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Verbieten und verbrennen

Das Literaturmuseum Strauhof zeigt, wie gefährlich, gar lebensgefährlich Bücher waren und sind. Eine sehenswerte Ausstellung.

Satanische Verse & Verbotene Bücher informiert in neun Kapiteln, wie Zensoren, die das freie Denken einschränken wollen, im Buch eine Gefahr für ihre Macht und ihren Einfluss auf die Gesellschaft oder auch auf ihre Untertanen oder aktuell auf Kinder und andere in ihren Augen schützenswerte Menschen sehen.

Titel des katholischen Indexes der verbotenen Bücher

Einerseits sind es die Kirche und Autokraten im einst und jetzt, die Bücher verbieten, verfemen und verbrennen, andererseits versuchen auch immer wieder Bewegungen, heute auch Lobbies unter dem Stichwort Cancel Culture, die sich gegen einzelne Bücher oder Autoren wenden. Nicht selten mit Erfolg fordern sie das Entfernen von Werken aus Schulen und öffentlichen Bibliotheken, oder das Umschreiben von klassischen Kinderbüchern wie Pippi Langstrumpf oder Struwwelpeter.

Gleich am Beginn des Rundgangs durch die Ausstellung empfängt uns Bertolt Brecht mit dem Gedicht Lob des Lernens von 1932 und der Zeile: «Hungriger, greif nach dem Buch. Es ist eine Waffe.» Salman Rushdie hat die vom Iran über ihn verhängte Fatwah noch viele Jahre später in den USA fast den Tod gebracht, obwohl er jahrelang unter Polizeischutz gelebt hat. Bei einer Veranstaltung stach ihn ein Irrer nieder. Er verlor ein Auge, überlebte aber. Das von den radikalen Muslimen aus gotteslästerlich verfemte Buch Satanische Verse ist eine der Stationen in der Ausstellung.

Den Haag, 3. März 1989: 5000 Muslime demonstrieren gegen Salman Rushdie. Wikicommons

Bildung und Bücher als Gefahr für die herrschende Meinung wird auch immer wieder zum literarischen Thema, das illustrieren 1984 von George Orwell oder auch Fahrenheit 451 von Ray Bradbury. Orwell beschreibt einen totalitären Polizeistaat, der seine Untertanen bis in die privatesten Räume überwacht, manipuliert und kontrolliert, Bradburys Roman ist nicht weniger dystopisch mit dem in einen Krieg verwickelten Staat, von dem die Bürger nichts erfahren, denn alle Bücher werden verbrannt, Buchbesitzer als Staatsfeinde umgebracht. Und einen Vorläufer aus der frühen Sowjetunion gibt es auch: Jewgeni Samjatin hat 1920 die Dystopie Wir verfasst – das erste Buch, das der Einheitsstaat kurz nach Erscheinen verboten hat. Das Buch ist vielfach übersetzt worden, konnte aber erst 1988 ungekürzt in der USSR erscheinen.

Berlin, 10. Mai 1933: Beschlagnahmte Bücher werden gesammelt und auf den Verbrennungsplatz vor der Oper gefahren.

Am 10. Mai 1933, also vor präzis neunzig Jahren kamen in vielen Städten Deutschland in einer konzertierten «Aktion wider den undeutschen Geist» von der NSDAP, der SA, der Hitlerjugend und der Deutschen Studentschaft Tausende von Büchern auf den Scheiterhaufen. Damit setzte die systematische Verfolgung jüdischer, marxistischer, pazifistischer, queerer und anderer oppositioneller oder politisch unliebsamer Schriftsteller und Autorinnen ein, darunter Erich Kästner, Else Lasker Schüler, Erich Maria Remarque, Bertolt Brecht, Oskar Maria Graf, aber auch Rosa Luxemburg und Sigmund Freud.

Ausstellungsansicht: Bücherverbrennung unter Hitler mit Annette Kelms Installation

Ihre Fotoarbeit von 2019 nennt Annette Kelm «Die Bücher»: Es sind gerahmt die Bilder von Originaltiteln der Romane und Sachbücher verfemter und verfolgter Autoren und Philosophinnen, aufgereiht über eine ganze Wand im Museum.

War es die politische Grundhaltung, die Kritik an den herrschenden Verhältnissen oder noch simpler der Rassismus, der zu Bücherverboten und im Dritten Reich zur totalen Verfolgung der Autoren führte, eignete sich auch Sex als Motiv, etwa Marquis de Sades explizite Orgien-Beschreibungen. Und in der Schweiz entschied gar das Kassationsgericht am 14. Juli 1961, dass der in Zürich sorgfältig edierte japanische Klassiker von Li Yü Jou Pu Tuan von 1633 wegen der Holzschnitte zu vernichten sei: 1480 Exemplare, der Satz und das Manuskript wurden eingestampft. Eine Abbildung im Museum erinnert an den barbarischen Akt.

Holzschnitt aus dem erotisch-moralischen Roman «Jou Pu Tuan» von Li Yü

Die Kirche war beim Bücherverbieten an vorderster Front: Schon im Mittelalter wurde die Verbrennung des Talmud gefordert, und erst recht wurden Schriften der «Häretiker», verboten, die Reformation beschleunigte die Massnahmen der Kurie. Kurz nachdem Flugblätter und Bücher gedruckt werden konnten und damit in grosser Zahl auf den Markt kamen, lernten auch mehr Menschen lesen, kamen mehr Druckerzeugnisse auf den Index.

Ausstellungsansicht: Brugger Aktion mit VW-Bus (links) und Tisch mit Kinderbüchern.

Der im 16. Jahrhundert eingeführte katholische Index Librorum Prohibitorum, der von Zeit zu Zeit bis 1948 überarbeitet und neu herausgegeben wurde, ist in einem Prachtexemplar unter Glas ausgestellt. Dazu verbotene Schriften, von Galileo Galileis Dialogo über Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft bis zu Simone de Beauvoirs Le deuxième sexe.

Indexiert war auch Heinrich Heine, der 1821 sagte: «Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.» In der Schweiz, genauer in Brugg startete Mitte der 60er Jahre ein Lehrer seine Kampagne zur Verbrennung von Schund, Sponsor war unter anderem die Migros. Immerhin stoppten Medien den gedankenlosen Unfug mit Verweis auf die Geschichte der Bücherverbrennungen.

Art Spiegelman: Maus. Geschichte eines Überlebenden. Original erschienen 1986

Im selben Raum liegen auf niedrigem Tisch mit brandrotgelbem Tischtuch einige Kinderbücher, die mit Verboten verschiedener Organisationen oder Vereinigungen belegt wurden, darunter Harry Potter, Alice im Wunderland und der berühmte Holocaust-Comic Maus von Art Spiegelman, für den der Autor den Pulitzerpreis bekam. Lesen erwünscht.

Im letzten Raum irritiert einen ein Stimmenchaos, akustische Abbildung der chaotischen Cancel Culture. Es gibt da einige Kopfhörer, die jeweils eine Stimme herausfiltern. Denken muss man allerdings selbst.

Titelbild: Collage Verbotene Bücher nach 1933
Bis 21. Mai
Museum Strauhof

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