StartseiteMagazinKulturAbreise ins 21. Jahrhundert

Abreise ins 21. Jahrhundert

Im grosszügig angelegten Museumszentrum der Waadt, der «Plateforme 10» beim Bahnhof von Lausanne, zeigt die Eröffnungsschau des Museums «PhotoElysée» 150 Jahre Eisenbahngeschichte.

Das spätbarocke Schlösschen L’Elysée in Ouchy / Lausanne beherbergte bis September 2020 das Musée de la Photographie, die grösste Fotosammlung der Westschweiz mit dem Nachlass vieler renommierter Fotografen des 20. Jahrhunderts, von Nicolas Bouvier, Ella Maillart, René Burri oder der kürzlich verstorbenen Sabine Weiss. Vor kurzem konnten die neuen Ausstellungsräume eingeweiht werden, gemeinsam mit dem Museum für angewandte Kunst und Design MUDAC und dem schon vor zweieinhalb Jahren eröffneten kantonalen Kunstmuseum MCBA. Über dieses hatte Fritz Vollenweider im Oktober 2019 berichtet.

Blick auf die «Plateforme 10» von links: das Kunstmuseum, das MUDAC und das «PhotoElysée» ganz in Weiss. Beachten Sie die Skulptur «Le Crocodile» vor der Fassade des Kunstmuseums – eine Erinnerung an eine von Eisenbahnfans verehrte Güterzuglokomotive.

Neben dem Bahnhof von Lausanne, auf der Plateforme 10, wo früher Lokomotiven abgestellt und gewartet wurden, ist das Museumszentrum nun um einen spektakulären Bau, über den Urs Tillmanns berichtete, vervollständigt worden. Für die Einweihungsausstellung haben sich die drei Museen ein naheliegendes, aber umfangreiches Thema gewählt: 150 Jahre Eisenbahngeschichte, ausgehend von den ersten Pionierfahrten mit der Dampflokomotive bis zu den modernen Formen einer Zugreise. Die drei Museen beteiligen sich gemeinsam an dieser Ausstellung, jedes von seiner Ausrichtung her. Wir beschränken uns hier auf die weitgefächerte Thematik des PhotoElysée.

Bernard Buffet (1928 – 1999), Ma mère et moi enfant et la gare St. Lazare, 1994; huile sur toile; Collection Fonds de dotation Bernard Buffet, Paris

Im Unterschied zum eher kleinräumigen Schlösschen L’Elysée, wo stets der beschränkte Platz die Arbeit der Kuratorin, des Kurators definierte, steht dem Museumsteam nun im Untergeschoss eine weite Ausstellungsfläche zur Verfügung. Schon von der Treppe aus erkennen wir ein Labyrinth aus Stellwänden mit Durchgängen und thematischen Stationen, entstanden wohl aus der Freude der Ausstellungsgestaltenden über die neuen Freiheiten. Zum Glück finden wir eine Broschüre in verschiedenen Sprachen, die als Führer gedacht ist.

Anzuschauen sind nahezu 350 Exponate, nicht nur Fotografien und besonders «bewegte Bilder» (Kurzfilme), sondern auch Dokumente, Plakate, Objekte und Gemälde, jeweils in 15 passende Stationen zusammengefasst, zu denen uns drei Wegstrecken führen. Folgende Idee stand für diese Gliederung im Hintergrund: Eine Reise in der Eisenbahn vollzog sich besonders in der Frühzeit in Etappen; ein Zug besteht aus einer Anzahl von Waggons, jeder Wagen aus einzelnen Abteilen. So mäandern wir also durch die Geschichte der Eisenbahn und durch diejenige der Fotografie und des Films: Das berühmte Werk der Brüder Lumière L’Arrivée d’un train en gare de La Ciotat ist auch zu sehen.

Gustave Jeanneret (1847 – 1927), Sans espoir, 1891; huile sur toile, Museée d’art et d’histoire Neuchâtel

Nicht der technische Aspekt der Eisenbahn, nur teilweise der technische Fortschritt steht hier im Vordergrund, sondern wir Reisende oder die Daheimgebliebenen, die Eisenbahner selbst, der Bahnhof, das Unterwegssein. Seit jeher fasziniert uns das Reisen, Visionen können so entstehen, Utopien, Eroberungsgeist im positiven oder negativen Sinne. – Und Ängste!

René Clément (1913 – 1996), La Bataille du Rail, 1944, Lithographie, Collection la Cinémathèque française Paris.
Es geht darum, dass die Eisenbähnler während des 2. Weltkriegs unter miserablen Verhältnisse hatten arbeiten müssen.

Einer der roten Fäden durch diese Ausstellung zeigt die Wechselwirkung zwischen der Entwicklung der Fotografie, der Entstehung der Filmkunst und der Eisenbahn. Die «Parallele zwischen der Lokomotive als Maschine und dem Fotoapparat, der Filmkamera bzw. dem Filmprojektor offenkundig zu machen», sei eines ihrer Ziele, lassen uns die Ausstellungsmacher wissen: «Raum, Zeit, Bewegung, Licht und Blick fordern Fotografie, Film und neue Fortbewegungsmittel gleichermassen und bestimmen deren sich streckenweise überschneidendes Schicksal.»

Bahnlinie, Schienenstränge und besonders Bahnhöfe inspirieren Künstlerinnen und Künstler seit Beginn des Eisenbahnzeitalters. So erweitert das PhotoElysée diesmal sein Spektrum und bezieht auch Malerei, Druckgraphik, Plakate in ihr Konzept ein. Damit werden wichtige gesellschaftliche und künstlerische Entwicklungen des 19. Jahrhunderts dokumentiert, es zeigt die «Wiege» der Fotografie und des Films. Die Gemälde wirken da ein wenig wie Leihgaben aus fernen Feldern, die das PhotoElysée eigentlich nicht abdeckt. Ein Einwand, den wir gleich relativieren wollen, denn die Schattenseiten der Eisenbahn, Unglücke, extrem harte Arbeitsbedingungen lassen sich nicht zeigen, ohne andere Bildmedien einzubeziehen.

oben: Ceija Stojka (1933 -2013), Ravensbrück 1944, Befreiung 15.4.1945. (2001) Acryl auf Karton, Collection Antoine de Galbert Paris
unten: Ceija Stojka, Achtung, achtung? (2005)
Acryl auf Karton, Collection Antoine de Galbert Paris

Auch der Holocaust wurde mithilfe der Eisenbahn vollzogen. Die österreichische Künstlerin Ceija Stojka, aus einer Roma-Familie stammend, brauchte 45 Jahre, bis sie sich stark genug fühlte, um darzustellen, was sie in Auschwitz, Ravensbrück und Bergen-Belsen erlebt hatte.

Neben Reiseschriftstellern sind auch reisende Fotografinnen berühmt geworden: Ella Maillart gehört zu ihnen. Von Fernweh gepackt, reist sie 1930 in den Kaukasus, 1932 nach Zentralasien und 1934 in die Mandschurei, die von den Japanern zwei Jahre früher als Staat gegründet worden war. Anschliessend unternimmt sie gemeinsam mit dem Times-Reporter Peter Fleming eine für viele Weltenbummler ikonische Reise durch Asien.

Ausstellungsansicht (Foto mp)

Es ist eine altbekannte Erkenntnis: Geschichte verläuft nicht gradlinig, sondern in immer neuen Bahnen, mit Kurven und schmerzhaften Brüchen. Das vielfältige Mosaik, das sich daraus zusammenstellen lässt, zeigt die Ausstellung, deren viersprachiger Untertitel «Destins croisés / Crossing Lines / Freie Bahn / Coincidenze di percorso» lautet. – Nehmen Sie sich genug Zeit!

Geöffnet bis 25. September 2022. Alle Informationen

Titelbild: Christian Coigny (Schweiz, *1946), Gare de Madrid, 1989; épreuve sur papier, au gélantimo-bromure d’argent. Tirage original, daté, signé. Collection Photo Elysée
(alle Fotos mp)

Frühere Artikel über «Plateforme 10»
Fritz Vollenweider: Visionäres Museum in Lausanne
Urs Tillmanns: Einst Lokomotiven – nun viel Kunst

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