Nach vier Büchern ist Fotoreporterin Selma in Philipp Probsts Romanserie zu einer Kultfigur geworden. Im fünften Band lernt die junge Frau die Tücken des Musikbusinesses kennen und stellt die Weichen für ihre eigene, familiäre Zukunft.
Nach den erfolgreichen Krimis «Alpsegen, «Wölfe», «Gipfelkuss» und «Lebenslust» schickt der Basler Autor Philipp Probst seine Reporterin auf eine neue Abenteuerreise, diesmal ins Tessin. Mit dabei ist ihr Freund Marcel, der als Buschauffeur arbeitet und nebenbei Psychologie studiert. Selmas Chef, der skurrile Medienmanager Jonas Haberer, taucht ebenfalls in der Südschweiz auf und gibt der Reporterin seine Meinung über „unsoziale Medien“, Algorithmen und undankbare Fans lautstark zu verstehen.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht die in Zürich aufgewachsene Sängerin Nunzia, ein Star am Schlagerhimmel, die ihre schlacksige Gitarristin Nadine liebt. Nach einem Ausraster an einem Firmenkonzert wird Nunzia in den sozialen Medien gemobbt und mit Häme sowie Hasskommentaren überschüttet. Reporterin Selma erhält von Haberer den Auftrag, die junge Musikerin und ihre Band durch eine spritzige Social-Media-Kampagne wieder aufzubauen und ihr ein Comeback zu ermöglichen.
„Vor dem Rustico gab es eine Wiese und eine kleine Kapelle.“
Dafür reist die Reporterin zu Nunzia ins abgelegene Tessiner Bavonatal. Dort erlebt sie nicht nur, was die sozialen Medien mit Menschen anrichten können, sondern macht auch selbst eine furchterregende Erfahrung: Marcel, Selmas Verlobter, verschwindet am Silvestertag spurlos. Sämtliche Handy-Anrufe führen ins Leere.
Wurde er entführt? Hat er sich für ein „Männerding“ abgesetzt? Oder braucht er Selmas Hilfe? Der Roman nimmt seinen Lauf und bis zur Auflösung so manche Wende. Am Schluss geht es um Leben oder Tod. Die letzten Kapitel sind ein Wettlauf mit der Zeit.
Spannung und Emotionen
Autor Philipp Probst versteht es, sein Publikum mit immer neuen Einfällen auf die Folter zu spannen. Die Abenteuer des fünften Selma-Werks wirken zwar nicht so spektakulär wie diejenigen des Romans „Lebenslust“, aber die Handlungen sind nicht minder nervenkitzelnd.
Probst ist ein Meister des Spannungsaufbaus. Als Leser fiebert man mit, ob es dem unterkühlten Marcel gelingt, mit einem Feuerzeug ein wärmendes Feuer zu entzünden. Die Verzweiflung wächst, je länger die Suche der Freunde nach dem Verschwundenen dauert.
„Marcel ging zur Brücke, die über die Bavona führte.“
Journalistische Passagen verraten, dass Probst seine Sporen mit Journalismus abverdient hat. Recherchetricks, der Einsatz von Bild und Ton bei einer Reportage, die Organisation eines Videostreams, das Werben um Zielpublika und der Kampf um Exklusivverträge sowie Reichweiten machen das Buch zu einem Medienroman.
Erneut sind Selmas Recherchen in der Schweiz verortet, im Bavonatal mit dem gleichnamigen Fluss, der römischen Brücke, dem Wasserfall in Foroglio, den Steinhäusern in Naru und dem Seitental Val Calnègia. Ein Fotoshooting findet in der legendären Capella di Gannariente statt. Als tessinkundiger Wanderfreund fühlt man sich angesichts der präzisen Beschreibungen schon fast zu Hause.
Liebe, Hass und Trauer
Die Geschichte entwickelt sich von konventionell-angepassten Handlungen mit Werten wie Treue, Verbindlichkeit und Solidarität zu ausgeflippten, aber stets originellen Aktionen wie dem Tausch von Verlobungsringen, einem Spürhundeeinsatz in Schnee und Eis bis zur Trauszene eines lesbischen Paars durch einen katholischen Pater. Ironische Passagen folgen auf romantische Momente, Liebe, Hass und Trauer liefern die emotionalen Höhepunkte des Plots.
„Es war hell, aber der Wasserfall und das Tal lagen im Schatten.“
„Eismusik“ ist vor allem auch ein zeitgenössischer Roman. Internet und Mobiltelefone sind omnipräsent. Da werden professionelle Fotos und Videos auf TikTok und Instagram hochgeladen. Gefühle werden möglichst authentisch gezeigt, die Imagekampagne der Sängerin Schritt um Schritt orchestriert. Den anschliessenden Strom der Likes und Kommentare in der „Scheinwelt Internet“ überwachen Selma und Nunzia persönlich. Bis zum Schluss bleibt aber unklar, wer hinter den diffamierenden Hasskommentaren steckt.
Der Roman endet mit einer alpinen Rettungsaktion, einer übersinnlichen Verbindung sowie der Gewissheit, dass uns Autor Philipp Propst in der sechsten Folge seines Forsetzungsdramas erzählen wird, welche Überraschungen das Leben für Selma, Marcel und Jonas Haberer noch bereit hält.
Titelbild: „Meine Eisorgel ist nicht gestimmt“, sagte Marcel und rieb einen Eiszapfen mit Schnee ein. Alle Fotos: Pixabay/Bearbeitung PS
Eismusik- Die Reporterin im Bavonatal, Philipp Probst, Orte-Verlag, 2023, ISBN 978-3-85830-320-2.
Buchvernissage:
26. September 2023 ab 19:30 Uhr
Orell Füssli Basel, Freiestrasse 17