StartseiteMagazinLebensartZeitlose Mode schreibt Zeitgeschichte

Zeitlose Mode schreibt Zeitgeschichte

«Wild und schön – Mode von Ursula Rodel» zeigt die Werke einer Modeschöpferin und Designerin, die intensiv lebte, ein schweres Motorrad fuhr und die Couture-Szene von Zürich neu erfand. Eine Ausstellung im Landesmuseum.

Gerade war das Frauenstimmrecht eingeführt worden, und mit der Studentenrevolte, der ersten Feminismuswelle und der Aufbruchstimmung querbeet durch die junge Gesellschaft wollten immer mehr Frauen nicht mehr dem Bild der braven Sekretärin, später Hausfrau und Mutter der 50er Jahre nacheifern, sondern emanzipiert, selbstverantwortlich und befreit durchs Leben gehen, eigenes Geld verdienen, lustvoll leben.

Die Kollektionszeichnungen zeigen das grosse zeichnerische Können von Ursula Rodel. Nur ein Bruchteil der Zeichnungen werden als Kleider realisiert. Die meisten liegen im sogenannten Look-Book im Laden als Inspiration für die Kundinnen auf. Kollektionszeichnungen um 1980. © Schweizerisches Nationalmuseum

Für diese Frauen entwirft Ursula Rodel Mode: Statt Rüschen oder Minikleidchen zeigte sie maskuline Schnitte und Leder, elegante Kleider und weitschwingende Mäntel sowie gewagte Entwürfe, die Sexappeal ausstrahlen. Das ist neu: «Nicht die Kleider machen die Frauen, sondern die Frauen vollenden mit ihrer Persönlichkeit die Kleider. Kleider müssen anonym sein.» Das ist ihr Credo.

Ursula Rodel war in einer Hotelierfamilie am Hallwilersee aufgewachsen, ein Spielplatz, wie sich ihre jüngere Schwester erinnert. Kreativ und introvertiert arbeitete sie nach der Ausbildung an der Textilfachschule in Wattwil, danach in London, als Stylistin bei Globus in Zürich. Ein Fixpunkt damals waren die besetzten Häuser an der Venedigstrasse, wo alles, was zur Szene gehörte, verkehrte oder wohnte, auch Ursula Rodel. Sie suchte die Unabhängigkeit und gründete mit zwei Freundinnen 1972 die Prêt-à-porter-Marke Thema Selection.

Blick in die Ausstellung: Eine Wand voll Modezeichnungen und rechts davon zwei klassische Kleidungsstücke der Modemacherin.

Noch immer gibt es das Label und den Laden in Zürich, geführt von Sissi Zöbeli, Mitgründerin. Noch immer ist der Laden geprägt von Ursula Rodels Corporate Identity: Nichts blieb dem Zufall überlassen, als sie die Metzgerei damals zum Modehaus umstilisierte. Der Laden entwickelte sich zu einem Treffpunkt der Kunst-, Kultur-, und Filmszene – damals noch überschaubar und gut vernetzt, auch mit Besuchern aus dem Ausland wie Sigmar Polke.

Zunächst lief das Geschäft nicht wirklich, die Frauen arbeiteten wie verrückt, allerdings blieb eine gut zahlende Klientel aus, denn Ursula Rodel und ihre Freundinnen und Freunde bewegten sich dort, wo niemand Geld hatte, wo alle sich selbst verwirklichen wollten, möglichst exzessiv, Drogen eingeschlossen. Aber nachdem die amerikanische Vogue 1974 die avantgardistische Kollektion feierte, liessen sich auch die reichen Zürcher Damen von Thema Selection einkleiden.

Ursula Rodel in ihrem Atelier über dem Laden von Thema Selection an der Weiten Gasse 9 in Zürich. Sie wird von ihren ehemaligen Kolleginnen als eine unermüdliche und gewissenhafte Schwerarbeiterin bezeichnet. Foto von Candid Lang, undatiert. Copyright: © Staatsarchiv Kanton Aargau / Ringier Bildarchiv

Und nun ist Ursula Rodels Werk im Landesmuseum angelangt. Wer denkt bei Landesmuseum nicht eher an Trachtenmode, vielleicht noch an Landsknechte-Outfits, als an eine Modemarke von heute? Doch das Nationalmuseum repräsentiert die Schweizer Kulturgeschichte von den Anfängen bis heute, und so zählt nun auch der Nachlass der wichtigsten Schweizer Modedesignerin und Kostümentwerferin seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts dazu, Kleider, Modezeichnungen, Schmuck, Kunstobjekte und Fotos von Ursula Rodel (1945-2021).

Die Ausstellung, kuratiert von Christina Sonderegger, ermöglicht einen Einblick in das verrückte Leben der zur aufmüpfigen Künstlerclique der 70er Jahre gehörenden Frau, die Emanzipation nicht in politischen Diskussionen durchsetzen wollte, sondern mit Kleidung. Denn die macht bekanntlich Leute. Das hat Ursula Rodel mit Freundinnen bei der provokativen Ausstellung im Strauhof Frauen sehen Frauen 1985 deutlich gemacht.

Wenn sie nicht zeichnete, machte Ursula Rodel unzählige Polaroid-Fotos – natürlich auch von ihrer Geliebten und Muse Irene Staub.

Legendär waren ihre Modeschauen, die an ungewöhnlichen Orten wie in der Frauenbadeanstalt, in einem Theaterzelt und letztmals 1978 im Zürcher Kino Radium stattgefunden haben. Eins der Modelle war Ursula Rodels Geliebte und Muse, Irene Staub (1952-1989), damals als Edeldirne Lady Shiva stadtbekannt. In Veronika Minders Film Katzenball aus dem Jahr 2005 über lesbische Liebe in der Schweiz, erzählt Ursula Rodel von der Liebe ihres Lebens. Es war eine verrückte Zeit, als Zürich ein wildes Nachtleben hatte, obwohl offiziell noch immer spätestens um Mitternacht Sperrstunde war.

Die Ausstellung in der Ruhmeshalle wurde auf einem Podest in der Raummitte eingerichtet. Darüber hängen etliche Fahnen – jeweils ein Porträt von Rodel aus unterschiedlichen Lebensphasen. Eine Art Laufsteg wurde eingerichtet, darauf Mannequins mit typischen Kleidern von Thema Selection: der beige Trenchcoat, das getupfte und plissierte Kleid aus edler Seide, begleitet von einem strengen Blazer, das Outfit aus Leder, der Overall. Bei den Modepuppen verweilen regelmässig ältere Damen vom Fach: Schneiderinnen im Ruhestand vielleicht. Sie unterhalten sich über Details wie Faltenwurf, Stoffqualität, Schnitt-Details und erinnern sich ihrer Zeiten in Ateliers und Modehäusern.

Postkartenauswahl von Andi Stutz an Ursula Rodel

In Vitrinen liegen unter anderem Serien von Polaroid-Porträts oder Zeichnungen aus dem unerschöpflichen Fundus der ständig zeichnenden Ursula Rodel, aber auch eine Reihe von Postkarten, die ihr Andi Stutz vom Seidenatelier Fabric Frontline geschickt hat – der Witz: Auf jeder Postkarte des homosexuellen Andi Stutz an seine lesbische Freundin ist ein Pin up Girl abgebildet. Wer es lieber akustisch mag, kann sich auf einem Rundsofa Interviews und Statements anhören, mit und über Ursula Rodel.

Ursula Rodel legt Alben mit Erinnerungsfotos während Dreharbeiten an. Die Seite zeigt Catherine Deneuve mit Schauspieler-Kollegen Gérard Depardieu, Jean-Louis Trintignant und Serge Gainsbourg während der Drehpausen zum Film «Je vous aime» (1980) von Claude Berri. Sofortbilder von 1977 bis 1980, beschriftet von Ursula Rodel. Copyright: © Schweizerisches Nationalmuseum

Ursula Rodel gab sich mit dem Erreichten nicht zufrieden, sie suchte immer neue Herausforderungen und wurde Kostümbildnerin beim Film. Sie hat für Daniel Schmids Film Violanta gearbeitet, später für mehrere Filme mit Catherine Deneuve in der Hauptrolle die Kostüme entworfen. Mit der Diva war sie befreundet und hat auch private Kleider für sie gemacht. Sogleich mit einer kleinen Rolle in Città delle donne wurde sie bedacht, als sie für Fellini Kostüme machte.

1986 trennt sie sich von Thema Selection und gründet ihr Label Ursula Rodel Création, macht Haute Couture und entwirft Textilien und Objekte fürs Wohnen, unter anderem Bettwäsche oder Möbel. In dieser Lebensphase zeichnet sie sehr viel, entfernt sich vom Mode-Entwurf und macht Bilder, am liebsten mit Frauenfiguren als Motiv, erotisch und stark.

Thema Selection, das international gelobte Start up, wie wir heute sagen würden, hätte Rodel für viel Geld verkaufen können. Aber das lag für sie nicht drin, eine Verwässerung der eigenen Handschrift hätte sie nicht ertragen können: «Für mich wäre das grausam gewesen,» sagt sie in einem Video.

Titelbild:Blick in die Ausstellung. Copyright: © Schweizerisches Nationalmuseum
Fotos: Eva Caflisch
Bis 31. März 2024

– Begleitpublikation: Wild und schön – Mode von Ursula Rodel. Hg. vom Schweizerischen Nationalmuseum 2023. ISBN 978-3-905875-77-5
– Denise Tonella: Director’s Choice. Scala Arts &Heritage. London 2023. ISBN 978-3-905875-73-7

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