StartseiteMagazinKolumnenDie Inflation eines Begriffs

Die Inflation eines Begriffs

Wir sassen in einer kleinen Gruppe gemütlich beisammen, plauderten über die Hitze und ihre Folgen, kreisten um alles, was uns gerade einfiel. Die Heiterkeit des Tages und die frische Luft auf der Höhe, wo wir uns trafen, lockerte die Stimmung. Über uns standen die Churfirsten in majestätischem Stolz. Der Blick ging auf den tiefblauen Walensee. Es gab keinen Schwerpunkt der Diskussion. Die Plauderei plätscherte vor sich her und sprang von Assoziation zu Assoziation. Plötzlich aber platzte die Bombe. Eine Frau sagte schroff, sie ärgere das Geschwafel über die Nachhaltigkeit. Alles und jedes würde heute als nachhaltig bezeichnet. Sogar an den Verkehrs-Bussen im Kanton Zug könne man von «einer nachhaltigen Zukunft» lesen. Dabei werde gebaut, wie noch nie.

Der Begriff, erläuterte ich, tauche im eidgenössischen Forstpolizeigesetz von 1876 auf. Er besage, was dem Wald entnommen werde, müsse wieder aufgeforstet werden, so dass der Wald in seinem Bestand erhalten bleibe. Ganze Wälder seien im 19. Jahrhundert als Bau- und Heizmaterial abgeholzt worden. Der Schutzwald sei massiv geschwunden, sodass die gerodeten Flächen ausgeschwemmt worden seien. Das neue Gesetz habe die nachhaltige Aufforstung verlangt und den Holzfrevel bestraft. Durchsetzbar seien die gesetzlichen Vorschriften nur gewesen, weil die neugegründete Montanunion Kohle lieferte. Das Gespräch zu diesem Thema war damit am Tisch erschöpft.

Aber hatte die Frau nicht in das Wespennest eines Begriffs gestochen, der lästige Fragen aufwarf. Wird der Begriff nicht allzu schönfärberisch gebraucht, um die Tatsachen der Übernutzung und des radikalen Wachstums zu vertuschen? Gibt es Lebensbereiche, mit denen sich der Begriff der Nachhaltigkeit belegen lässt? Die heutige Landwirtschaft ist auf Dünger angewiesen, der als Rohstoff der Erde entnommen wird. Fragt man weiter, fallen kaum Sachbereiche ein, in denen der Begriff in seinem ursprünglich schlanken Sinn benutzt werden kann. Energiehäuser könnten als Beispiel dienen. Sobald sie aber technische Geräte benötigen, um die Sonnen- oder die Erdenergie zu steuern, sind diese auf Rohstoffe der Erde angewiesen, die ihr nicht zurückgegeben werden können. Wären Obst und Gemüse in den Gestellen der Grossverteiler ohne Dünger und Pflanzenschutzmittel so makellos, wie sie präsentiert werden?

Woran liegt es, dass es fast keinen Bereich gibt, in dem nur annähernd nachhaltig produziert wird? Das Schlüsselwort heisst Wachstum. Wir haben uns individuell und gesellschaftlich an Wachstum gewöhnt. Jeder und jede nimmt daran teil und findet Ausreden, die das nicht nachhaltige Verhalten beschönigen. Sogar die Befragung einer grünen Politikerin ergab, dass es zweieinhalb Erden brauchen würde, um zu leben wie sie. Nachhaltigkeit ist zu einem Vertuschungsbergriff geworden. Eine Verbrauchergesellschaft mag ihn als ein Ideal beschwören, aber dieses liegt in platonischer Ferne. Oft werden zur Rettung der Erde Wissenschaft und Technik bemüht, aber solange immer mehr produziert wird, entsteht keine Nachhaltigkeit. Auch beim Recycling bleibt man auf halbem Weg stehen.

Wachstum ist das Schlüsselwort der Gegenwart. Wir wollen Wachstum um jeden Preis. Politik und Wirtschaft verlangen Wachstum und drehen sich im Kreis: «Wachstum braucht man, um die Probleme zu lösen, die das Wachstum produziert»*. Dieser Satz benennt den Teufelskreis, in dem wir gefangen sind. Wir laufen den Übeln, die der Fortschritt schafft, immer hinterher.

Ich will hier nicht den Pessimisten spielen. Aber ich traue den schönen Reden der Verharmloser nicht. Ich lese täglich Zeitungen mit sachlichen Artikeln zum Thema. Wenn hie und da Umweltkatastrophenalarm schrillt, tönt er wie die Sirenen, die zur Probe zwei drei Mal im Jahr auf Funktionstauglichkeit geprüft werden. Alle sagen, sie funktionieren. Diese pessimistischen Töne stimme ich an, um sich nicht mit einer illusorischen Selbstbeschwichtigung zufrieden zu geben. Schaue ich dem inflationär gewordenen Begriff der Nachhaltigkeit auf die «Finger», bin ich sehr ernüchtert.

*Hans Schoch: «Schaffhauser Nachrichten», 28. 01. 2019

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3 Kommentare

  1. Solange die Erdbevölkerung jedes Jahr um 80 Millionen wächst sind unsere Nachhaltigkeitsbemühungen weniger als der berühmte Tropfen auf dem heissen Stein!

  2. Man(n) und (F)rau bleiben meiner Meinung nach so lange in der moralisch begründeten «Nachhaltigkeit», wie sie nicht beginnen, von den allgemeinpolitischen Interpretationen der Tendenzen abzurücken, sich zu fragen, was SIE selbst in ihrem Lebensalltag mehr oder weniger erfolgreich tun ( können ), um Energie zu sparen, sich vernünftig – und bezahlbar ! – zu ernähren und beispielsweise Müll und Plastik im eigenen Umfeld zu verringern. Warum nicht in eine entsprechende Assoziation eintreten oder gar eine solche zu gründen und zu animieren ?

  3. Vielleicht hilft es hin und wieder, wenn je nach Lage der Diskussion und des Themas der Begriff «nachhaltig» durch einen in der Situation des Sprechens oder Schreibens, gefühlt oder wissend, passenderen Begriff ausgetauscht wird?

    Synonyme für «nachhaltig» aus dem «Wortschatz» der UNI-Leipzig: spürbar, sichtbar, anhaltend, wirkungsvoll, stark, entscheidend, dekorativ, scharf, intensiv, dauernd, repräsentabel, empfindlich, einschneidend, fühlbar, durchgreifend, tiefgreifend, effektiv, effektvoll

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