StartseiteMagazinGesundheitVerständigung im Gesundheits- und Sozialbereich

Verständigung im Gesundheits- und Sozialbereich

Im Rahmen der Careum Summer School 2022 interviewte Seniorweb Carmela Flury, die Leiterin der Abteilung Strategie und Innovation bei Careum. Dabei ging es um Fragen der Verständigung zum Wohl von Patientinnen und Patienten.

Seniorweb: Bei der Frage der Zusammenarbeit von Fachleuten im Gesundheits- und Sozialbereich spielt die Kommunikation eine zentrale Rolle. Inwiefern reden die Fachleute aus den verschiedenen Berufen aneinander vorbei?

Carmela Flury. Aus meiner Erfahrung ist dies selten der Fall. Die Kommunikation wird grundsätzlich vereinfacht, wenn man sich besser kennt. Deshalb ist es wichtig, möglichst viel über das Tätigkeitsgebiet und die Kompetenzen der anderen Berufsgruppen zu erfahren. Durch den Austausch untereinander gelingt es, sich ein Bild eines jeden Berufes zu machen, so dass man im Alltag die Kompetenzen aus den verschiedenen Berufsfeldern gezielt zum Wohl der Patientinnen und Patienten einsetzen kann.

Kommunikation zwischen den Berufsgruppen ist ja gut und recht. Aber das braucht Zeit und Zeit ist Geld. Führt die Zeitinvestition zu Ersparnissen oder vergeudet man da Zeit und Geld?

Man vergeudet sicher nicht Zeit und Geld, das ist aus meiner Sicht klar. Man muss die Sache von einer anderen Seite her betrachten: Der Zeitaufwand für ein Gespräch kann festgelegt werden. Man weiss, wie viel Zeit aufzuwenden ist, wenn eine bestimmte Anzahl Personen sich 20 Minuten lang zu einem Gespräch treffen. Wenn man sieht, wie viele Ressourcen man gewinnt, wenn Patienten durch die interprofessionelle Handlungskoordination zum Beispiel aus einem Spital früher austreten können, erübrigt sich die Frage nach dem Zeitaufwand für Besprechungen.  Entscheidend ist nicht so sehr, wie viel Zeit man für ein Gespräch investiert, sondern was dabei rauskommt.

Die Kooperation und Koordination, die durch ein Gespräch vollzogen wird, ist die eine Seite. Gibt es da aber gelegentlich nicht auch Konkurrenz und Neid zwischen den Berufsgattungen?

Ich kann mir vorstellen, dass dies je nach Institution und Konstellation unterschiedlich ist. Aber wenn man die Kompetenzen der beteiligten Fachleute kennt, ergibt sich ein sachbezogener Dialog ohne Hierarchie. Nun, es gibt immer Leute, die von Machtmotiven gesteuert sind, aber das ist in der Regel nicht das primäre Motiv. Die meisten wollen gute Leistungen erbringen und erfolgreich im Team zusammenarbeiten.

Man hört immer wieder, dass in gewissen Institutionen immer noch starre hierarchische Strukturen herrschen und dass dadurch die Kommunikationsqualität beeinträchtigt wird. Ist das bloss dummes Geschwätz?

Gemäss meinen Erfahrungen verändern sich die hierarchischen Strukturen fortlaufend, wodurch sich auch die Kommunikation und medizinische Entscheidungsfindung verändert. Meistens ist nicht die Hierarchie das Problem, sondern das Fehlen geeigneter Kommunikationsstrukturen. Wenn ein Team Zeitfenster hat, um Dinge zu klären, ist faktenbasiertes Handeln möglich. Die Kommunikationsqualität wird stark beeinflusst durch die gelebten Werte und die Kultur einer Institution. In vielen Institutionen gibt es Vorbilder, welche wertebasiert agieren und Verantwortliche, die Strukturen zur Umsetzung der Werte schaffen.

In Spitälern gibt es die Tradition der Arztvisite im Team, welche Kommunikation im Team und mit Patienten ermöglicht. Reicht das?

Die Kommunikation im Team findet aus meiner langjährigen Erfahrung nicht nur an der Arztvisite statt. Im Alltag sind die grossen Hindernisse oft die internen «Abläufe». Wenn sie nicht optimal aufeinander abgestimmt sind, kann es dazu führen, dass Informationen nicht weitergeleitet werden, dass Zeitpunkte für Klärungen nicht gefunden werden, weil beispielsweise der zuständige Arzt gerade im Operationssaal ist. Deshalb braucht es im Hintergrund Gefässe, in denen Kommunikationsschwierigkeiten bereinigt und Verzögerungen minimiert werden können. Sehr wichtig ist das Engagement aller Teammitglieder und dass sie eine lösungsorientierte Kultur pflegen. Diese am Wohl aller Beteiligten (der Patienten und der Mitarbeitenden) orientierte Kultur muss in der Bildung und Weiterbildung der Fachkräfte immer wieder thematisiert und im Alltag gelebt werden.

Wie sehen Sie die Chancen digitaler Kommunikationskanäle als Ergänzung der persönlichen Kommunikation?

Carmela Flury, Leiterin der Abteilung Strategie und Innovation bei Careum

Es braucht beides. Die institutionsinterne digitale Kommunikation (Klinikinformationssystem) ist eine gute Basis. Sobald ein Problem aber komplex wird, und ein Patient den sogenannten Standardpfad verlässt, braucht es die Ergänzung durch die mündliche Kommunikation. Oft sind Telefonate nur bedingt geeignet, weil man sich in schwierigen Situationen wirklich aufeinander einlassen muss. Am Ende einer Besprechung muss für alle Beteiligten klar ersichtlich sein, was die nächsten Schritte sind und wer für deren Umsetzung zuständig ist. Die schriftliche Kommunikation ersetzt die mündliche nie, weil die Fachsprache und Kenntnisse der verschiedenen Akteure unterschiedlich sind und im mündlichen Gespräch Dinge besser erläutert und nachgefragt werden können, um Missverständnisse zu verhindern.

Kommunikation ist zudem nicht bloss ein Austausch von Worten, dazu kommen non- und paraverbale Botschaften, die ein Gespräch prägen. Wertschätzung und aktives Zuhören sind in einem bloss digitalen Kommunikationssystem nicht zu realisieren.

Braucht es im Spital und in der Pflege mehr Sitzungen?

Die Kommunikationsgefässe sollten in erster Linie zweckdienlich sein. Sie dürfen ein Handlungssystem nicht träge machen, sondern müssen bedarfsorientiert sein. Nicht zu unterschätzen sind auch informelle Gespräche, etwa in Pausen oder am Mittagstisch. Auch da kann nicht selten einiges geklärt und das interprofessionelle Verständnis gefördert werden.

Die Fachleute tauschen sich ja nicht nur über den Heilungsprozess der Patentinnen und Patienten aus, sondern sie reden auch mit den Patienten. Wie nehmen Patienten am Gespräch teil?

Das ist sehr unterschiedlich. Wichtig ist die Entwicklung einer Gesundheitskompetenz, am besten nicht erst, wenn man erkrankt ist. Es ist äusserst wichtig, dass erkrankte Menschen wissen, was sie selbst zum Heilungsprozess beitragen können und wie sie den Heilungsprozess begünstigende Verhaltensänderungen vollziehen können. Hier haben die medizinischen Fachkräfte eine wichtige Funktion. Sie sollten im Gespräch mit dem Patienten erarbeiten, was er selbst zum Heilungsprozess beitragen und wie er kontraproduktive Handlungsweisen überwinden kann. Der Heilungserfolg hängt oft zu einem grossen Prozentsatz vom Mitwirken des Patienten ab und er kann nur mitwirken, wenn er diese Wichtigkeit selbst erkennt.

So gesehen haben die professionellen Kräfte auch eine erzieherische Funktion?

Erziehung ist der falsche Begriff, ich würde von Coaching zur Verhaltensänderung sprechen. Careum unterstützt die Förderung der Gesundheitskompetenz innerhalb der Professionen, aber auch in Bezug auf die Bevölkerung massgebend (durch die Verankerung der Gesundheitskompetenz in einer eigenen strategischen Stossrichtung). Die Akteure des Gesundheits- und Sozialwesens müssen im Gespräch untereinander und mit dem Patienten thematisieren, wie Gesundheitsinformationen gefunden, verstanden, beurteilt und angewendet werden können. Professionelle sollten ihre Botschaft an den Patienten so übersetzen, dass sie ankommt und er die Informationen nützen kann. Dazu gehört auch, den Patienten mit den richtigen Worten zu motivieren, anzuleiten, zu überzeugen, ohne ihn zu überfordern, mit dem Ziel, dass er lernt, für sein Wohl zu sorgen.

So gesehen haben Personen im Gesundheitswesen gewissermassen auch eine Lehrerfunktion.

Absolut! Alle Fachpersonen, die sich im Gesundheitsbereich bewegen, sind in ihrem Gebiet auch gewissermassen Lehrpersonen.

Möchten Sie noch etwas ergänzen?

Ja, vielleicht ein Appell an die Teilnehmenden Lernenden und Studierenden der diesjährigen Summerschool: Mögen Sie das Wissen, das sie hier generiert haben, nach aussen tragen und es im Alltag leben! Mögen sie den Geist der interprofessionellen Zusammenarbeit verbreiten, selbst wenn dazu in Betrieben noch nicht geeignete Gefässe geschaffen sein sollten. Sie sollten nicht warten, bis eine Institution alles bereitstellt oder auferlegt. Sie können im Kleinen jetzt schon beginnen, in kleinen Schritten Positives zu bewirken, so dass es im Alltag spürbar wird.

Infos zu Carmela Flury: «Seit Juni 2022 leitet Carmela Flury die Abteilung Strategie und Innovation bei Careum. Ihre berufliche Laufbahn startete sie im Jahr 2000 mit dem Abschluss des Physiotherapie-Studiums. Sie verfügt über langjährige Führungserfahrung in unterschiedlichen Funktionen am Luzerner Kantonsspital Wolhusen, wo sie unter anderem ein multidisziplinäres Therapieteam und ein Rehabilitationszentrum aufbaute. Carmela Flury schloss 2017 den MBA in Ökonomie und Management im Gesundheitswesen mit den Schwerpunkten Interprofessionalität, Change- sowie Innovationsmanagement an der Berner Fachhochschule erfolgreich ab. Sie unterrichtet seither auch als Dozentin im Bereich Management im Gesundheitswesen.» (aus: www.careum.ch)

Titelbild: Sind alle Begriffe verständlich oder gibt es Sprachbarrieren, welche die Kommunikation und Kooperation beeinträchtigen? («Handshake» von johnhain, pixabay)

Vgl. ergänzenden Artikel unter  https://seniorweb.ch/2022/07/24/lernende-und-studierende-im-austausch-mit-pensionierten/

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