Stets sind wir von Geräuschen aller Art umgeben, lauten und leisen. Kai-Ove Kessler hat darüber ein Buch geschrieben: «Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms».
Bei Adam und Eva beginnt der Autor nicht, sondern viel früher: beim Beginn unseres Universums, dem Urknall. Dieser ist allerdings nur ein Denkmodell der Wissenschaftler, denn niemand war dabei, als das Universum entstand. Ein Knall hätte kein Tier, keinen Menschen erschreckt – hörende Lebewesen gab’s noch nicht. Kai-Ove Kessler entdeckte jedoch bei seinen ausführlichen Recherchen, die dieses Buch auszeichnen, eine Tonaufnahme des Nachhalls: ein Signal, vor insgesamt 400.000 Jahren ausgesandt, von einem amerikanischen Forscher zusammengefasst in einem Geräusch von 100 Sekunden Länge.
Die Geschichte des Lärms ist nichts anderes als eine ausführliche, kurzweilig zu lesende Kulturgeschichte der Menschheit, basierend auf den Lautäusserungen der Tiere und Menschen sowie den vielfältigen Geräuschen unseres Planeten.
Ob ein Geräusch störend laut oder sehr leise ist, ob Töne wie angenehme Musik klingen oder aufreizend schrill, kann nur jeder Mensch individuell definieren. Die akustische Wahrnehmung durch das Ohr bleibt stets eine persönliche Empfindung, die wir seit den Forschern Graham Bell und Philipp Reis als Lautstärke in Dezibel (bzw. Bel) messen können.
Auch die Höhe der Töne ist für die Erträglichkeit wichtig. Die Frequenz, d.h. die Zahl der Schwingungen pro Sekunde, wird in Hertz gemessen. Der Mensch hat kein perfektes Hörvermögen, besonders sehr hohe Töne hört er nicht. Mit zunehmendem Alter zeigt sich der Hörverlust meist zuerst in den hohen Tönen.
Der Autor geht der Frage nach, wie sich der Geräuschpegel im Laufe der Jahrhunderte in den Zentren des Lebens entwickelt hat. Wir hätten vielleicht nicht erwartet, dass sich die Römer zu Cäsars Zeiten über Lärm beklagten. Doch Julius Caesar war wohl einer der ersten, der innerhalb von Rom ein Tagfahrverbot für gewisse Fuhrwerke erliess. Ob das aus Gründen des Lärms geschah oder nur die Fussgänger schützen sollte, wissen wir nicht. Das älteste Gesetz zur Lärmbegrenzung stammt aus einer griechischen Kolonie in Italien aus der Zeit um 600 v. Chr., schreibt Kessler. Interessant ist seine Erklärung: Die Einwohner dieser Stadt, Sybaris, «galten für griechische Verhältnisse als verzärtelt und überempfindlich», sie wurden verspottet.
Strasse in Pompeji. Fuhrwerke und die Hufe der Pferde und Esel waren laut.
Der Autor weist darauf hin, dass «Lärm auch ein Ausdruck von Lebensfreude» ist, nicht erst in Rockkonzerten zeige sich das, sondern schon vor mehr als 2’000 Jahren. Die Saturnalien, das älteste römische Fest, war ein lärmendes Grossereignis, wo Wein getrunken wurde. Es endete für viele im Rausch. Auch bei anderen Festen verzichteten die Feiernden nicht auf Rauschmittel und Lärm. Am bekanntesten sind wohl die Bacchanalien. Dieser Begriff bezeichnet heute noch ausgelassene oder überbordende Feste.
Die Gladiatorenkämpfe oder die Wagenrennen, von denen wir schon als Kinder gehört haben, nennt Kessler «infernalisch, grausam, aufputschend und sensationslüstern». Er beschreibt ausführlich, wie es bei den Spielen im Circus Maximus zuging, der Fan-Kult wurde schon damals gepflegt. Der Autor erwähnt auch den Ausbruch des Vesuvs, denn der war mit markerschütterndem Lärm verbunden.
Über Jahrhunderte waren Kirchenuhr und Glocken die einzigen Zeitangaben eines Ortes.
Turm der Kirche Monnickendam
Für die lange Periode des Mittelalters setzt Kessler den Titel Klang der Kirche. Vor allem seit dem 11. bzw. 12. Jahrhundert wurden die Kirchen zu Zentren der Städte, nicht nur des Glaubens, sondern auch Taktgeber für den Tages- und Jahresablauf. Das Geläut der Kirchenglocken drang in alle Gassen, vielleicht sogar über die Stadtmauern hinaus, und die Orgel erfüllte mit ihrem Klingen und Brausen die Kirchenräume, wo sich alle versammelten.
Die Reformation brach mit vielen Bräuchen, aber die Glocken läuteten weiter, morgens, mittags, abends. Es dauerte noch lange, bis Uhren, Pendulen, Taschen- und zuletzt Armbanduhren ihren Besitzern die Zeit ansagten. Bis dahin orientierten sich die Menschen an den Glocken und – wenn möglich – an den Kirchenuhren.
Kessler erzählt, dass in den mittelalterlichen Städten tagsüber erheblicher Lärm herrschte: Ausrufer überboten sich gegenseitig in ihren Anpreisungen, denn viele Menschen konnten nicht lesen. Neben diesem Geschrei war der Umgang auf den Strassen und in den Wirtshäusern von einem rauen, derben Ton geprägt. Es kam häufig vor, dass sich Streitende laut beschimpften. «Man schrie sich Beleidigungen zu und pöbelte, was das Zeug hielt.» – Da Kai-Ove Kessler als sorgfältiger Rechercheur und seriöser Historiker gilt, müssen wir ihm diese Beschreibung glauben. Nachts allerdings herrschte in den Städten Ruhe, von den Stadträten verordnet.
Hammerschmiede
Der grosse Lärm entstand – das erstaunt niemanden – durch die Industrialisierung. Die Maschinen, mit denen der technische Fortschritt unser Leben beeinflusste, waren richtig laut, nicht nur in den Fabriken, selbstverständlich auch die Eisenbahnen und alle Fahrzeuge, die mit Motoren in Gang gesetzt wurden.
Kai-Ove Kessler berichtet aber auch von lauten Werkstätten, die seit dem Mittelalter betrieben wurden: das Klappern der Mühlen. Solche Mühlen, lange nur mit Wasser betrieben, später in geeigneten Landschaften auch vom Wind angetrieben, wurden nicht nur für Getreide genutzt. Es gab sie für viele Handwerksbetriebe, die einen mechanischen Antrieb brauchten: Schleif-, Zwirn-, Papier-, Sägemühlen und viele andere Arten gab es. Auch die Schmiede, die stundenlang auf Metall einschlugen, um Bleche herzustellen, waren arge Lärmverursacher. Für all dies und für viele andere Zwecke wurden mit Beginn des industriellen Zeitalters Motoren eingesetzt. Nur an den Lärmschutz dachte damals noch niemand.
Hier hört man nur die Wellen des Meeres und den Wind
Es gab also, resümiert der Autor, früher «nicht weniger Lärm, er war nur anders. Insgesamt ist es in vielen Bereichen Mitteleuropas, Nordamerikas oder Australiens leiser als noch vor 50 oder 100 Jahren». Lärmbelastung wird eben erst seit neuester Zeit ernst genommen. Kai-Ove Kessler gesteht, dass er selbst seit Jugend lärmempfindlich ist. Das hindert den 1962 geborenen Journalisten, Historiker und Musiker nicht, selbst Schlagzeug zu spielen. Seit Jahrzehnten forscht er schon zu den verschiedenen Aspekten des Themas. Im Schlusskapitel zieht er Bilanz darüber, wie wir uns heute mit Lärm und dem Schutz vor Lärmschäden auseinandersetzen.
Kai-Ove Kessler: Die Welt ist laut. Eine Geschichte des Lärms. Rowohlt Verlag 2023. 432 Seiten. ISBN: 978-3-498-00354-8
Titelbild: Wie man sich die Entstehung einer Galaxie vorstellen kann.
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