Dramatische Gebirgslandschaften und malerische Orte kennzeichnen die griechische Insel Kalymnos.
Wer sportliche Aktivitäten wie Wandern, Klettern oder Tauchen sucht, aber den Massentourismus flieht, findet auf Kalymnos eine Insel mit vielen Möglichkeiten.Neben dem Fischfang, der Schwammtaucherei und der Landwirtschaft ist der Tourismus eine wichtige Einnahmequelle geworden.
Blick nach Kos und in die nahe Türkei
In der touristischen Gunst zum Glück noch nicht so weit oben wie die Kykladen, ist der Dodekanes ein Teil jenes ewigen Griechenlands geblieben, das von einer Mischung der byzantinischen und osmanischen Kultur geprägt ist. Festungsbauten des mittelalterlichen Johanniterordens und die venezianische Besetzung haben Spuren hinterlassen.
Chora, die alte befestigte Stadt diente dem Schutz vor feindlichen Angriffen
Eine Ankunft nachts um halb zwei ist in der griechischen Inselwelt zwar nicht alltäglich aber durchaus vorgesehen und zumutbar. Denn die Fähren fahren lange Routen, wenn sie die Inseln im Dodekanes verbinden. Die Weiterreise mit dem Abendschiff hatten wir verpasst, weil sich der Abflug in Zürich wegen eines Wechsels der Crew um Stunden verspätet hatte.
Nun sind wir also am Hafen in Kos und wollen weiter nach Kalymnos. Vlassis, unser Betreuer von der Reiseagentur, verkürzt auf angenehme Weise die Wartezeit. „Ab jetzt wird alles zu Ihrer Zufriedenheit ablaufen“, beteuert er. Auf meine Frage, wie die Saison sich angelassen habe, antwortet er: „Noch schwer zu sagen. Doch wir Griechen jammern rasch und oft haben wir zu hohe Erwartungen. Ja, es ist eine Art Erschöpfung nach Jahren des europäischen Spardiktats. Die Leute haben viel durchgemacht in den vergangenen Krisenjahren. Und heute sind wir ja die europäischen Musterknaben, was die Staatsausgaben betrifft. Das Einüben des Modus Warten hat bei interessanten Gesprächen auch seine guten Seiten. Und mit «αργή – αργή» («langsam-langsam») verabschiedet sich Vlassis.
Blick auf die lebendige Hafenstadt Pothia
Pothia, die Hauptstadt der Insel Kalymnos liegt zwischen zwei schroff aufsteigenden Bergkämmen. Sie sind ausgebrannt von der Sonne, baumlos und felsig. Im natürlichen Hafen liegen Fischkutter, es sollen, verteilt über die Häfen der Insel, über 450 sein. Auf der Höhe das 1996 erbaute grosse Kloster des heiligen Savva, einem der wenigen modernen Heiligen der Orthodoxie aus dem 20. Jahrhundert, ein Wallfahrtsort.
Wandbild aus der Kirche des Klosters Agios Savvas: ο αγιος Μολεστος ευλογεί τα Ζώα / Der heilige Molestos segnet die Tiere.
Gleich daneben Sendemasten für Überwachung und Telekommunikation, wir sind hier in Sichtweite zum Nachbarn Türkei. Auf dem gegenüber liegenden Berghang eine kleine Kapelle und auf gerodeten Felsen gemalt eine überdimensionale blauweisse Landesflagge, nachts grell angestrahlt und ein ebenso riesiges Kreuz.
Blick vom Kloster Agios Savvas auf den Hafen
Die Aussicht von hier oben war unser erstes Ziel. Eng gebaut stehen die Häuser am Hang. Die Strasse ist an manchen Stellen so schmal, dass Kreuzen zum Stress wird. Doch dann wird die Strasse im obersten Teil plötzlich breit. Ob der Ausbau dem sehr verehrten Heiligen Savvas oder der Sendeanlage zu verdanken ist? Einerlei, die Aussicht ist gewaltig.
Ein Fotograf fängt die Stimmung im Hafen von Pothia ein.
Wie in den meisten Siedlungen auf dem Dodekanes sind die öffentlichen Gebäude eine Mischung faschistischer und orientalischer Architektur. Zwischen den beiden Weltkriegen waren die Inseln italienisches Protektorat.
Pothias Stadthalle an der Platia Eleftherias , geschmückt mit weissen und schwarzen Steinmustern.
An der Tourismusmeile entlang der Hafenpromenade reiht sich Restaurant an Taverne. In einem Führer haben wir von der Spezialität Spetzofai / σπετζοφάι gelesen. Wir fragen den Besitzer einer Boutique nach einem typischen Lokal. Wortreich und mit tänzelnden Schritten, mit denen er jeden Richtungswechsel anzeigt, beschreibt er uns den Weg.
Als Einstieg wird uns zunächst eine umfangreiche Mesedes-Platte vorgesetzt. Die Spezialität ist eine Wurst in der Art eines rauchigen Schüblings an einer deftigen Sauce aus Paprika, Tomaten, Pilzen und Zwiebeln. Bei Hunger empfehlenswert.
Reste der Basilika Christóstis Jerusalím.
Auf dem Areal der frühchristlichen Basilika stand in der Antike ein bedeutendes Heiligtum für den delphischen Apollo. Der Taxichauffeur erzählt seine Geschichte mit der Denkmalpflege. Sein Wunsch war, dass der Sohn hier Hochzeit feiert. Das wurde abgelehnt, obwohl beim alljährlichen Kirchweihfest Hunderte von Schuhen die Stätte betreten, wie er kopfschüttelnd meint.
Bei unseren Begegnungen mit Menschen erfahren wir Lebensfreude und selbstverständliche Hilfsbereitschaft. Die Menschen der Insel haben ein starkes Identitätsgefühl, das durch einen wahrnehmbaren Akzent im gesprochenen Griechisch sowie durch eine stolze Bewahrung byzantinischer Namen und poetischer Anrede- und Grußformen seinen Ausdruck findet. Die Bewohner von Kalymnos seien stolz auf ihre Authentizität, sagt unser Hotelier.
Murales an der Hafenpromenade zum Andenken an die Schwammtaucherei
Das Maritim Museum zeigt Gerätschaften, Ausrüstungen und Bilder der Schwammtaucher. Weil Schwämme heute industriell aus Viskose gefertigt werden, hat das Schwammtauchen an Bedeutung verloren und dient oftmals nur noch touristischen Zwecken. Das Apnoetauchen (ohne Geräte) für das „Ernten“ der Schwämme begünstigte die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Insel. Nur 18 Prozent des steilen vulkanischen Landes konnte kultiviert werden, sodass neben der Schwammtaucherei der Handel und der Bootsbau wichtig waren.
Fahrt mit dem Bus von der Hauptstadt in ein fruchtbares Tal auf der anderen Inselseite
In den Bergen, steinig und nur noch von einer aufgelockerten Phrygana, einer Zwergstrauchvegetation, bewachsen, versteht man die Behauptung, Kalymnos sei die trockenste Insel des Dodekanes. Doch im Juni blüht diese Wildnis. Blaue Bodenbedecker färben manche Hänge ein. Die gut ausgebaute Strasse ist elegant angelegt. Immer wieder gibt es freie Blicke auf die Inselwelt.
Wilde Küstenlandschaft
Im Nordosten, im Dorf Rina wird das Tal zum Meer hin immer enger. Die Felsen schieben sich vor und bilden eine Art Fjord. Der eingeschränkte Zugang zum Meer und das abrupte Ende durch die enger werdenden Felswände, die bis zum Meer reichen, machen den Ort besonders. Einige junge Männer klettern seitwärts der Bucht entlang, fünf bis zehn Meter über dem Wasserspiegel. Eine ungewohnte Kletterei, nicht von unten nach oben sondern horizontal. Schwimmen wäre gewiss angenehmer
Klettern auf Kalymnos – der Inseltourismus erfindet sich neu. Foto: Wikimedia
Dank seiner Geomorphologie ist Kalymnos ein weltweit bekanntes Reiseziel für alternative Ferien: Mit Klettern, Tauchen, Berg- und Höhlenwandern wird die Insel zum Paradies für Aktivurlauber.
Es gibt mehr als 3.500 Kletterrouten, die mit permanenten Bolzen und Haken ausgestattet sind. Die Felsen auf Kalymnos sind aus Kalkstein in hervorragender Qualität. Es gibt jedes Jahr mehrere Festivals für den Klettersport. Die Insel ist zu einem weltbekannten Kletterziel in Europa vor der wunderschönen Ägäis-Kulisse geworden.
Diese Kletterer brauchen keine technische Hilfen.
Wer immer schon da war und auch in den steilsten Hängen neben der Strasse anzutreffen ist, sind die Ziegen.
Blick auf die kleine Nachbarinsel Telendos
Zum Abschluss eine andere griechisch Ikone, die in einem Reisebericht über eine griechische Insel nicht fehlen darf. Für einmal nicht der Sonnenuntergang sondern die Stimmung eine halbe Stunde später, im letzten Abendlicht.
Fotos ©Justin Koller
Titelbild: Ruinen der Festung Chrysoherias mit parkiertem Boot
Weitere Informationen:
Insel Kalymnos
Schwammtaucher
Kletter-Festival