StartseiteMagazinGesellschaftBücher – gefährdete Zeugen der Geschichte

Bücher – gefährdete Zeugen der Geschichte

Von vielen Kämpfen zur Erhaltung des Wissens im Laufe der Jahrtausende handelt Richard Ovendens Buch «Bedrohte Bücher. Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens.»

Bücher gab es noch lange nicht, auch Papyrus oder noch später Pergament nutzte man noch nicht zum Schreiben, doch schriftliche Zeugnisse fanden neugierige Reisende im 19. Jahrhundert: die Tontäfelchen mit Keilschrift in den Ruinen von Ninive, dem Palast des Assurbanipal. Das Buch des Engländers Ovenden beginnt mit der Erzählung, wie diese frühe Bibliothek in Mesopotamien entdeckt und entziffert wurde.

Ohne Richard Ovenden persönlich zu kennen, kann man ihn nach der Lektüre seines Buches als ebenso klugen wie enthusiastischen Bücherfreund bezeichnen. Sein Engagement für die Erhaltung des Wissens in Archiven und Bibliotheken spricht aus jedem Kapitel, seine Begeisterung springt über, wenn er in vierzehn Kapiteln über das Wohl und Wehe von Büchern, vom Gedeih und Verderb von Dokumenten über mehrere Jahrtausende hinweg erzählt.

Bibliotheken sind, so lesen wir in der Einleitung, für das Funktionieren unserer Gesellschaft von grosser Bedeutung. Es beunruhigt den Autor festzustellen, dass in früheren Jahrhunderten, leider bis heute, Angriffe auf Bibliotheken und Archive stattfinden, obwohl diese Institutionen für den Schutz des Wissens der Menschheit unabdingbar sind. Während in den Anfängen der Menschheitsgeschichte Wissen mündlich überliefert wurde, ging die Entwicklung der Schrift mit dem Bemühen einher, schriftlich niedergelegte Dokumente aufzubewahren. – Die Hürde, die spätere Forscher zu überwinden hatten, war die Entzifferung der entsprechenden Schrift und die Übersetzung. Aber darum geht es hier nicht.

Archive und Bibliotheken – das Gedächtnis der Menschen

Richard Ovenden erzählt in seinem Buch von Zerstörungen, seien es Brände oder andere Ereignisse, die gesammeltes Wissen ganz oder teilweise vernichteten. Im englischen Original hat das Buch den Titel Burning the Books, wörtlich übersetzt also: Die Bücher verbrennen. Er verweist am Anfang auf die Bücherverbrennungen in Deutschland 1933, ein erschreckendes Fanal, das auf die folgenden Jahre des Nazi-Schreckens hinweist. – Es war dies eine zynische Propagandaaktion, die den Bestand der Bibliotheken im Grossen und Ganzen nicht berührte.

In einem späteren, nicht minder bedrückenden Kapitel beschreibt der Autor, wie serbische Milizen 1992 in Sarajewo die Nationalbibliothek von Bosnien-Herzegowina mit voller Absicht in Brand schossen und anschliessend Scharfschützen das brennende Gebäude umstellten, um die Feuerwehrleute und die helfenden Angestellten der Bibliothek daran zu hindern, die Bücher aus dem Feuer zu retten. – «Noch tagelang regnete die Asche der verbrannten Bücher auf die Stadt herab wie schwarze Vögel», so zitiert Ovenden den bosnischen Dichter Valerian Žujo.

In diesem Kapitel schildert der Autor nicht nur die Geschichte dieser Bibliothek, sondern beleuchtet die lange und reichhaltige Geschichte der Buchkultur auf dem Balkan. Sarajewo war eines der Zentren, wo im frühen 16. Jahrhundert eine der wichtigsten Sammlungen von Büchern und Manuskripten in arabischer, türkischer und persischer Sprache entstanden war. Hier wie in allen Kapiteln spüren die Lesenden, wie genau und gründlich der Autor recherchiert hat.

Auf seiner Webseite beschreibt Richard Ovenden sich folgendermassen: «Author, custodian of information, father». Foto:  © John Cairns / Suhrkamp Verlag.

Richard Ovenden, geboren 1964, studierte in Durham und London. Er hat einen Lehrstuhl am Balliol College der Universität Oxford inne. Seit 2014 steht er als 25. Bodley’s Librarian einer der ältesten Bibliotheken Europas vor, die in Oxford beheimatet ist. Ovenden ist international vernetzt, u.a. ist er Mitglied der Londoner Gesellschaft für Altertumswissenschaftler, der Royal Society of Arts und der American Philosophical Society. Von 2009 bis 2013 leitete er die Digital Preservation Coalition. – Das zeigt, dass er sich auch mit den neuesten Methoden der Bewahrung von Wissen auseinandersetzt. In seinem Buch spricht er davon. Wer meint, das Werk eines derart gelehrten Mannes sei schwer zu lesen, irrt sich. Jedes Kapitel geht von einem Ereignis aus. Darum herum breitet der Autor in spannenden Episoden die Vorgeschichte und die Folgen aus.

Weltberühmte Bibliotheken wie diejenigen von Alexandria dürfen in diesem Buch nicht fehlen. Allerdings bestehen darüber nur sehr lückenhafte Informationen und keine greifbaren Zeugnisse. Einen «Scheiterhaufen aus Papyrus» nennt Ovenden das entsprechende Kapitel. Es ist ihr Ruhm als archetypische Bibliothek, in der alles Wissen der antiken Hochkulturen zusammengetragen worden war, so dass alle Schulbücher von Alexandria schreiben. Anlass genug für den Autor, ein Bild der Wissensbewahrung in der Spätantike und dem Frühmittelalter zu zeichnen und zu berichten, was davon noch erhalten ist.

Die Bodleian Library in Oxford vom Radcliffe Square aus gesehen. © Beth Naught / wikimedia.org

Im Laufe der Geschichte ist es allzu häufig vorgekommen, dass Bibliotheken vernichtet, zumeist verbrannt wurden, z.B. 1814 die noch junge Kongressbibliothek in Washington durch die Engländer, die eine Strafexpedition gegen die noch nicht einmal 40jährigen Vereinigten Staaten angezettelt hatten. Der Verlust der gerade erst gegründeten Library of Congress traf die Amerikaner schwer und zerrüttete ihr Verhältnis zu England tief und anhaltend.

Als die Deutschen im 1. Weltkrieg die Bibliothek im belgischen Leuwen in Brand setzten, lösten sie damit eine weltweite Protestwelle aus. Ovenden berichtet nicht nur davon, sondern erklärt auch, worin die Bedeutung dieser Bibliothek liegt und was daraufhin geschah. 1940 zerstörten deutsche Truppe die neuerbaute Bibliothek ein zweites Mal.

Barocksaal der Stiftsbibliothek St. Gallen / wikimedia.org. Die seit dem Frühmittelalter bestehende Klosterbibliothek musste im Laufe ihrer Geschichte einige Verluste hinnehmen, erlitt aber nie grosse Zerstörungen, Plünderungen oder Brände.

Nicht nur solch erschütternde Ereignisse schildert der Autor, er erzählt auch von Schriftstellern, die ihren Nachlass vernichtet sehen wollten. Franz Kafka hatte seinen Freund Max Brod gebeten, alle Manuskripte nach seinem Tod zu verbrennen. Brod schlug seinem lebenslangen Freund diese Bitte ab. Einige Briefe und Notizen, die Kafkas letzte Partnerin in Verwahrung hatte, gingen trotzdem verloren.

Am Ende seines Buches stellt Richard Ovenden fest: «In einer Welt, die gegenwärtig kurzfristig denkt, ermöglichen Bibliotheken und Archive den langen Blick auf die Zivilisationen. Ihre Bedeutung zu ignorieren wäre riskant.» Oder deutlicher formuliert: Bibliotheken und Archive sind im Zeitalter der fake news von unschätzbarer Bedeutung als Stützen der Demokratie und des Rechtsstaates, denn, wie Ovenden schreibt, «sie existieren genau zu dem Zweck, an der dokumentierbaren Wahrheit festzuhalten.»

Richard Ovenden: Bedrohte Bücher. Eine Geschichte der Zerstörung und Bewahrung des Wissens. (Burning the Books. A History of Knowledge under Attack.) Aus dem Englischen von Ulrike Bischoff. Suhrkamp Verlag 2022. 416 Seiten. ISBN 978-3-518-43007-1

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