Der Pulverdampf unter der Bundeshaus-Kuppe hat sich seit Mittwoch etwas verzogen. Es ist Ruhe eingekehrt in der Wandelhalle, in den Ratssälen. Zeit um eine erste Bilanz zu ziehen. Anton Schaller sprach mit Gerhard Pfister, Präsident der Partei „Die Mitte“, und fragte ihn: Bleibt von der ausserordentlichen Session der eidgenössischen Räte tatsächlich etwas zurück?
Der Bundesrat hat Notrecht angewandt, und das Parlamentsgesetz sieht in solchen Fällen die Möglichkeit einer ausserordentlichen Session vor. Es ist deshalb richtig, dass das Parlament zusammengekommen ist, um ein erstes Mal eine politische Beurteilung vorzunehmen, und dem Bundesrat auch anzuzeigen, welche Massnahmen das Parlament erwartet, wie es den Entscheid beurteilt. Der Nationalrat hat mehrheitlich den Finanzierungsbeschluss abgelehnt. Das heisst, die Mehrheit des Nationalrats hat dem Bundesrat und der Finanzdelegation eine Rüge erteilt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Fusion von CS und UBS ist dennoch gültig, und der finanzielle Rahmen von 109 Milliarden ebenso.
Anton Schaller: Sie waren sehr präsent in den Medien, nicht aber am Rednerpult. Das überliessen sie vorwiegend ihrem Fraktionschef. Warum?
Gerhard Pfister: Gerade weil ich in den Medien für die Partei Präsenz übernahm, hat im Parlament unser Fraktionspräsident Philipp Bregy unsere Positionen vertreten.
Sie fielen in dieser aufgeregten Stimmung im Bundeshaus dadurch wohltuend auf, dass Sie als einer der wenigen zugaben, in der Vergangenheit in Bezug auf die Regulierung der Banken Fehler gemacht zu haben?
Wer wie ich schon 2008, als die UBS gerettet werden musste, im Parlament sass, ist verantwortlich für das sogenannte „Too big to fail“ Gesetz, das anschliessend im Parlament beschlossen wurde. Dieses Gesetz sollte verhindern, dass es nochmals nötig wird, dass man mit Steuergeld eine systemrelevante Bank stützen muss. Und jetzt ist es wieder passiert, das Gesetz war untauglich. Da kann ich doch nicht behaupten, ich hätte keine Fehler zu verantworten.
In den langen Debatten ging es immer wieder um die Höhe der Eigenkapital-Ausstattung einer grossen Bank und um die ungeheuer hohen Boni, die sich die Bankmanager unter gütiger Aufsicht der Verwaltungsräte und letztlich auch der Aktionäre zuschanzten. Warum diese doch enge Betrachtungsweise?
Weil es – neben der Frage, ob man die grossen Banken aufteilen muss – die beiden wichtigsten Fragen sind, auf die wir eine Antwort finden müssen.
Sie gehörten mit Ihrer Partei der Mitte zu den Verlierern, in dem die Mitte der 109 Milliarden-Verpflichtung zustimmte, den Bundesrat, Bundesrätin Karin Keller-Sutter vergeblich unterstützte, zwei Mal aber überstimmt wurde?
Im Ständerat, wo Die Mitte und die FDP eine Mehrheit haben, wurde das Rettungspaket angenommen. Im Nationalrat haben SVP und Linke, also SP und Grüne, eine Mehrheit. Beide Pole waren nicht bereit, von Maximalforderungen abzurücken. Gerade weil sie auch wussten, dass ein Nein keine unmittelbaren negativen Folgen haben wird, konnten sie es sich leisten, abzulehnen.
Wie hoch schätzen sie den Schaden ein, in dem der Nationalrat dem Bundesrat durch das Nein Vertrauen entzog, ihn im Regen stehen liess?
Es liegt im Charakter von Polparteien, wenig Hand zu bieten für Mehrheiten, wenn sie nicht 100% das bekommen, was sie wollen. Ob sie sich damit aber selbst einen Gefallen tun, entscheidet das Volk. Persönlich finde ich es für den Nationalrat als Institution nicht besonders glaubwürdig, wenn man eine ausserordentliche Session will, bis tief in die Nacht Sitzungen abhält, Sitzungsgelder kassiert, gleichzeitig noch sich im Parlamentsrestaurant mit Raclette und Weisswein die Zeit zwischen den Abstimmungen verkürzt, und am Ende dann doch nichts Substantielles entscheidet. Wenn das Volk dann den Eindruck erhält, dass der Nationalrat seine Verantwortung etwas gar leicht nimmt, kann ich es ihm nicht verdenken.
Medien sehen in Karin Keller-Sutter die grosse Verliererin. Welchen Schaden trägt sie wirklich davon?
Keinen wesentlichen für den Moment. Dass der Bundesrat nicht immer im Parlament Mehrheiten findet, muss er akzeptieren können. Wichtiger ist die Aufarbeitung, warum Bundesrat, Finma und SNB nur vier Tage Zeit hatten, um das Rettungspaket zu schnüren. Hat man vorher nicht gesehen, wie dringlich die Schieflage der CS war? Oder hat man es gesehen und zu spät reagiert? Das sind die eigentlichen Fragen, die man meines Erachtens nur mit einer PUK beantworten kann.
Das an sich doch recht neue Element der Debatten, in dem Ratsmitglieder am Schluss eines Votums der Rednerin oder dem Redner eine kurze und präzise Zwischenfrage ohne Begründung stellen können, feierte Urstände. Bereits am Dienstag, zur späten Stunde, standen vornehmlich SVP-und SP-Ratsfrauen und -Ratsmänner in einer Reihe an, um Karin Keller mit besserwisserischen, gehässig vorgetragen Fragen in Bedrängnis zu bringen. Und den Höhepunkt erreichte diese Form am Mittwochmittag, als die SP-Fraktion aufgrund der Fragen/Antworten vom vorgesehenen Ja abrückte und geschlossen Nein stimmte, weil Karin Keller-Sutter erstmals etwas zerfahren wirkte und in ihren Antworten sehr vage blieb. Dieser Schwenk beendete die Sondersession. Eigentümlich? Einem Parlament würdig?
Jedes Mitglied des Parlaments muss diese Frage für sich selbst beantworten können. Mein Eindruck war, dass Bundesrätin Keller Suter nicht zerfahren wirkte, sondern bezüglich ihrer Entschiedenheit, die Frage der höheren Eigenmittel für systemrelevante Banken wirklich eingehend selbst zu prüfen und allenfalls anzugehen. Hier blieb sie vage.
Könnte es sein, dass sich Karin Keller-Sutter bei den Übernahme-Verhandlungen zu weit aus dem Fenster lehnte, der UBS in Bezug auf das Eigenkapital, in Bezug auf die Boni zu weit entgegenkam und jetzt in der Debatte nicht auf die Forderungen der SVP, insbesondere der SP eintreten konnte, ohne das Gesicht zu verlieren?
Der Deal mit der UBS wurde eben sehr schnell gemacht. Möglicherweise blieben da gewisse Sachen eben offen, ungeklärt. Die Bedingungen des Deals müssen noch genauer angeschaut werden.
Christoph Blocher, mit dem Sie sich kürzlich in einer heftigen Kontroverse im Blick auseinandersetzten, hat die SVP-Fraktion immer noch eisern im Griff. Und nicht nur das: Er ist immer wieder auch ausserparlamentarisch aktiv mit der Initiative zur Wahrung einer starren Neutralität, und jetzt will er die UBSplus mittels einer neuen Initiative verzwergen. Wer stellt sich ihm entgegen, wenn nicht Sie?
Niemand muss sich Christoph Blocher «entgegenstellen», sondern ich schätze es, wenn jemand klare Positionen hat und man darüber dann gut mit ihm streiten kann. Das ist bei Christoph Blocher der Fall. Ich sehe die Rolle der Schweiz in der Gegenwart anders als er, aber ich diskutiere lieber mit Menschen, bei denen ich weiss, woran ich bin. Sein Einfluss auf die SVP ist nach wie vor entscheidend. Die SVP lebt noch immer stark von ihm. Er hat die Partei praktisch im Alleingang so gross gemacht, und die meisten Mitglieder der Fraktion verdanken ihre Wahl indirekt Christoph Blochers langjähriger erfolgreicher Aufbauarbeit für die SVP. Da ist es nur legitim, wenn Blocher auch heute noch die wichtigen Entscheide der SVP mitprägt.
In den Debatten fiel mit auf, dass nur Jürg Grossen, der Präsident der Grünliberalen, etwas ausholte, den Bogen weiter spannte, die Krise in den Zusammenhang stellte, zu dem Einfluss der USA, zu der Internationalen Finanzindustrie, zur aktuellen Ukrainekrise, zum Bild, das die Schweiz aktuell insgesamt abgibt. Gehen die geostrategischen Fragen einfach am Parlament vorbei?
Diese Legislatur ist vermutlich eine Zeitenwende, die die Rolle der Schweiz in der Welt neu bestimmt. Nur wissen wir noch nicht wie. Und wir müssen diese Rolle erst noch gemeinsam finden.
Oder ist das Parlament nicht willens, nicht in der Lage, sich diesen Fragen anzunehmen, diese Einbettung auch nur zu erkennen, vergessen, sie wahr zu nehmen?
Ich gehe immer mit der Positiv-Einstellung ins Parlament, dass alle meine Kolleginnen und Kollegen das aus ihrer Sicht Beste für die Schweiz wollen. Das Spannende an der Politik ist ja dann, dass es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, was das Beste für die Schweiz ist. Und eben das kontrovers zu debattieren und an Sachfragen zu entscheiden, ist die Rolle des Parlaments.
Eine letzte Frage: Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen: Das Verhältnis zur EU muss dringend geregelt werden. Wie steht es um unsere Verteidigungsfähigkeiten, können wir das Land allein schützen, ohne Kooperation mit der Nato? Wie steht es um die Solidarität mit der Ukraine, mit den indirekten Waffenlieferungen? Ist die Schweiz aufgrund der gemachten Erfahrungen in dieser Sondersession in der Lage, diese grossen Fragen zu klären, zuversichtlich, dass uns das auch weiterhin gelingt? Andersrum gefragt: Was ist zu tun, dass es gelingt?
Diese letzte Frage ist eigentlich nicht nur eine und jede Antwort darauf führt zu vielen neuen Fragen. Aber gerade die Tatsache, dass plötzlich solche grossen und wichtigen Fragen auf der Agenda der Politik stehen, zeigt, dass wir in einer Zeitenwende stehen. Mein Wunsch ist es, dass die Schweizer Politik auch den Mut hat, diese grossen Fragen anzugehen und darauf Antworten zu finden. Das ist nicht einfach, aber meines Erachtens nötig, denn die Schweiz muss anerkennen, dass die Krisen der Welt nicht mehr so anständig sind mit unserem Land wie bisher und einen Umweg um die Schweiz machen. Sondern dass wir unsere Rolle als neutraler Kleinstaat mit westlichen Werten in Europa neu definieren müssen.
Gerhard Pfister (60) ist seit 2003 Nationalrat, seit 2016 Parteipräsident der CVP. Er studierte Philosophie und doktorierte über den Schriftsteller Peter Handke. Nach den Wahlen 2019 stiess er den Reformprozess seiner Partei an, der damaligen CVP. Er fusionierte seine Partei mit der BDP. Seit Januar 2021 heisst die Partei „Die Mitte Schweiz“. Pfister gilt als der profilierteste Politiker in Bundesbern. Er ist auch Stiftungsrat der Stiftung Pro Seniorweb.
Ein äusserst aufschlussreiches Interview.
Gerhard Pfister, Präisiden der MITTE PARTEI, versteht es stets allerbestens die Dinge korrekt auf den Punkt zu bringen. Er sucht im Interesse des Landes Schweiz immer den Kontakt zu und mit allen Parteien: «Lösungsfindung» gehört zu seiner primären Perspektive!
Schon alleine, was Pfister über Christoph Blocher sagt, erklärt, wie der Weg zu Lösungen gesucht werden muss: «Niemand muss sich Christoph Blocher «entgegenstellen», sondern ich schätze es, wenn jemand klare Positionen hat und man darüber dann gut mit ihm streiten kann. Das ist bei Christoph Blocher der Fall.»
Ein äusserst aufschlussreiches Interview.
Gerhard Pfister, Präisiden der MITTE PARTEI, versteht es stets allerbestens die Dinge korrekt auf den Punkt zu bringen. Er sucht im Interesse des Landes Schweiz immer den Kontakt zu und mit allen Parteien: «Lösungsfindung» gehört zu seiner primären Perspektive!
Schon alleine, was Pfister über Christoph Blocher sagt, erklärt, wie der Weg zu Lösungen gesucht werden muss: «Niemand muss sich Christoph Blocher «entgegenstellen», sondern ich schätze es, wenn jemand klare Positionen hat und man darüber dann gut mit ihm streiten kann. Das ist bei Christoph Blocher der Fall.»
…..bloss sollte dieser freundeidgenössische Streit, diese Diskussion dann tatsächlich stattfinden.Das war leider weder vor noch nach dem Beitritt zur UNO der Fall. Für die SVP war der UNO-Beitritt nicht mit der dauernden bewaffneten Neutraliät kompatibel. Das Spannungsverhältnis zwischen UNO-Charta und dauernder Neutralität wurde leider nie ausdiskutiert. Das Resultat kennen wir, von der missglückten rechtlichen Regelung der Waffenausfuhr bis zur parlamentarischen Kakophonie bezüglich unserer Haltung im Ukrainekrieg.
…..bloss sollte dieser freundeidgenössische Streit, diese Diskussion dann tatsächlich stattfinden.Das war leider weder vor noch nach dem Beitritt zur UNO der Fall. Für die SVP war der UNO-Beitritt nicht mit der dauernden bewaffneten Neutraliät kompatibel. Das Spannungsverhältnis zwischen UNO-Charta und dauernder Neutralität wurde leider nie ausdiskutiert. Das Resultat kennen wir, von der missglückten rechtlichen Regelung der Waffenausfuhr bis zur parlamentarischen Kakophonie bezüglich unserer Haltung im Ukrainekrieg.