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Von Muschelaugen inspiriert

Neurowissenschaftler der Universität Zürich haben neuartige Objektive für die Lichtmikroskopie entwickelt, die statt Linsen Spiegel nutzen. Als Inspiration dienten ihnen einerseits astronomische Teleskope und andererseits die Augen von Jakobsmuscheln.

Einige Muschelarten können sehen. Jakobsmuscheln zum Beispiel haben bis zu 200 Augen, die ihnen helfen, Fressfeinde wie herannahende Seesterne zu erkennen. Allerdings unterscheidet sich das Muschelauge erheblich vom menschlichen Auge. Während beim Menschen die Kombination aus Hornhaut und Linse ein Bild auf der Netzhaut erzeugt, fokussiert bei Jakobsmuscheln ein halbkugelförmiger Spiegel das Licht.

Mit Linsen oder Spiegeln

Das Erzeugen von Bildern mit Spiegeln statt Linsen ist bei astronomischen Teleskopen verbreitet, um so viel Licht wie möglich von Planeten, Sternen und Galaxien einzufangen. Im Schmidt-Teleskop, das in den 1930er-Jahren von Bernhard Schmidt (1879–1935) entwickelt wurde und bis heute in vielen Sternwarten im Einsatz ist, wird eine dünne Korrekturlinse mit einem grossen Kugelspiegel kombiniert.

In der Erforschung des biologischen Mikrokosmos sind Spiegelobjektive eher selten anzutreffen. Die meisten Mikroskop-Objektive sind so kompakt, dass sie problemlos aus vielen Linsen zusammengesetzt werden können. Für höchste Bildqualität sind jedoch 10 bis 15 Linsen aus verschiedenen Glassorten erforderlich, die präzise poliert und exakt zueinander ausgerichtet werden müssen. Die Kosten von Mikroskop-Objektiven für die Forschung bewegen sich so häufig in der Grössenordnung eines Mittelklassewagens und machen einen erheblichen Teil der Gesamtkosten eines Mikroskops aus.

Kompatibilität mit Immersionsmedien als Hürde

Neben ihrem komplexen Aufbau weisen viele kommerzielle Objektive den Nachteil auf, dass sie in der Regel nur für ein bestimmtes Immersionsmedium wie Luft, Wasser oder Öl konzipiert sind. Für Proben in unterschiedlichen Immersionsmedien muss so jeweils ein neues Objektiv erworben werden. In den letzten Jahren haben sogenannte Clearingverfahren, die Gewebeproben transparent machen können, in Biologie und Pathologie grosses Interesse geweckt: Anstatt beispielsweise ein Mäusegehirn aufwendig in dünnste Scheiben zu schneiden, kann es mit Hilfe von Clearing-Techniken als Ganzes transparent gemacht werden.

In der Pathologie gibt es Hoffnung, dass durch Clearing Biopsieproben effizienter untersucht werden können, um bösartige Gewebeveränderungen wie Tumore früher zu diagnostizieren. Leider nutzen die meisten Clearingverfahren jedoch Immersionsmedien, die nicht mit herkömmlichen Mikroskop-Objektiven kompatibel sind.

Das Schmidt-Objektiv ermöglicht detaillierte Aufnahmen von Nervenzellen im Gehirn einer Maus. (Bild: Anna Maria Reuss (USZ) & Fabian Voigt (UZH))

Um die Beschränkungen konventioneller Mikroskop-Objektive zu umgehen und inspiriert von den Augen der Jakobsmuscheln, die im Prinzip wie kleine Schmidt-Teleskope unter Wasser funktionieren, entwickelte UZH-Neurowissenschaftler und Amateur-Astronom Fabian Voigt einen unkonventionellen Ansatz: Er erkannte, dass es möglich ist, ein Schmidt-Teleskop mit einem flüssigen Immersionsmedium zu füllen und auf die Grösse eines Mikroskops zu schrumpfen.

Eine Art winziges Schmidt-Teleskop

Das resultierende Schmidt-Objektiv ist damit sozusagen ein Miniatur-Teleskop, das unter Wasser gesetzt wurde und trotzdem ein scharfes Bild liefert. «Es ist möglich, ein Schmidt-Objektiv so auszulegen, dass es in jeder homogenen Flüssigkeit und auch in Luft exzellente Bildqualität liefert», sagt Voigt. «Damit ist ein einziges Schmidt-Objektiv mit vielen verschiedenen Clearingtechniken kompatibel.» Grund für diese ungewöhnliche Eigenschaft ist, dass ein Spiegel anstatt Linsen verwendet wird und die Korrekturlinse speziell angepasst ist. Ein Kugelspiegel fokussiert das Licht an derselben Stelle, egal ob in Flüssigkeit getaucht oder in der Luft.

Auch für die medizinische Diagnostik

Um die Vielseitigkeit dieses innovativen Ansatzes zu demonstrieren, haben Forschende in Zusammenarbeit mit Fabian Voigt und UZH-Professor Fritjof Helmchen mit dem Schmidt-Objektiv-Prototypen eine Vielzahl von Proben untersucht, darunter Mäusegehirne, Kaulquappen und Hühnerembryos. Zusammen mit einem Team der Universität Maastricht konnten auch geclearte menschliche Hirnproben analysiert werden.

Darüber hinaus eignet sich das neue Objektiv zur Messung neuronaler Aktivität im Gehirn von jungen lebenden Zebrafischlarven. «In allen Fällen war die Bildqualität gleichwertig oder sogar besser als mit herkömmlichen Objektiven – und das, obwohl das Schmidt-Objektiv lediglich aus zwei optischen Elementen besteht», fasst Helmchen zusammen. «Im Vergleich zu klassischen Objektiven, die rund ein Dutzend mehr Linsen aufweisen, kann ein Schmidt-Objektiv daher wesentlich kostengünstiger hergestellt werden.» Zukünftige Anwendungsmöglichkeiten sehen die Forschenden auch in der Untersuchung von Tumorgewebe oder in der Erkennung von neurologischen Erkrankungen. «Insofern könnten uns Jakobsmuscheln den Weg zu einer verbesserten medizinischen Diagnostik weisen», so Helmchen.

Titelbild: Die blauen Augen der Jakobsmuschel dienten als Inspiration für das neuartiges Mikroskop-Objektiv. Jedes Auge enthält einen kleinen Kugelspiegel, der Licht auf Photorezeptoren bündelt. (Bild: istock.com/ShaneKato)

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