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Als Keramik aus Schaffhausen kam

Das Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen erinnert an die begehrte Keramik der Tonwarenfabrik Ziegler, deren Tore vor 50 Jahren endgültig geschlossen wurden.

Ein café complet erwartete mich jedes Mal, wenn ich als Studentin aus Deutschland zu meinen Wirtsleuten in Zürich zurückkehrte. So aufmerksam wurde ich an anderen Studienorten nicht empfangen – aber ob mir Birchermüsli und Kaffee in Ziegler Keramikgeschirr serviert wurde, das weiss ich nicht.

Teeservice, grüner Spritzdekor, 1930/40er Jahre, Museum zu Allerheiligen, Foto: Jürg Fausch

Die Geschichte der Zieglerschen Keramikproduktion begann 1828. Der Industrielle Jakob Ziegler pachtete die damals städtische Ziegelhütte. Damit ging die Verpflichtung einher, für die Stadt Backsteine und Dachziegel zu produzieren. Jakob Ziegler (1775-1863) stammte aus einer begüterten Winterthurer Familie. Sein Vater galt als Universalgelehrter und zugleich als schillernde Persönlichkeit. Auch Jakob war ein gebildeter Mann, ohne dass genau bekannt ist, wo er sein Wissen erworben hatte. Anzunehmen ist, dass er in Lausanne Chemie studiert hat. Selbstbewusst, wagemutig, stark und von Pioniergeist durchdrungen – so können wir uns Jakob Ziegler vorstellen. Er schrieb ein Stück Schweizer Industrie- und Kulturgeschichte.

Johann Jakob Oechslin, Medaillon mit Porträtbüste des Firmengründers J.J. Ziegler, 1846, Museum zu Allerheiligen, Foto: Jürg Fausch

Ziegler hatte wohl von Anfang an nicht die Absicht, nur die mit der Stadt vereinbarten Ziegeleiwaren herzustellen. Schon drei Jahre später entstanden in der Ziegler’schen Thonwaarenfabrik die verschiedensten Keramikartikel: chemische Gefässe, Baukeramik, Sanitärkeramik, aber auch Koch- und Gebrauchskeramik. Besonders begehrt wurden die Imitationen des englischen Wedgwood-Geschirrs, das «schwarze Steingut». Dafür erweiterte Ziegler seine Tonwarenfabrik und baute auf der anderen Rheinseite, im zürcherischen Flurlingen ein Gebäude mit Wasserkanal und Kraftwerk. Damit die beiden Teile seiner Firma stets gut verbunden waren, liess er 1857 einen Holzsteg errichten, der bis 1943 genutzt wurde. Ziegler blieb ein Pionier, der sich an allem Möglichen versuchte: an der Herstellung von Bleistiften, dem Betrieb einer Ölmühle, einer Torfpresse, einer Schiesspulvermühle und anderem.

Seinen Wohnsitz hatte Jakob Ziegler in Winterthur behalten. Dort forschte und experimentierte er, bis er als 87-jähriger eines Tages zu viel Risiko einging: Er beabsichtigte, Schiesspulver «ohne Explosionsgefahr» herzustellen, – und es kam zu einer Explosion. Ihm selbst geschah nichts, doch seine «Küchenmagd» kam ums Leben. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung verurteilt, starb aber, bevor er die Gefängnisstrafe antreten musste.

Ausstellungsansicht (Foto mp), Aufstellung von Keramiken, wie sie in einem Musterkatalog präsentiert wurden.

Beim Rundgang durch die Ausstellung folgen wir der Entwicklung der Tonwarenfabrik durch die 145 Jahre ihres Bestehens. Wir erfahren von den wirtschaftlichen Erfolgen, der Teilnahme an den im 19. Jahrhundert wichtigen Weltausstellungen, aber auch von zwei Katastrophen: 1912 zerstörte ein Brand den Schaffhauser Fabrikteil weitgehend. Der Betrieb wurde nach modernen Grundsätzen wiederaufgebaut und der Flurlinger Fabrikteil aufgegeben. 1944 warfen amerikanische Flugzeuge irrtümlich Bomben auf Schaffhausen und zerstörten damit auch zwei Drittel der Tonwarenfabrik. Wiederum war es für die Familie Ziegler die Gelegenheit, den Wiederaufbau nach den modernsten Kriterien zu realisieren.

Mokkaservice mit Wollfadendekor, um 1960, Museum zu Allerheiligen, Foto: Jürg Fausch

Allerdings wurde der Aufschwung nach dem 2. Weltkrieg schnell gebremst. Mit der billigen Konkurrenz aus anderen Ländern konnte die Zieglersche Firma auf Dauer nicht mithalten, obwohl immer wieder neue Ideen ausprobiert wurden, wie die Ausstellung zeigt. 1973 wurde der Betrieb endgültig geschlossen. – Wie viele Keramikprodukte in Schweizer Haushalten noch genutzt und gepflegt werden, zeigt der Eingangsbereich, wo Interessierte aufgefordert waren, ihre Vasen, Teller, Schalen als Leihgaben auszustellen. Über Kopfhörer lässt sich nachhören, was die Besitzerinnen und Besitzer mit den Gegenständen verbindet.

Ziegler-Keramik zeichnete sich stets durch schöne Formen aus. Die wandelten sich zwar im Laufe der Epochen, viele Gegenstände wirken auch heute noch modern – oder nostalgisch. 1838 hatte die Tonwarenfabrik begonnen, mit dem Schaffhauser Bildhauer Johann Jakob Oechslin (1802-1873) zusammenzuarbeiten. Dieser schuf Portraitbüsten, Reliefs und kleine Plastiken. Auf der Weltausstellung in London 1851 erregten die Zieglerschen Keramiken Aufsehen.

Gustav Spörri bei der Arbeit, 1956

Um den Aufschwung nach dem Wiederaufbau zu befördern, engagierte die Tonwarenfabrik 1949 den Keramikkünstler Gustav Spörri (1902-1976). Er sollte als Leiter der neu geschaffenen Kunstabteilung der Ziegler-Keramik ein neues Image verleihen. Nach seinen Entwürfen entstanden viele neue Formen und Dekore. Spörri kreiierte daneben viele Einzelstücke, die heute vielleicht auf einem Estrich verstauben. – Nur Keramikkennern ist dieser in Süddeutschland aufgewachsene Schweizer Künstler heute noch bekannt.

Eine sehenswerte Ausstellung, die kulturhistorische Aspekte, die Freude an schöner Keramik, mit wirtschaftsgeschichtlichen Aspekten der letzten zwei Jahrhunderte verbindet.

Ziegler Keramik. Begehrte Schaffhauser Tonwaren 1828 – 1973.
Bis 9. Juli 2023 im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen.
Zu der Ausstellung findet ein umfangreiches Begleitprogramm statt.

Titelbild: Ausstellungsansicht (Foto mp)

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