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Geschichten aus dem Limmattal

«Das Limmattal. Hinschauen statt durchfahren» wünschen sich Helene Arnet, Bruno Meier, Urs Tremp und Erich Berchtold, der das Buch illustriert hat, alle wohnhaft – in eben diesem Limmattal.

300’000 Leute leben und arbeiten in dem breiten Flusstal zwischen Zürich und dem Auenwald, wo sich die Limmat – einer der kürzesten Flüsse der Schweiz – in die Aare ergiesst. Millionen dagegen fahren durch – auf der Autobahn oder mit der Bahn – nehmen das Shoppingcenter, den Güterbahnhof oder den Fressbalken, das Brückenrestaurant, noch wahr, aber der Fluss und sein Tal haben viel mehr zu erzählen, als das, was den Durchreisenden gleich ins Auge sticht.

Idylle abseits der Autobahn. Bild: Erich Berchtold

Aber der Limmat entlang entkommt man rasch dem Lärm der Autobahn und wähnt sich mitten in einer Idylle: der ruhige Fluss umsäumt von Schilf und mächtigen Bäumen, Enten und Schwäne, Spuren des Bibers am Ufer. Hier kann man die Natur entdecken und zur Ruhe kommen. Steigt man die Hügel hoch, ist man von dichtem Laubwald umgeben und kann im Sommer mitten im Wald im Egelsee baden. Gegen Baden zu fasziniert der Teufelskeller im Naturreservat mit seinen skurrilen Felstürmen und Höhlen aus prähistorischer Zeit. Einheimische wissen von all diesen Oasen, andere erfahren es in dem Buch.

Erste Fabrikhallen der 1891 in Baden gegründeten BBC, Brown, Boveri & Cie. Bild von 1892.

Doch so ruhig will man es nicht immer haben. Ebenso angenehm ist die Nähe zu Zürich und Baden, dabei schätzt man die optimalen Verbindungen über die Strasse, den öffentlichen Verkehr mit der S-Bahn, Bus und demnächst der Limmattalbahn. Der Flughafen und die Schweizer Zentren wie Basel und Bern sind rasch erreichbar. Heute schaffen Industrie und Handel zahlreiche Arbeitsplätze. Doch lange war das Limmattal ländlich geprägt, erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts investierte Zürich in Textilfirmen, ist im Wirtschaftskapitel von Bruno Meier zu lesen. 1891 eröffneten junge Ingenieure in Baden die BBC, die sich als Elektrotechnikkonzern schnell zum wirtschaftlichen Motor der Region und weit darüber hinaus entwickelte.

Die stinkende Leimfabrik Geistlich kam 1868 nach Schlieren, 2016 wurden die Gebäude abgerissen. Bild kurz nach 1900

Im 19. Jahrhundert verbannte Zürich ihre übelriechenden Betriebe aus der Stadt und verlegte sie ins Limmattal. 1874 sollte auf der Allmend in Schlieren eine Abwasserreinigungsanlage erstellt und das Land mit Kanaljauche bewässert werden. Dank vehementem Widerstand aus Schlieren und Altstetten wurde das Projekt 1879 versenkt. Stattdessen entstand 1898 das Gaswerk Zürich, von dem nur noch ein markanter Gasometer geblieben ist. Er dient heute Kunstschaffenden, besonders Bildhauern, als Ateliers für ihre sperrigen Arbeiten.

Helene Arnet, die in Schlieren aufgewachsen ist, erzählt vom dramatischen Niedergang der Wagi, der ehemaligen Wagon- und Aufzügefabrik. Heute steht hier der Bio-Technopark Schlieren-Zürich mit 55 Firmen und akademischen Institutionen. Mit der Schliessung der Wagi 1985 hatten 700 Mitarbeitende ihre Stelle verloren, inzwischen arbeiten mehr als doppelt so viele auf dem Areal.

Schlieren, das lange Zeit mit einem schlechten Image zu kämpfen hatte, brachte mit dem Cabaret Rotstift (1954-2002) die ganze Deutschschweiz zum Lachen. Gegründet wurde es von Werner von Aesch zusammen mit sechs Lehrerkollegen, um mit den Einnahmen Kindern aus ärmeren Familien die Teilnahme am Skilager zu ermöglichen. Auch die Lieder der Schlieremer Chind, ebenso eine Initiative von Werner von Aesch, werden bis heute gesungen.

Oberhalb von Dietikon und Spreitenbach errichtete Bruno Weber (1931-2011) mit seinem Skulpturenpark eine fantastische Gegenwelt. Auf der anderen Seite der Limmat, im ehemaligen Römer-Steinbruch in Würenlos, befindet sich die Emma Kunz Grotte. Hier hatte die Heilpraktikerin und Künstlerin Emma Kunz (1892-1963) das Heilgestein AION A entdeckt, und hier sind im Museum auch ihre geometrischen Bilder ausgestellt. Über die Klosterhalbinsel Wettingen und dem Fluss entlang führt der Kulturweg, von Neuenhof bis Brugg zudem der Industriepfad. Im Limmattal ist also auch viel Kunst und Kultur zu finden, wie im Text von Bruno Meier und Urs Tremp zu lesen ist.

Auf dem Kulturweg, von Hans Anliker «Gespräch über den Fluss» auf der Gwaggelibrugg. Bild: Erich Berchtold

Heute versucht man die Region, auch mittels der Limmattalbahn, als «Limmatstadt» zu verbinden. Das Limmattal war historisch jedoch nie eine Einheit. Zürich und Baden waren immer Gegenspieler: Zürich als Hauptstadt der Reformation in der deutschsprachigen Eidgenossenschaft, Baden als katholisches Bollwerk, Versammlungsort der eidgenössischen Tagsatzung sowie Bäderstadt. Politisch-konfessionell führte das regelmässig zu militärischen Auseinandersetzungen, auch zu wiederkehrenden Überfällen der Zürcher auf Baden. Zugleich waren die Heilbäder ein Magnet für die Zürcher Oberschicht. Im 1815 publizierten Buch Die Badenfahrt setzte der Zürcher David Hess (1770-1843) dem Kurort ein Denkmal. Erst vor kurzem wurden die Bäder mit Mario Bottas Bau als Wellnessoase Fortyseven – 47 Grad heiss ist die Therme – eröffnet.

Titelbild: «Fressbalken», die Raststätte Würenlos über der Autobahn A1 mit weissblauem Anstrich seit dem Umbau 2004. Foto: Wikimedia Commons

«Das Limmattal. Hinschauen statt durchfahren» Helene Arnet, Bruno Meier, Urs Tremp, mit Bildern von Erich Berchtold. Verlag Hier und Jetzt, Zürich 2022. ISBN 978-3-03919-562-6

Siehe auch: Ruth Vuilleumier, Als das Zweiertram bis Dietikon fuhr

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