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Jugendjahre eines Genies

Alberto Giacometti zählt zu den wichtigsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Wie er das wurde, zeigt das Bündner Kunstmuseum mit einer Ausstellung, die sich auf die frühen Jahre konzentriert.        

Dem Bündner Kunstmuseum gelingen regelmässig Ausstellungen, die eigentlich niemand im Fokus hatte, die jedoch Augen öffnen und auch weltbekannte Künstler in einem unerwarteten Licht zeigen. Eine Überraschung ist die Schau über den jungen Alberto Giacometti, die hier mit dem Attribut von James Joyces Titel Porträt des Künstlers als junger Mann ins Schwarze trifft, wenn es um die Selbstfindung eines jugendlichen Hochbegabten geht.

Wie es zur Idee kam, das Werk des jungen Alberto Giacometti in eine Ausstellung zu bringen, beschreibt Kunsthausdirektor Stephan Kunz in der Einführung zum Begleitbuch, welches über die Dauer der Ausstellung als wichtiges Grundlagenwerk Bestand haben wird. Eigentlich war er zusammen mit dem Kunsthistoriker Paul Müller bei den Vorbereitungen einer Ausstellung der Panoramen von Giovanni Giacometti im Jahr 2021. Wer über den Vater Giacometti recherchiert, wird auf Dokumente über den Sohn Alberto stossen, auf Briefwechsel, Fotografien und viel Gemälde und Zeichnungen des Vaters von seiner Familie, des Sohns desgleichen.

Ausstellungsansicht mit: Kopf Bruno 1919. Bronze. Privatbesitz

Das grosse Talent des Jahrhundertkünstlers Alberto Giacometti, der mit seinen schmalen hohen Bronzefiguren weltberühmt wurde, war nie bestritten. Regelmässig wurden ein oder zwei Werke des jungen Alberto gezeigt, als Rückblick auf die Anfänge. Aber hier in Chur geht es nicht darum, in der Rückschau das Woher zu ergründen, sondern dem Werden eines Künstlers auf die Spur zu kommen, also das Wohin zu erarbeiten.

Selbstbildnis, 1921. Öl auf Leinwand, 82.5 x 70 cm. Kunsthaus Zürich, Alberto Giacometti-Stiftung, 1965

Nach dreijähriger Recherche von Museumsdirektor Stephan Kunz und Paul Müller vom Schweizerischen Institut für Kunstwissenschaften ist es gelungen, eine umfangreiche Ausstellung mit Bildern und Skulpturen des jungen Alberto einzurichten und damit den Werdegang eines Künstlers zu verfolgen, der sich vom eifrigen Lehrling bei Vater Giovanni zum bedeutendsten Bildhauer des Jahrhunderts entwickelte. Die Ausstellung ist dem Kunstsammler, Galeristen und Giacometti-Freund Eberhard Kornfeld gewidmet, der sich über das Konzept sehr freute. Leider hat er sie nicht mehr gesehen, er starb knapp hundertjährig im April dieses Jahres.

Die Schau setzt mit Selbstporträts des 12jährigen Alberto ein und beschliesst den Zyklus mit der Hinwendung zum Kubismus, als der zum gereiften Plastiker gewordene Giacometti in Paris erstmals zwei seiner Köpfe, darunter die ikonische Tête qui regarde, ausstellen konnte. Daran lässt sich auch nachweisen, worum es Giacometti ging: Er wollte verstehen lernen, was er sieht und wie er es ausdrücken kann. Diese neue Haltung zeigt sich auch an den Porträts seines Vaters, die er als Skulpturen oder auf der Leinwand in den Jahren vor dessen Tod 1933 schuf.

Alberto Giacometti vor dem Haus von Antonio und Evelina Giacometti in Monteverde auf Gianicolo, Rom, Juni 1921. Archiv: Familie Berthoud

Alberto Giacometti (1901-1966) war das älteste von vier Kindern des Bergeller Kunstmalers Giovanni Giacometti und seiner Frau Annetta, einer gebildeten Lehrerin. Obwohl das Bergell weit abseits der Kunstzentren liegt, war die Giacometti-Familie bestens vernetzt mit der Szene, befreundet mit bekannten Künstlern und Sammlern. Cuno Amiet war der Götti von Alberto, Ferdinand Hodler übernahm dieses Amt beim jüngsten der vier Kinder, bei Bruno. Der Tod Hodlers hat den damals 17jährigen beschäftigt, er notierte, der grösste Künstler sei nun gestorben.

Alberto wurde von seinem Vater gefördert und in den Grundlagen der Zeichnung und der Malerei auch ausgebildet, er verbrachte schon als Schulkind Stunden im Atelier, wo er seine Ecke hatte, zeichnete oder in Kunstbüchern blätterte. Giovanni hat ihn auch immer wieder porträtiert, erstmals in einer Zeichnung am Tag der Geburt, die er stolz an einen Freund sandte: Voilà le bougre!

Einige Porträts von Giovanni sind praktisch gleichzeitig entstandenen Selbstporträts von Alberto gegenübergestellt. Oft malen beide nebeneinander auch dasselbe Motiv. Beispielsweise eine Landschaft am Silsersee. Während Giovanni das Licht sucht, geht es Alberto um die Struktur, angezeigt an den zwei Telegrafenmasten, die den See einrahmen. Auch beim Porträt zeichnet Alberto oft einen Rahmen ein.

Viermal Alberto gemalt von Giovanni Giacometti. Von links: Bildnis Alberto, 1910. Fondation Cuno Amiet, Aarau; Alberto, lesend, um 1914. Bündner Kunstmuseum Chur; Alberto, 1915. Kunstmuseum Bern; Porträt von Alberto, 1921.Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne, Schenkung Henri-Auguste Widmer, 1929

Attraktiv ist dabei zu beobachten, wie der Sohn sich von seinem Lehrmeister emanzipiert, wie er einen eigenständigen Weg sucht. Dabei hilft auch das Studium der Kunstgeschichte, welches er während der Schulzeit im Internat von Schiers intensiviert. In jene Zeit fallen auch Reisen nach Italien, als erstes nach Venedig mit dem Vater, wo er Tintoretto entdeckt. Eindruck machen ihm auch Giotto und Cimabue. Ein längerer Aufenthalt in Rom erschliesst ihm die Renaissance und erst recht die altägyptische Statuen, die ihn als vollendet überzeugen. Hat er zunächst vor allem seine Familie gezeichnet und gemalt, entstehen im Internat Zeichnungen seiner Mitschüler. Für die Lehrer wird er jeweils eine kleine Jahresgabe produzieren, beispielsweise Köpfe von Dante oder Gottfried Keller auf Schiefersteinen.

Ausstellungsansicht. Links: Autoportrait, um 1923. Kunsthaus Zürich, erworben mit einem Beitrag aus dem Legat Hugo Peter, 2000. Rechts: Autoportrait, 1925. Gips. Kunsthaus Zürich, Alberto Giacometti-Stiftung, 1993

Erste plastische Arbeiten entstehen schon in Stampa, erhalten geblieben ist ein kleiner Kopf Diegos aus Plastilin, dessen Inspiration von einer ägyptischen Statue denkbar ist. 1919 kauft er sich in Genf ein Stück Marmor und fertigt daraus ein Relief seiner Mutter – Vorlage ist eine Zeichnung des Vaters, die er zugesandt bekommen hat.

Dass er Künstler werden wird, wird ihm in Schiers klar. Mit der grosszügigen Unterstützung seines Vaters, der ihm seit je viel Freiheit gelassen hat, geht er von der Schule vorzeitig ab und kann zunächst in Genf an der Akademie, später in Paris bei Antoine Bourdelle, einem Schüler Rodins, lernen und vor allem die Werke der grossen Künstler in den Museen studieren. Im Nachlass gibt es aus jeder Phase des jungen Alberto unzählige Kopien, denn Zeichnen, das wusste er, ist zentral für das Entstehen von Kunstwerken.

Alberto Giacometti: Selbstbildnis, 1920. Fondation Beyeler, Sammlung Beyeler

Im Begleitbuch finden sich neben den sorgfältig gedruckten Bildern viele Zitate aus Briefen und anderen Dokumenten, die den Werdegang Albertos vom Buben in Stampa bis zum Künstler, der sich seiner Rolle bewusst ist, illustrieren. Erst noch ist der Band ausnehmend schön und sorgfältig gestaltet.

Noch etwas vermittelt diese Ausstellung, das vielleicht so deutlich nie zum Vorschein kam: Der junge Giacometti – zu beobachten anhand der Selbstporträts – entwickelte ein umwerfendes Selbstbewusstsein. Er war überzeugt von seinem Talent und seiner Person, der spätere, der weltberühmte Künstler wurde ein Zweifler, ein Suchender, der das Ideale anstrebte und für sich nie finden konnte.

Bis 19. November
Titelbild: Selbstbildnis mit blauer Baskenmütze, 1916. Aquarell über Grafitstift auf Papier, Kunsthaus Zürich, Grafische Sammlung, Legat Bruno Giacometti, 2012
Alle Werke von Alberto Giacometti: © Succession Alberto Giacometti / 2023, ProLitteris, Zürich

Die Ausstellung: Website des Bündner Kunstmuseums.
Das Buch: Alberto Giacometti. Porträt des Künstlers als junger Mann. Hg von Stephan Kunz und Paul Müller. Verlag Scheidegger & Spiess 2023. ISBN
978-3-03942-176-3
Der Filmtipp: Susanna Fanzun: I Giacometti. Eine aussergewöhnliche Künstlerfamilie aus dem Bergell. Zurzeit in den Kinos.

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