StartseiteMagazinKolumnenWie viele Leben hat ein Buch?

Wie viele Leben hat ein Buch?

Eine Katze, sagt man, habe sieben Leben. Und wie viele Leben hat ein Buch? Wenn Sie es in der Buchhandlung Ihres Vertrauens kaufen oder es in Ihrer Lieblingsbibliothek ausleihen, hat das Buch bereits ein Vorleben hinter sich. Vielleicht hat es schon ein paar Jährchen hienieden verbracht, einige textliche Amputationen, Transformationen und Transplantationen überstanden, bis es die Gestalt angenommen hat, in der es sich Ihnen nun präsentiert. Doch dieses Vorleben braucht Sie nicht zu interessieren, darüber legen wir den Schleier der Diskretion, wie es sich manchmal auch für menschliche Vorleben empfiehlt. Das Buch ist nun ganz einfach da. Es hat den Weg zu Ihnen gefunden, weil Sie vielleicht die Autorin schon kennen, darüber am Radio gehört oder in der Zeitung eine Besprechung gelesen haben, was zwar rar geworden ist. Oder sein Titel hat Ihre Neugier geweckt, sein Cover hat Sie angesprochen, eine Freundin hat Ihnen das Buch empfohlen, Ihr Partner hat es Ihnen geschenkt.

A propos Titel, die neugierig machen: «Jahre mit Martha» (Fischer Verlag, 2002) war vor kurzem so ein Fall bei mir. Vielleicht lag es daran, dass ich eine Schwester habe, die Martha heisst. Jedenfalls, ich wusste nichts über das Buch, nichts über seinen vierzigjährigen Autor Martin Kordić, bloss der Titel zog mich an. Hier meine dringende Lektüreempfehlung für «Jahre mit Martha». Der Roman erzählt über Herkunft, Milieu und Familie. Er zeigt, wie sich die Hauptfigur Željko, von allen Jimmy genannt, über Bildung von seinen Nächsten entfremdet und sich ihnen nach erfolgreichem Studienabschluss, der ihm kein Glück bringt, langsam wieder annähert. Und ja, «Jahre mit Martha» erzählt auch eine Liebesgeschichte, nur ganz anders, als man es sich gemeinhin vorstellt.

Bücher speichern Leben

Zurück zu Ihrem Buch, das Sie in den Händen haben. Sie lesen es. Mit mehr oder weniger Begeisterung, schnell oder langsam, mit angehaltenem Atem oder mit Seufzern, die mancherlei bedeuten können. Und nach der letzten Seite klappen Sie das Buch zu. Vielleicht denken Sie noch darüber nach, sprechen mit anderen Lesenden darüber, leihen es einem Freund aus oder vielleicht lesen Sie es gar ein zweites Mal. Und dann? Stellen Sie es auf das Regal, wo vielleicht schon viele, viele Bücher, vielleicht gar in Doppelreihen stehen oder übereinander gestapelt liegen? Bücher, auf denen stets ein wenig Staub liegt. Bücher, über die Ihr Blick manchmal streift. Bei gewissen Werken versuchen Sie, sich zu erinnern, was drinsteht. Vielleicht nehmen Sie eines aus dem Regal, blättern darin. Und Ihnen fällt ein: Genau, dieses Buch habe ich den Cinque Terre gelesen. Oder auf einer langen Bahnfahrt nach Mecklenburg-Vorpommern.

Bücher sind Speicher unseres eigenen Lebens. Sie enthalten neben der Geschichte, die sie erzählen, auch unsere eigene Geschichte. Vielleicht lesen Sie ein Buch nochmals, das Sie vor zwanzig oder vor dreissig Jahren gelesen haben und werden für kurze Zeit wieder zur Person von damals. Vielleicht begegnen Sie kleinen Notizen am Rand, mit Bleistift hingekritzelt, begegnen Sie Ausrufezeichen, mit denen Sie Stellen bezeichnet haben, die Ihnen damals wichtig waren. Vielleicht würden Sie heute die gleichen Stellen wieder anzeichnen. Vielleicht ganz andere. Vielleicht gar keine mehr, weil das Buch einer Lektüre nach vielen Jahren nicht mehr Stand hält.

Bücher-Brocki und Bücher auf Reisen

Vielleicht geht es Ihnen wie mir: Auch Ihre Bücherregale oder Bücherschränke sind übervoll. Es gibt keinen Platz mehr für weitere Bücher. Aussortieren. Ausmisten. Weggeben. Verschenken. Nur, wer denn will alte Bücher haben? Ins Altpapier damit, in den Container der Entsorgungsstelle? Oder Ins Antiquariat, ins Brockenhaus? Aber auch Antiquariate und Brockenhäuser nehmen längst nicht mehr alle angebotenen Bücher. Allerdings gibt es vor allem in Städten spezielle Bücher-Brockis, die gut erhaltene Bücher annehmen und sie zu günstigen Preisen wieder verkaufen. Ein Aufenthalt in einem Bücher-Brocki mit seinem übersichtlichen, gut sortierten und fast täglich neuen Angebot ist grossartig. Gefahr: Man schleppt mehr nach Hause als man hergebracht hat!

Nicht nur Bücher, sondern auch Telefonkabinen haben ein zweites Leben.

Eine gute Einrichtung sind auch öffentliche Bücherschränke, oft in Form umfunktionierter, ehemaliger Telefonkabinen. Man stellt Bücher hinein und … nimmt andere mit! Manchmal lasse ich ein Buch absichtlich in der Bahn liegen, schicke es allein auf die Weiterreise und hoffe, es stosse auf eine gute Finderin. Oder ich lasse es bei schönem Wetter auf einer Bank an einer Seepromenade absichtlich zurück. Schon oft ist mir passiert, dass mir dann jemand das Buch nachtrug mit den Worten: «Oh, Sie haben Ihr Buch vergessen.» Und ich habe mich bedankt, das Buch wieder eingesteckt und seine Botschaft verstanden: Es möchte noch eine Weile bei mir leben.

Bilder: Ayse Yavas, Theres Roth-Hunkeler

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  1. Genau so geht es mir auch mit meinen Büchern; sie widerspiegeln vielfach die Etappen in meinem Leben. Ich kann mich einfach nicht trennen, sie nicht loslassen. Es gab ein einziges Buch das ich in der Jugend gelesen und sofort in den Abfall schmiss. Es handelte u.a. von den brutalen Übergriffen der Roten Armee der ehemaligen Sowjetunion auf die Zivilbevölkerung bei der Besetzung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Dieses Buch hat mich dermassen schockiert, dass ich seinen Anblick nicht mehr ertrug.

    Gerne habe ich Bücher verschenkt, weil ich mit dem Thema abgeschlossen hatte und es beim Beschenkten gerade passte. In jungen Jahren habe ich oft auch Bücher ausgeliehen, die dann nicht mehr zurück kamen. Bücher lesen ohne Haptik und Geruch, sind für mich nur Texte und irgendwie seelenlos. Ausleihen habe ich auch probiert, aber es ist irgendwie nicht dasselbe. Darum werde ich wohl bis an mein Lebensende voll Vorfreude und Neugier neue Bücher kaufen und hoffentlich mit Gewinn lesen und anschliessend ins übervolle Bücherregal stellen.

  2. Genau so geht es mir auch mit meinen Büchern; sie widerspiegeln vielfach die Etappen in meinem Leben. Ich kann mich einfach nicht trennen, sie nicht loslassen. Es gab ein einziges Buch das ich in der Jugend gelesen und sofort in den Abfall schmiss. Es handelte u.a. von den brutalen Übergriffen der Roten Armee der ehemaligen Sowjetunion auf die Zivilbevölkerung bei der Besetzung Deutschlands nach dem 2. Weltkrieg. Dieses Buch hat mich dermassen schockiert, dass ich seinen Anblick nicht mehr ertrug.

    Gerne habe ich Bücher verschenkt, weil ich mit dem Thema abgeschlossen hatte und es beim Beschenkten gerade passte. In jungen Jahren habe ich oft auch Bücher ausgeliehen, die dann nicht mehr zurück kamen. Bücher lesen ohne Haptik und Geruch, sind für mich nur Texte und irgendwie seelenlos. Ausleihen habe ich auch probiert, aber es ist irgendwie nicht dasselbe. Darum werde ich wohl bis an mein Lebensende voll Vorfreude und Neugier neue Bücher kaufen und hoffentlich mit Gewinn lesen und anschliessend ins übervolle Bücherregal stellen.

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