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Malerei: Shirley Jaffe

Das Kunstmuseum Basel präsentiert das Gesamtwerk einer fast vergessenen Künstlerin, die 26jährig aus New York nach Paris kam und bis zu ihrem Tod mit 93 Jahren dort malte.

Wer die Ausstellung Shirley Jaffe. Form als Experiment besucht, kann fast nicht glauben, dass diese Künstlerin erst heute von einem grösseren Publikum entdeckt wird. Einzelne Sammler und Galeristen waren interessiert, aber den Durchbruch hat sie wie andere Frauen ihrer Generation erst nach ihrem Tod.

Shirley Jaffe im Atelier, Paris 2008. © Bibliothèque Kandinsky, Centre Pompidou, MNAM-CCI / Jean-Christophe Mazur © 2023, ProLitteris, Zurich

Viele Jahre lebte sie – ausser wenn sie ein Stipendium bekam – am Existenzminimum, manchmal habe ihr sogar das Geld für die Farben gefehlt. Aber sie hatte als «Amerikanerin in Paris» (Ausstellungstitel 2022 im Museé Pompidou) im Kreis der Expats einen stabilen Freundeskreis aufbauen können. Denn für die internationale Kunstszene galt die französische Hauptstadt auch nach dem zweiten Weltkrieg noch als Mekka.

Arcueil Yellow, 1956. Centre Pompidou, Musée national d’art moderne, Paris. © Centre Pompidou, MNAM-CCI/ Audrey Laurans © ProLitteris, Zürich

Shirley Sternstein (1923-2016) aufgewachsen in Brooklyn, kam 1949 nach der Kunstausbildung in New York mit ihrem Mann, der ein Stipendium für Studien an der Sorbonne hatte, nach Paris. Die Ehe hielt nicht lange, aber Shirley Jaffe blieb in Paris, wo sie die amerikanischen Künstler um Sam Francis, Kimber Smith oder später Joan Mitchell zu ihren Freunden zählte. Befreit von den moralischen Zwängen ihrer Heimat malte sie Bilder im Stil der Zeit: Riesige Formate in abstraktem Expressionismus. Anzunehmen ist, dass auch sie von Claude Monets grossen Seerosenbildern inspiriert worden war, wie Jackson Pollock oder Willem de Kooning, den sie sehr bewunderte.

Ohne Titel. © Centre Pompidou, MNAM-CCI/ Audrey Laurans © ProLitteris, Zürich

Jaffe verwendet zunächst helle Farben, malt im schnellen Gestus und intuitiv. Obwohl es der Künstlerin um die Suche nach der radikalen Harmonie in der Abstraktion geht, lassen sich diese Tafeln lesen wie aus der Natur geboren: Felsbrocken, Mittagssonne, Wasserfälle, Eisformationen. Später wird die Farbpalette dunkler, die Gemälde scheinen in die Wand zu dringen. Jaffe will den Raum aufbrechen, wie sie später in einem Interview sagt.

Zu einer beachteten Gruppenausstellung zusammen mit den Freunden Sam Francis und Kimber Smith kommt es 1958: Arnold Rüdlinger, damals Leiter der Basler Kunsthalle und in Paris auf der Suche nach der zeitgenössischen amerikanischen Malerei, kuratiert mit den drei Namen eine Schau in Paris.

The White Line, 1975. Privatsammlung, Paris. Foto: © Alan Wiener © 2023, ProLitteris, Zurich
1963 und 1964 kann Shirley Jaffe dank eines Stipendiums ohne materielle Nöte in Berlin leben. Hier erfindet sie sich nochmals neu, lässt die gestische Malerei hinter sich und sucht sich im Strukturalismus zu finden. Die Ford Foundation hat neben bildenden Künstlern auch Musiker eingeladen, Shirley Jaffe erfährt dank der Begegnung mit Iannis Xenakis und Karlheinz Stockhausen neue Impulse für ihre Arbeit: Geometrische Formen tauchen nun neben den kräftigen Pinselstrichen auf, die Farben leuchten.

Während die 68er Proteste in Paris heftige politische Auseinandersetzungen bringen, vollzieht sich bei Jaffe ein stiller, aber umso radikalerer Umsturz: Sie verzichtet auf die Malerei aus dem Gestus heraus und erfindet mit klaren Formen und matten Farbtönen eine neue Bildsprache. Nur die Formate bleiben gross. Umso erstaunlicher, wenn man sich ihre Wohn- und Arbeitssituation betrachtet: Ab 1969 lebt und schafft sie in einer Atelierwohnung in der Rue Saint-Victor im vierten Stock ohne Lift. Das Zimmer ist gerade fünf Meter breit. Davon trennt sie einen Teil als Lager ab, nach ihem Tod finden sich dort Bilder aus Jahrzehnten, eins trägt den rätselhaften Titel Which in the World, gemalt hat sie es 1957.

Ausstellungsansicht  mit (von links)  Egg Nog 1991, Four Squares Black 1993, The Green Arrow 1991, Blue Around the Center 1990. Foto: © Julian Salinas, © ProLitteris, Zürich

Der Raum war nicht nur Atelier und Wohnung, sondern auch Begegnungsstätte. Und an der weissen Wand über der breiten Couch war Jaffes private Wechselausstellung, wo sie Papierarbeiten mit Nadeln an die Wand pinnte. Diese Gouachen, Aquarelle, Zeichnungen sind ein eigenständiger Teil ihres Werks, zwar finden sich darin Elemente, die auch in ihrer Malerei auftauchen, aber bei diesen Papierarbeiten handelt sich nicht um Skizzen oder Vorstudien. Im Treppenhaus des Museumsneubaus gibt es eine ganze Wand voll von diesen Arbeiten – sortiert nach der Entstehungszeit. Jeder Bruch oder radikale Neuanfang in Jaffes Werkbiographie zeigt sich auch in dieser Fülle von nun perfekt gerahmten Papierarbeiten (mit den kleinen Spuren der Nadeln in den Ecken).

Notizen von Shirley Jaffe auf Bristolpapier. Foto: © Anna Barbara Neumann

Eine andere Art sichtbar gemachter Herstellungsgeschichte gibt es in Vitrinen: Notizkarten mit mehr oder weniger dichten Kritzeleien darauf. Wenn Shirley Jaffe eine Bildidee erarbeitete, notierte und skizzierte sie auf Bristolpapier Formen und Farbtöne, wenn sie eine Farbe änderte, etwas übermalte, schrieb sie die Korrektur auf: Immer dichter wurden diese Blätter beschrieben, bis am Ende wohl nur noch die Künstlerin selbst ihre Notizen lesen konnte – was natürlich angesichts des fertigen Tableaus obsolet war.

Wir indessen bekommen in der Ausstellung so einen Eindruck vom kreativen Prozess, der hinter jedem Bild steckt, ahnen, wie Jaffe beharrlich vorwärts arbeitete, bis sie der harmonisch-dynamischen Komposition nahe kam, die sie anstrebte. Das Schöpferische kam nicht wie ein Vulkanausbruch über sie, sondern es steckte ganz viel Arbeit dahinter, bis das Gemälde für sie fertig war.

Playground, 1995. Collection Fondation Cartier pour l’art contemporain. © 2023, ProLitteris, Zurich

Wer mehr erfahren will – auch über die Malerin, die sich gern an Diskussionen beteiligte, aber ungern über sich oder über ihre Arbeit sprach –, nimmt am besten den Katalog zur Hand, ein Standardwerk, herausgegeben von Olga Osadtschy und Frédéric Paul, den Kuratoren von Basel und Paris. Frédéric Paul sieht fünf Schaffensperioden zwischen dem gestisch-expressionistischen Beginn 1952 und der letzten Phase ab 1983, als Weiss eine wichtige Farbe wurde und später neben den Farbflächen in scheinbar chaotischer Ordnung wieder Pinselspuren und diffuse Formen – Zitate der Frühzeit – aufscheinen.

La mer rouge 1980. Courtesy Shirley Jaffe Estate & Galerie Nathalie Obadia, Paris / Bruxelles. Foto: © Julian Salinas. © 2023, ProLitteris, Zurich.

Shirley Jaffes Malerei wirkt in ihrer Buntheit zunächst spielerisch und heiter, aber dahinter verbirgt sich komplexes und genaues Planen. Immer wieder verändert sie die einzelnen Farbfelder und Formen, sucht die dynamische Harmonie: «Die Form trägt die Hauptbewegung, doch die Farbe muss ihr eine zusätzliche Wocht verleihen,» sagte sie. So eigenständig das Werk ist, so genau kennt sie ihre Vorbilder von Kandinsky bis de Kooning, von Matisse bis Mondrian.

Titelbild: Ausstellungsansicht mit (von links) Otherwise 2002, X, encore 2007, The Center 1990. Foto: © Julian Salinas © ProLitteris, Zürich
Bis 30. Juli
Weitere Informationen für Ihren Besuch gibt es hier: Shirley Jaffe im Kunstmuseum Basel
Begleitpublikation: Shirley Jaffe – Form als Experiment. Zweisprachige Monografie (englisch-deutsch) hg. von Olga Osadtschy und Frédéric Paul. © Basel, 2023 Christoph Merian Verlag. ISBN 978-3-85616-989-3

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