdem leitet sie noch die Stiftung «Ragaziana», eine Dokumentationsbibliothek über Bad Ragaz. «Das Leben ist ein ständiger Lernprozess,» bilanziert die Kulturfrau. «Nehmt nichts für selbstverständlich. Nicht die grössten Posten sind die interessantesten, auf den kleinen lernt man oft mehr», sagte sie jeweils zu den Stagiaires im Dienste des EDA.

Das gilt auch für sie selbst. Heute lebt Hanna Widrig zufrieden und erfüllt im wunderschön renovierten Elternhaus in grossartiger Landschaft und geniesst jeden Tag aufs Neue – ob mit oder ohne kulturelle Highlights.

Titelbild: Hanna Widrig am Stubentisch in Bad Ragaz. Alle Fotos PS

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