Regisseurin Leonie Böhm und Schauspieler Lukas Vögler zeigen am Schauspielhaus Zürich eine eigenwillig performte Einmann-Inszenierung von Anton Tschechows Theaterstück «Drei Schwestern».
Seit über 120 Jahren weiss Anton Tschechows Drama von den „Drei Schwestern“ davon zu überzeugen, dass das Leben erstens langweilig ist und zweitens nie jene Erwartungen erfüllt, die man trotz allem komischerweise hegt. Im Mittelpunkt des 1901 uraufgeführten Stücks stehen die drei Schwestern Olga, Mascha und Irina, die nach dem Tod ihres Vaters in der Provinz festhängen. Einzig die Hoffnung, dass ihr Bruder Andrej einen Ruf als Professor an die Moskauer Universität erhält und sie dann mitnehmen wird, lässt die drei Schwestern die Provinz noch aushalten.
Ausstieg aus bisherigen Lebensentwürfen
Ursprünglich sollte das Tschechow-Stück Ende 2020 als Ensemblestück am Schauspielhaus gespielt werden. Doch der Corona-Lockdown verhinderte dies. Regisseurin Leonie Böhm wagte eine reduzierte Inszenierung, bestehend aus einem Schauspieler (Lukas Vögler) und einem riesigen schwarzen Panther auf der leeren Bühne, die im Frühling 2021 einmalig gestreamt wurde. Nun wird die gestreamte Fassung mit verschiedenen Anpassungen und einem Live-Chor im Publikum unter dem Titel «Schwestern» als Live-Version auf der Pfauenbühne gespielt.
Der Fremdbestimmung entfliehen: im Bild Souffleur Janos Stefan (links) und Lukas Vögler, den Riesenpanther umarmend.
Um es gleich vorwegzunehmen, die knapp einstündige Aufführung mit Lukas Vögler ist ein gewagtes Experiment, das mit Tschechows Version nicht mehr viel gemeinsam hat, obschon durchgehend Originaltext verwendet wird. Ausgehend vom Ende des Stücks, wird monologisch das gänzliche Aussteigen aus bisherigen Lebensentwürfen reflektiert. Laut Programmheft geht es um ein «empathisches Selbstbewusstsein, das Resonanz und Begegnung in der Gesellschaft leben will, sich dafür aber aus der sozialen Fremdbestimmung lösen muss».
Dem Alltagstrott entfliehen
Zum Auftakt sitzt Lukas Vögler, der die Rolle des Bruders Andrej der drei Schwestern verkörpert, im Publikum, schäkert mit ebenfalls im Zuschauerraum sitzenden Ensemblemitgliedern, befragt sie nach ihrem Befinden und über mögliche Verbindungen, angelt sich langsam auf die Bühne hoch. Auf der Bühne zelebriert der bärtige Aussteiger mit langem Haar, umsorgt von dem auf einem Stuhl sitzenden Souffleur Janos Stefan, mal laut, mal leise sein Bemühen, dem Alltagstrott und der Fremdbestimmung zu entfliehen und sich selbst zu leben, verliert sich («Ich habe alles verloren. Alle meine Überzeugungen»), gesteht sich ein, dass er ohne Gegenüber keine Ahnung hat, «wer ich bin», umkreist den furchteinflössenden Panther schreitend und tanzend, lamentiert unverkrampft über emphatische Autonomie und Verbundenheit. Er verlässt die Bühne für einige Minuten, um – wie er sagt – «eine zu rauchen», was einiges Murmeln und Kichern im Zuschauerraum zur Folge hat.
Lukas Vögler umkreist das Raubtier tanzend. Fotos: Gina Folly
Am Ende klettert Lukas Vögler ins weit aufgerissene Panthermaul, aus den Boxen ertönt das Rammstein-Lied «Ohne dich kann ich nicht sein», das Raubtier vollführt im Nebeldunst furchterregende Bewegungen, die Bühne verdunkelt sich, die Augen des Raubtiers leuchten als Mahnmal für ein neues Lebensgefühl.
Es ist vorab der Auftritt von Lukas Vögler, der den etwas schwermütigen Theaterabend erträglich macht. Er meistert die Rolle des Aussteigers mit Bravour, agiert nicht lehrerhaft, sondern nonchalant mit wenig Dramatik und viel Komik. Dafür gabs am Premierenabend viel Applaus.
Weitere Spieldaten: 23., 25., 28., 31. Januar, 2., 9., 12., 24., 25., 26. Februar