StartseiteMagazinKolumnenAn die Genfer Konvention erinnern

An die Genfer Konvention erinnern

Ich lese: «Ein kleiner, eiskalter Mann mit undurchschaubarem Ehrgeiz, dessen Namen man zur Abwechslung aussprechen kann, Putin, löste den Säufer Jelzin ab und versprach, die Tschetschenen notfalls auf dem Klo abzuknallen.» Geschrieben von Annie Ernaux, Nobelpreisträgerin Literatur 2022, in ihrem grandiosen Buch «Les années», das 2008 erschienen ist. Welche Analyse, welche Weitsicht.

Ich lese, russische Soldaten haben den ukrainischen Soldaten Tymofiy Mykolayovych Shadura, der seit dem 3. Februar 2023 vermisst wurde, genauso hingerichtet. Im entsprechenden Video, das weltweit in den sozialen Netzwerken grosse Beachtung findet, steht er rauchend in einem kahlen Wald, er ruft «Ruhm für die Ukraine» – und wird dann mit einer Maschinengewehrsalve «abgeknallt», um Putins Wort zu verwenden.

In den letzten Tagen feuerte die russische Armee unzählige Raketen ab, verteilt auf die ganze Ukraine, bis nahe an die polnische Grenze. Erstmal setzte sie auch geballt Hyperschall-Raketen, Putins «unbesiegbare Wunderwaffe», auf wichtige Infrastruktur-Anlagen ein. Experten befürchten, dass sowohl die ukrainische als auch die russische Armee jetzt im kommenden Frühling zu neuen Offensiven starten werden, dass der sich anbahnende Zermürbungskrieg noch lange kein Ende finden wird.

Derweil sitzen unsere Parlamentarierinnen und Parlamentairer im Nationalrats- und Ständeratssaal und mühen sich ab, sich nicht zu einigen, möglichst zu keinen Entscheiden zu kommen, so dass Länder, die über Schweizer Munition, Abwehrraketen, Panzer verfügen, diese nicht an die Ukraine weiterliefern dürfen, wenn sie auch möchten.

Unheilige Allianzen zwischen Rechten und Linken blockieren bislang sinnvolle Lösungsansätze, die Mitte kann sich nicht einmal auf eine minimale Lösung verständigen, und einzelne Ratsfrauen und -herren versuchen sich zu profilieren. Ständerat Daniel Jositsch (SP) beispielsweise hob zu einem rhetorischen Höhenflug an, so dass ihm selbst die NZZ staatsmännisches Format bescheinigte: «Wir müssen nicht allen gefallen», meinte er und zielte auf die europäischen Staaten, welche von der Schweiz endlich tapfere Taten erwarten, auch wenn sie die Neutralität unseres Landes respektieren. Es aber nicht verstehen, dass wir abseitsstehen, uns nicht eingliedern in die Allianz der demokratischen Staaten, die ein Bollwerk bilden gegen die Ansprüche Putins, vorerst mal die Ukraine gewaltsam in sein Imperium einzugliedern. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die eloquente, stark engagierte deutsche FDP-Sicherheitspolitikerin, brachte es in einem Interview mit dem Tagesanzeiger auf den Punkt: »Wir können uns nicht mehr auf die Schweiz verlassen.»

Putin setzt neben seinem Angriffskrieg kommunikativ auf eine infame Schuldumkehr. Günther Baechler, ehemals Diplomat und OSZE-Gesandter im EDA, formulierte diese Umkehr der Schuld in der NZZ sinngemäss präzis und unmissverständlich: «Der völkerrechtswidrige Angriff wird nach Putin zur präventiven Verteidigung, die Aggression zur Reaktion, die Eroberung zur Sicherheit Russlands.» Tagtäglich hämmern Putins staatsgelenkte Medien diese Botschaften in die Köpfe der Russinnen und Russen. Und für die gibt es kein Entrinnen. Wer nicht hören will, müssen fühlen, gar im Gefängnis.

Daniel Jositschs Gegenspieler im Ständerat, Thierry Burkart, Präsident der FDP, der sich selbst als Transatlantiker bezeichnet, versuchte, dem rhetorischen Feuerwerk Jositschs seine Neutralitätssicht entgegenzustellen. Für Jositsch gibt es aber kein Abweichen, er argumentierte sogar strenger als sonst Christoph Blocher. Burkart dagegen wollte zaghaft lockern und scheiterte. So duellierten sich zwei Protagonisten im Ständerat, in der Chambre de réflexion, wo sonst abgewogene, sinnhafte Entscheide fallen.

So bleibt in der Schweiz vorerst unentschieden, wie sich unser Land zur Ukraine verhalten soll. Sie bleibt auf Distanz, genauso wie der Bundesrat, der sich vornehm aussen vor verhält, obwohl im Parlament Leadership von ihm gefordert wird. Und seltsam verhält sich auch die beliebteste Magistratin der Landesregierung, Bundesrätin Viola Amherd, welche die Forderung des Parlaments nach Leadership nicht aufnimmt, das Feld dem Parlament überlässt. Mit ihrer Beliebtheit beim Volk könnte sie in der aktuellen Diskussion um die Neutralität ein Zeichen setzen. Zu einer Neutralität, die der humanitären Tradition der Schweiz Rechnung trägt, der Genfer Konvention gerecht wird. Denn die Schweiz als Sitzstaat der Konventionen, in erster Linie der Bundesrat, hat immer wieder die Weltöffentlichkeit daran zu erinnern, dass mit der Genfer Konvention die Zivilbevölkerung zu schützen ist, dass Kriegsgefangene weder gefoltert oder getötet werden dürfen. Putins Armee tut das jeden Tag. Verstossen ein Staat oder seine Bürger gegen diese Vorschriften, dann können sie vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag angeklagt werden. Putin verstösst gegen diese Regelungen jeden Tag. Die neutrale Schweiz hat immer wieder darauf hinzuweisen.

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1 Kommentar

  1. Anton Schaller verdient ein grosses Bravo für diesen Artikel. Ich schäme mich für die momentane Haltung der Schweiz. Als Kind erlebte ich in der Nähe der deutschen Grenze die grosse Angst der Bevölkerung vor einem Überfall – nicht vorstellbar, dass das passiert und Hilfe wird verweigert!

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