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Aktuelle Herausforderungen des öffentlichen Verkehrs

Die Schweiz verfügt über das weltweit dichteste öV-Netz. Welchen Herausforderungen der öffentliche Verkehr sich künftig stellen muss, beantwortet Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV), im Gespräch mit Seniorweb. 

Der öffentliche Verkehr in der Schweiz besitzt eines der weltweit dichtesten Netze. Die Bundesbahn (SBB) und weitere privatrechtliche Schienenbahnen sind dabei das wichtigste Verkehrsmittel. Mehr als 5300 km Eisenbahnnetz gibt es in der Schweiz. Dazu kommen Busse, Tram, Berg- und Seilbahnen sowie Passagierschiffe, mit denen praktisch jeder Ort/Region der Schweiz erreichbar ist.

Der Verband öffentlicher Verkehr (VöV) ist die Dachorganisation des öffentlichen Verkehrs der Schweiz und vertritt im Interesse von Land und Leuten die Anliegen des öffentlichen Verkehrs. Der VöV hat seine Energiestrategie beispielsweise den aktuellen Entwicklungen angepasst. Die wichtigsten Ziele des VöV sind die Steigerung der Energieeffizienz, die vermehrte Produktion und Verwendung erneuerbarer Energie sowie ein CO2-neutraler Betrieb bis 2040.

Um die Ziele der Energiestrategie 2050 des Bundes zu erreichen, muss die Energie zukünftig effizienter genutzt und aus erneuerbaren Quellen produziert werden. Die öV-Branche will dazu beitragen, die Energiestrategie 2050 des Bundes im öffentlichen Verkehr erfolgreich umzusetzen.

Der öffentliche Verkehr der Schweiz ist verkehrspolitisch äusserst leistungsorientiert, pünktlich, sauber und energieeffizient und bei der Erreichung der Klimaziele vorbildlich und Teil der Lösung. Gewiss, aktuell ist die Sperrung des Gotthard-Basistunnels, namentlich für das Tessin und das Tourismusland Schweiz, ein Problem. Alle zuständigen Stellen sind derzeit zielführend im Einsatz! Es versteht sich unabhängig der federführenden Rolle, die der Bahnverkehr erfüllt, dass der öV sich auch bedeutenden Herausforderungen stellen muss.

Unter diesem Aspekt unterhielten wir uns in einem Gespräch mit VöV-Direktor Ueli Stückelberger über die Rolle des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz und die aktuellen Fragestellungen:

Wir beginnen mit einem nicht so schönen, aber aktuellen Ereignis, der Sperrung des Gotthardbasistunnels für den Personenverkehr. Was sagen Sie dazu?

Ueli Stückelberger: Die Entgleisung eines Güterzuges in einem strategisch äusserst wichtigen Tunnel mit diesen grossen Auswirkungen ist sicher etwas, was sich niemand gewünscht hat. Die SBB machen aber einen guten Job, sodass immerhin eine Tunnelröhre für den Güterverkehr wieder geöffnet werden konnte.

Und wie sieht es für den Personenverkehr aus?

Leider bleibt der Basistunnel für den Personenverkehr noch eine Zeitlang gesperrt. Das ist unschön. Es gibt aber ein Aber: Die Züge fahren ins Tessin, zwar obendurch, das dauert zwar länger, aber immerhin ist das Tessin weiterhin erreichbar. Ich möchte die Situation nicht schönreden, aber es zeigt sich, wie wichtig Umfahrungsmöglichkeiten auf der Schiene sind. So konnten auch einige Güterzüge auf der Lötschberg Achse verkehren. Wir brauchen Redundanzen im Schienennetz, d.h. es muss mehrere verschiedene Strecken geben, denn einen Streckenunterbuch kann es immer wieder einmal geben. Es ist deshalb wichtig und richtig, dass der Bundesrat nun den Vollausbau der Lötschberg-Achse und einen zusätzlichen Tunnel in der Region Morges (Lausanne – Genève) bauen will. Nebst der Gotthard-Tunnelsperrung gibt es aber aktuell auch sehr erfreuliche Nachrichten.

Was sind die erfreulichen Botschaften?

Die öV-Kundinnen und Kunden sind zurück. Wir haben die Coronakrise nun mehr als überwunden: Denn im zweiten Quartal 2023 haben wir schweizweit auf der Schiene wesentlich mehr Personen transportiert als im gleichen Quartal im Jahr 2019. Und schon 2019 war ein tolles öV-Jahr.

Weshalb ist dies so?

Das öV-Angebot ist in der Schweiz sehr gut, und zwar einmalig: Wir haben ein dichtes Angebot, der öV verkehrt meistens pünktlich und zuverlässig. Der öV wurde auch während den vergangenen Jahren weiter ausgebaut. Die Schweizer-Bevölkerung liebt den öV und nutzt ihn auch – im Inland wie für Reisen ins Ausland. Dies freut uns sehr!

In der NZZ vom 31.7.2023 habe ich in einem Kommentar von Ihnen gelesen, dass der VöV die Sparanstrengungen im Regionalen Personenverkehr nicht unterstützt. Wo liegt das Problem?

Die Sparvorgaben des Bundesrates für den regionalen Personenverkehr für das Jahr 2024 sind für die öV-Branche in diesem Umfang nicht umsetzbar. Der VöV anerkennt sicherlich die Zielsetzung eines über mehrere Jahre betrachtet ausgeglichenen Bundeshaushaltes. Die Transportunternehmen sind auch gewillt, ihre Leistungen so effizient wie möglich und sinnvoll zu erbringen und setzen entsprechende Sparmassnahmen um. Auch trägt die öV-Branche selbst u.a. mit Preiserhöhungen und Effizienzsteigerungen ihren Teil dazu bei, das Abgeltungsvolumen möglichst tief zu halten. Eine Einsparung von 7.8% von einem Jahr aufs andere, wie der Bundesrat nun vorschlägt, ist für die Transportunternehmen nicht umsetzbar. Wäre dies der Fall, dann würden die Transportunternehmen heute nicht haushälterisch mit ihren Mitteln umgehen.

Wo sind die Grenzen von sinnvollen Sparmöglichkeiten?

Es gibt drei Bereiche, in denen der VöV Sparvorgaben kategorisch ablehnt:

  • Keine Verschlechterung des fahrplanmässigen Angebotes in (überwiegend ländlichen) Regionen mit dünnem Taktangebot
  • Bereits geplante Angebotsverbesserungen dürfen nicht gestoppt werden.
  • Geplante Projekte betreffend Umstellung der Busflotten von Diesel auf umweltfreundliche Antriebe dürfen nicht gestoppt oder hinausgeschoben werden.

Man konnte lesen, dass der Bund künftig keine internationalen Züge mehr bis nach Interlaken und Chur verkehren lassen will. Was meint der VöV dazu?

Es geht hier um das Angebotskonzept 2035: Der VöV anerkennt die grosse Arbeit des BAV, die hinter den nun präsentierten Vorschlägen steckt. Trotzdem kommen wir nicht darum herum, festzustellen, dass uns die präsentierten Vorschläge nicht überzeugen. Das Angebotskonzept 2035 bringt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, grossflächige Verschlechterungen. Namentlich folgende Punkte sind für uns nicht überzeugend und die ihnen unterlegten Planungsannahmen müssen kritisch hinterfragt und korrigiert werden:

  • Die internationalen Züge sind konsequent bis in Agglomerations- und Metropolitanräume und insbesondere von Deutschland und Frankreich bis in die grossen touristischen Regionen (Zürich – Chur / Bern – Interlaken – Brig) durchzubinden und nicht an den Grenzbahnhöfen zu kappen.
  • Massive zeitliche Verschlechterungen/Verlangsamungen im Vergleich zum Fahrplankonzept von «Bahn 2000» sind nicht hinnehmbar.
  • Die Aufrechterhaltung und die Weiterentwicklung des Knotenprinzips müssen zwingend berücksichtigt werden.

Weshalb sind Direktverbindungen wichtig?

Entscheidend ist der Kundennutzen: Direktverbindungen erhöhen aus Sicht der Kundinnen und Kunden die Attraktivität der Bahn stark. Denn Umsteigen ist mühsam, auch – aber nicht nur – für ältere Personen. Gerade im Freizeit- und Reiseverkehr, wenn man viel Gepäck dabei hat, sind knappe Umsteigebeziehungen ein Stressfaktor. Ohne Umsteigen kann man sorglos anreisen. Deshalb ist zu prüfen, ob auch innerschweizerisch vermehrt Flügelzüge zum Einsatz gelangen können, was zu mehr Direktverbindungen und somit zu weniger Umsteigebeziehungen führt, Zudem sind nicht erst Verbesserungen per 2035 zu planen, sondern das Angebot ist laufend anzupassen, namentlich mit neuen internationalen Direktzügen (Tag und Nacht).

Wie sieht es mit den Umsteigebeziehungen an den Bahnhöfen aus?

Dies machen die öV-Unternehmen sehr gut. In allen öV-Knoten gibt es gute Umsteigebeziehungen. So kann ich z.B. in Visp bzw. in Brig – wenn ich von Bern anreise – sehr gut von einem SBB- oder BLS-Zug auf die MGB oder das Postauto umsteigen. Wenn die öV-Reise bequem ist, dann wird der öV eben auch vermehrt im Freizeitverkehr genutzt. Positive Beispiele sind die guten Umsteigebeziehungen in Grindelwald Terminal bzw. in Fiesch von der Bahn auf die Seilbahn.

Wie sehen Sie ganz allgemein die Zukunft des öV?

Der öV hat ein grosses Potenzial. Als sauberes, energieeffizientes und äusserst platzsparendes Transportmittel ist er in der ganzen Klima- und Energiediskussion Teil der Lösung. Diese positiven Eigenschaften werden auch in der Zukunft gefragt sein. Die öV-Branche darf deshalb zuversichtlich in die Zukunft blicken.

Zwei Schlussfragen: Es zeigt sich, dass die jungen Generationen zunehmend den öV nutzen. Ist das Fakt?

Ja, dem ist so. Viele Jugendliche und junge Erwachsene verzichten auf den Kauf eines eigenen Autos, vorab in den Städten und Agglomerationen. Sie sind gerne mobil, und benützen als hautsächliches Verkehrsmittel – nicht aber ausschliesslich! – den öffentlichen Verkehr, weil man mit dem öV in der Schweiz fast überall hinkommt.

Und: Eine treue Kundschaft sind nach wie vor die Generationen 65+. Was sind die Vorteile der Bahn und Busunternehmen bzw. des gesamten öV? Was sind die empfehlenswerten AHV-Abonnemente?

Das Netz des öffentlichen Verkehrs in der Schweiz ist einmalig gut, gerade auch um Ausflüge zu machen. Das «beste» Abo ist das Generalabonnement (GA) für Seniorinnen und Senioren, das wesentlich günstiger ist als das «normale» GA, aber auf dem gleichen Streckennetz Gültigkeit hat. Nebst dem klassischen öV gehören auch die Schiffe und etliche Seilbahnen zum Geltungsbereich des GA.

Wenn man weniger häufig mit dem öV unterwegs ist, gibt es «Fairtique» oder «EasyRide» (SBB). Das sind Mobil-Lösungen, wo man auf dem Smartphone beim Ein- und Aussteigen nur «wischen» muss, der Preis wird im Hintergrund automatisch berechnet. Dies ist von der Benützung her praktisch gleich bequem wie ein GA.

Titelbild: VöV-Direktor Ueli Stückelberger. Foto: Thomas Hodel, info@thomashodel.ch

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