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Erinnern kann Zukunft haben

Wer sich erinnert, schaut zurück. Was er erinnert, ist vorbei, oft tot und lässt sich nicht mehr beleben. Blättert er das Fotoalbum durch, freut er sich an den Schnappschüssen von einst, aber sie bleiben als Erinnerungsbilder eingeklebt und haben keine Zukunft. Wann aber haben Erinnerungen Zukunft? Der Philosoph Sören Kierkegaard weiss, Erinnerung haben Zukunft, wenn sie sich wiederholen. Er sagt, Erinnern und Wiederholung sind dieselbe Bewegung, nur in gegensätzlicher Richtung. Was erinnert werde, sei gewesen, weise rückwärts, werde es aber wiederholt, habe es Zukunft. Diese Doppelbewegung klingt paradox, leuchtet sofort ein, wenn es mit einem Beispiel belegt wird. Im Fotoalbum lachen Bräutigam und Braut sich liebevoll an. Eine wunderbare Erinnerung. Die Braut in einem weissen Kleid, blumengeschmückt, und mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. Der Bräutigam in schwarzer Kleidung mit hervorstechender roter Krawatte, noch jung und ohne Bart. Dreissig Jahre später hat die Erinnerung noch eine Zukunft, wenn wiederholt wird, was man sich gegenseitig liebend versprochen hat. Ist die Liebe erkaltet, ist die erinnerte Vergangenheit verblichen. Sie lebt nicht mehr. Sie hat keine Zukunft.

Dieses Beispiel ist wie ein Muster für weitere Erinnerungen. Wir wissen aus Erfahrung, dass der Mensch im Alter selten etwas tut, was er nicht schon immer getan hat. War er zum Beispiel ein Fischer, dann wird er sich nicht nur am Bild erfreuen, das ihn mit einem Prachtsfang darstellt, es lebt nur weiter, wenn er noch immer Fischen geht. Las jemand in seinem Leben Bücher, wird er seine Neigung auch im Alter fortsetzen. Bastelte er neben dem aktiven Berufsleben Eisenbahnlandschaften, hat die Erinnerung Zukunft, wenn er noch im Ruhestand Schienen verlegt und an Landschaften, Gleisen und Weichen arbeitet. Mit seinem Hobby wird es ihm nicht langweilig. Ludwig Hasler hat ein Buch verfasst mit einem Titel, der aufrütteln kann: «Für ein Alter, das noch etwas vorhat». Mit diesem knüpft er, vielleicht nicht bewusst, an Kierkegaard an, der wusste, dass «Erinnerung ein kümmerlicher Zehrpfennig ist, der nicht sättigt, aber die Wiederholung», sagt er, «ist das tägliche Brot, das sättigt mit Segen».

Kierkegaard gönnt sich ein wenig Ironie, wenn er schreibt, es sei keineswegs des Lebens Ernst, auf dem Sofa zu sitzen und in den Zähnen zu stochern oder als Justizrat feierlich durch die Strassen zu stolzieren und etwas zu sein, z. B. ein Hochwürden. Man könnte diese damals gebräuchlichen Titel mit einem Regierungsrat oder einem Bankdirektor ersetzen, die noch immer mit ihrem ehemaligen Titel hausieren. Blosse Erinnerungen sättigen nicht. Die Tätigkeit, die zu den Titeln führte, lassen sich im Ruhestand nicht wiederholen. Dennoch kann die Erfahrung Wege zeigen, etwas zu tun, was Bedeutung hat und von den Menschen als bedeutungsvoll anerkannt wird. Wer dazu keine Ideen hat, findet bei Ludwig Hasler eine Palette mit unzähligen Möglichkeiten. Pensionierte sollen nicht warten und hoffen, dass etwas passiert, denn die Hoffnung ist nach Kirkegaard wie ein neues Kleid, das steif und glatt sei, und da man es noch nicht angehabt habe, wisse man nicht, wie es kleide und ob es sitze. Er bedenke aber, dass jede Tätigkeit, auch eine neue, Erinnerungspotential hat.

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1 Kommentar

  1. Zu Ihrer Kolumne fällt mir spontan der Satz ein: Das Leben soll JETZT gelebt werden, weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft. Erinnerungen sind Erlebtes, das vorbei ist und ich glaube nicht, dass es wieder «aufgewärmt» werden kann. Wenn, wie in Ihrem Beispiel des Hochzeitspaares, die einst versprochene Liebe immer noch empfunden wird, so wird sie in der Gegenwart gelebt und über die Jahre hat sie eine andere Konsistenz und eine andere Daseinsform bekommen, als in ihren Anfängen.
    Erinnerungen sind, um beim Bild von Kierkegaard zu bleiben, wie abgelegte Kleider. Man trug sie vielleicht gern, fühlte sich wohl mit ihnen oder auch nicht. So oder so, sie haben ihren Platz in unserer Vergangenheit und hie und da schauen wir zurück.

    Die Zukunft liegt noch vor uns, sie muss noch gestaltet werden. Das erwähnte Buch von Ludwig Hasler verspricht hier Abhilfe. Die Aussprüche wie «Carpe diem, unterwegs im Ruhestand», kennen wohl viele Rentner*innen, oder «Die Lizenz zu vertrotteln» finde ich auch schön, oder «Am Ende hilft, wenn überhaupt, nur Galgenhumor. Wohl die beste Art, das Alter zu „überleben“.
    Was wirklich zählt, ist die Gegenwart, im Augenblick liegt der Geist der Zeit. Oder wies bei Goethe heisst: „Das Wunder ist des Augenblicks Geschöpf.“

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