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Gewänder für Giganten

Der polnischen Künstlerin Magdalena Abakanowicz widmet das Musée des Beaux-Arts in Lausanne eine grosse Ausstellung: «Textile Territorien», ergänzt durch Arbeiten der Schweizerin Elsi Giauque.

Im grosszügigen Neubau des Musée des Beaux-Arts können wir uns auf zwei Wegen mit Magdalena Abakanowicz vertraut machen: Wenn wir dem Ausstellungsführer folgen, sehen wir im ersten Stock einige Schritte des Werdegangs der Künstlerin, wir erkennen ihre Vielseitigkeit. Sie hat mit Malerei, Zeichnungen und Plastiken begonnen, wobei sie ihre dreidimensionalen Arbeiten zumeist auf der Basis organischer Materialien herstellte. Den Schritt zum textilen Gestalten ging sie schon früh.

Die monumentale Kraft ihrer grossen Webarbeiten – hängender Webskulpturen – erfüllt die 2. Etage. Die Bezeichnung Abakan hatte eine Kunstkritikerin erfunden, in Ermangelung eines passenderen Begriffs. Magdalena Abakanowicz übernahm ihn als Titel für ihre neue ausdrucksstarke Form der Textilkunst, die alle Versuche der Kategorisierung übersteigt.

Ausstellungsansicht

Die Künstlerin wollte ihre Webskulpturen nie als Objekte, eins nach dem anderen, präsentiert sehen. Ihr ging es darum, ihre Arbeiten im gesamten Raum als Spannungsfeld wirken zu lassen. Licht, Schatten und Dunkelheit dienen dem eigenen Fluidum der Abakans und den Beziehungen zu den umherwandernden Betrachterinnen und Betrachtern. Diese geheimnisvollen Formen, die in gewisser Weise Schutz bieten und Energie ausstrahlen, entstehen aus der organischen Welt der Textilfasern – Symbol der Kräfte des Lebens.

Magdalena Abakanowicz (1930 – 2017) studierte Malerei und Bildhauerkunst in Warschau. Ihre Werke, die sie für ihre erste Ausstellung vorbereitet hatte, wurden 1960 wegen mangelnder Nähe zur damaligen kommunistischen Ideologie in Warschau zurückgewiesen. Ihre experimentellen Textilarbeiten wurden allerdings bei der polnischen Avantgarde schnell bekannt und geschätzt. 1962 gehört sie zu den Kunstschaffenden, die zur Biennale der Tapisserie in Lausanne eingeladen wird. Damit beginnt die langjährige Verbindung der polnischen Künstlerin mit Lausanne, zugleich mit der ebenfalls in Lausanne ansässigen Fondation Toms Pauli.

Ausstellungsansicht mit Abakan rouge, 1969, Sisal, 405x382x400 cm, Tate, London

Während Abakanowicz anfangs Zeichnungen als Vorbereitung für ihre Webarbeiten anfertigte, verzichtete sie bald darauf. In ihrem Webstil verliess sie sich auf ihre Intuition und auf die Beschaffenheit der diversen Garne und Materialien. Das Organische in einer Struktur zu überhöhen, darum ging es ihr.

In diesem Rahmen sind auch ihre dreidimensionalen Werke zu verstehen. Sie formt Figuren – oft Köpfe oder Teile des menschlichen Körpers -, aus faserartigen Materialien wie Sisal, Jute, manchmal Leinen und Harz als Festiger. So entstehen Hohlformen, als wären sie nur Andeutungen, Erinnerungen an Menschliches, denn sie sind ja alle aus biologischen Stoffen entstanden.

Rücken, 1976 – 1982, Jute und Harz, jeweils ca. 75x65x60 cm.
Im Vordergrund rechts: Köpfe. Fondation Toms Pauli, Lausanne

Am meisten beeindruckt war die Besucherin von der Ansammlung der «Rücken», Abdrücke von menschlichen Torsos aus Sisal, Jute und Harz, Formen ohne ausgearbeitete Köpfe, Arme oder Beine. Sind es leere Hüllen ohne Individualität? Oder symbolisieren diese leicht unterschiedlich geformten Rücken vielmehr die Leiden, die diese Rücken bedrücken? – Ein stiller und zugleich intensiver Schrei nach Menschlichkeit.

Diese Ausstellung ist eine Retrospektive der besonderen Art, indem sie der polnischen Künstlerin, die in den 1960er und 70er Jahren schnell internationale Anerkennung erhielt, die Schweizer Doyenne der Textilkunst zugesellt: Elsi Giauque (1900 – 1989). Spätestens 1969 auf der 4. Biennale der Tapisserie lernten sich die beiden Künstlerinnen kennen. Elsi Giauque zeigte damals eine Installation Elément virtuel spatial, eine Arbeit mit variabler Konfiguration bestehend aus einem Rahmen, der mit farbigen Kettfäden bespannt ist. Ein wunderbar luftiges, schwebendes Werk.

Ausstellungsansicht: Blick auf die Werke von Elsi Giauque

Von Magdalena Abakanowicz sah man damals den Abakan rouge, ein raumgreifendes Werk, das man von allen Seiten anschauen muss. Die Künstlerin spielt mit der unterschiedlichen Beschaffenheit der verwendeten Garne und der Überlagerung der Farben, deren Wahrnehmung sich ja nach Blinkwinkel verändert. – Zu Textilien haben wir eine eigenartige Beziehung, sie gehören in vielerlei Art wie selbstverständlich zu unserem täglichen Leben und beeinflussen uns, besonders unsere Gefühle. Die Faszination der Besucherin bei ihrem Rundgang rührt wohl daher.

Magdalena Abakanowicz. Textile Territorien. Dazu: Hommage an Elsi Giauque.
Im Musée cantonal des Beaux-Arts Lausanne. Plateforme 10. Place de la Gare 16.
Geöffnet bis 24. September 2023

Alle Fotos © Elisabeth und René Bühler

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