StartseiteMagazinKolumnenWenn die Bundesrats-Wahlen doch noch spannend werden  

Wenn die Bundesrats-Wahlen doch noch spannend werden  

Bekanntlich ist nach den Wahlen vor den Wahlen. Am 13. Dezember wird es wimmeln im Bundeshaus, so wie in einem Ameisenhaufen. Fernseh-Kameras werden überall den Weg versperren, aufgeregte Journalistinnen und Journalisten mit ihren Mikrophonen in der Hand werden durch die Wandelhalle tigern. Nationalrätinnen und Ständeräte werden von allen Seiten kurz vor 08 Uhr ins Bundeshaus strömen. Die einen ducken sich, versuchen unbemerkt zum Ort des Geschehens zu kommen, in den Nationalrats-Saal. Andere spienzeln, um sicher interviewt zu werden. Und die Besonderen, die im Fokus stehen, werden gar von einem TV-Team begleitet werden, welches alles zu filmen versucht, um festzuhalten, wie sich der Kandidat kurz vor der Wahl so fühlt, was so um den Mann, der es wagt zu kandidieren, so alles passiert.

Einen kennt man schon, der es wagt, obwohl seine Chancen klitzeklein sind. Immerhin. Es ist der Winkelried der Grünen: Gerhard Andrey, Nationalrat aus dem Kanton Freiburg. Sage und schreibe ein erfolgreicher Unternehmer, von denen es selbst bei den Bürgerlichen, insbesondere bei der traditionellen Unternehmerpartei FDP nur ganz wenige gibt. Und nicht nur das: Er ist ein erfolgreicher IT-Unternehmer. In den meisten Staaten Europas sind gerade für diesen Bereich eigene Ministerien geschaffen worden, weil eine Volkswirtschaft nur dann weiterhin erfolgreich sein wird, wenn sie in diesem Bereich, in der Digitalisierung zur Weltspitze gehört. Der Anspruch ist also gegeben, nur die Wirklichkeit sieht – noch – ganz anders aus. Die Grünen mit einem Wähleranteil von 9,8 % sind rechnerisch zu schwach, um Gerhard Andrey durchsetzen zu können. Da müssten sich die Grünliberalen ein Herz fassen, müssten mit den Grünen zu einem Grünen-Bündnis finden, wie dies den Grünen in Deutschland gelungen ist, wo Linke, Mitte-Politiker und Rechte Grüne in ihrer Sorge um die Umwelt sich zu einer Partei gefunden haben. Gemeinsam kämen die Grünen nach den letzten Nationalrats-Wahlen mit den Grünliberalen auf einen Wähleranteil von 17,4%  und wären damit drittstärkste Kraft, vor der FDP und der Die Mitte. Sie müssten zu einer gemeinsamen Kandidatin oder einem gemeinsamen Kandidaten finden. Ein Bundesratssitz wäre ihnen nicht mehr zu verwehren. Im Gegenteil.

Einer könnte, müsste  vorangehen: Martin Bäumle. Er machte Karriere bei den Grünen, war gar 6 Jahre Präsident der Grünen Partei im Kanton Zürich, und seinen Nationalratssitz hat er eigentlich seiner alten Partei zu verdanken. Wegen politischer Querelen gründete er 2007 die Grünliberalen, deren Höhenflug eh gebremst worden ist. Mathias Zopfi, der grüne Ständerat aus dem Kanton Glarus, eigentlich ein Grünliberaler, sagte im Tagesanzeiger unverhohlen: «Die damalige Abspaltung war ein Fehler.» Er, der wohl profilierteste und der chancenreichste der Grünen, signalisiert so, wie der Weg für einen Grünen in den Bundesrat geebnet werden müsste, sicher 2027. Und Gerhard Andrey, der Winkelried der Grünen, wird am 13. Dezember 2023 die Aufmerksamkeit der Medien auf sich ziehen und zeigen, dass die Grünen bereits jetzt bereit sind, dass mit ihnen in Zukunft zu rechnen ist.

Und tatsächlich eine klitzekleine Chance hat sogar er. Die SVP will nämlich Bundesrat Cassis aus dem Aussenministerium vertreiben; er soll ins Innere wechseln, dort die Mammutaufgabe «Gesundheitspolitik» auf die Reihe bringen. Als Arzt hätte er die notwendigen Kompetenzen dazu. Da sind aber Zweifel angebracht. Vor seiner Wahl tat er sich als Interessenvertreter hervor, zuletzt gar als Präsident des Krankenkassenverbands Curafutura. Da hat die SP weit bessere Politiker, allen voran Ständerat Yves Maillard, der als Waadtländer Gesundheitsdirektor mit innovativen Ideen gezeigt hat, wo es in der Gesundheitspolitik lang gehen muss: in der konkreten, verordneten Koordination aller Leitungserbringer. Als Ständeratskandidat erzielt er doppelt so viele Stimmen wie der SVP-Mann. Er will leider nicht, zieht seine starke Rolle als Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB in der Politik einem Bundesratssitz vor. Ein genauso starkes Resultat wie Maillard erzielte Ständerat Daniel Jositsch im Kanton Zürich. Er könnte es auch, er hat die notwendige Durchsetzungskraft, um Licht ins Dickicht der Gesundheitspolitik zu bringen. Ob die SP-Fraktion das auch so sieht, ist völlig offen. Vielleicht obsiegt auch da die Vernunft und die Fraktion nominiert den Mann, der Bundesrat kann.

Noch sind es gut fünf Wochen bis zu den Bundesrats-Wahlen. Zwar scheint eines klar zu sein: Das Machtkartell der aktuellen Bundesratsparteien ist noch ein festgefügtes Bollwerk. Dennoch könnte plötzlich eine ungeahnte  Dynamik einsetzen, die gar die klitzekleine Chance des Gerhard Andrey vergrössern könnte. Dank der SVP, die Bundesrat Cassis zürnt, weil er der UNO-Resolution zustimmen liess, in der der grauenvolle Terrorakt der Hamas nicht einmal erwähnt wird.

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8 Kommentare

  1. Was für ein Feuerwerk der Fakten, An- und Aussichten und zudem anschaulich dokumentiert!
    Sie erwähnen den kühnen Kandidaten der Grünen: Gerhard Andrey, Nationalrat aus dem Kanton Freiburg, der sich traut, einen BR-Sitz für Die Grünen zu erobern. Doch wer war Winkelried? Bei Wikipedia erfahre ich: in der Schlacht bei Sempach hat er ein Bündel Lanzen der habsburgischen Ritter gepackt und, sich selbst aufspiessend, den Eidgenossen eine Bresche geöffnet haben. Sein Opfer soll der Schlüssel zum eidgenössischen Sieg gegen die Habsburger unter Herzog Leopold III. gewesen sein. Also er war ein Kriegsheld und fand deshalb Eingang in unsere Geschichtsbücher.

    Auch im übertragenen Sinn gefällt mir diese Bezeichnung für Gerhard Andrey nicht. Wir brauchen keine Kriege und keine Kriegshelden mehr und wir brauchen ganz sicher auch keine Kriegsrhetorik mehr. Wir brauchen mutige Menschen unserer Zeit, die einen neuen Weg einschlagen wollen. Der Freiburger Kandidat scheint mir der richtige Politiker, diese schwere Aufgabe zu übernehmen. Er ist im besten Alter, hat jede Menge Führungserfahrung und Mut zu einem Neuanfang. Sein Denken und Handeln ist zukunftsgerichtet und realistisch. Trotz beruflichem Erfolg tritt er eher bescheiden aber selbstsicher auf und hat, im Gegensatz zu anderen Kandidaten, keinen reichen und einflussreichen Mäzen im Hintergrund nötig. Was er jedoch braucht, sind viele unabhängige und fortschrittliche Unterstützer*innen, die unseren Staat weiterbringen wollen. Nur eines hätte ich zu bemängeln: er ist leider keine Frau.

  2. Das ist alles schön. Das Dumme ist nur, dass die Kandidatur eines Grünen für einen FDP-Sitz nicht dem Wählerwilen und damit nicht meinem Demokratieverständnis entspricht.
    SP und Grüne erhielten bei den lezten Wahlen zusammen rund 30 Prozent aller Stimmen und wollen nun 45 Prozent aller Bundesratssitze. So wären sie um 50 Prozent übervertreten.

    • Heutiges Demokratieverständnis muss den Wechsel in unserer Gesellschaft berücksichtigen und immer wieder den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Ein veraltetes und ungerechtes Wahlprozedere, das die Schweizer Bevölkerung nicht in ihrer Vielfalt abbildet, kann geändert werden, wenn der Wille da ist. Wir leben in einem von Erschütterungen und sich rasch verändernden 21. Jahrhundert mit vielen neuen Herausforderungen die man nicht meistert, indem alles so bleibt wies ist.

    • Sie erwarten von mir einen konkreten Vorschlag für ein neues Wahlsystem? Ehrlich gesagt, da bin ich überfordert. Ich bin weder Politologin, Politikerin, Strategin noch Hellseherin. Aber ich traue mir zu, wie viele Andere, das politische Potential, das in unserm föderalistisch regierten Land schlummert, realistisch einzuschätzen. Und ich bin der Überzeugung, dass wenn die Wahl der Bundesratsmitglieder gerechter die Vielfalt unserer Bevölkerung der heutigen Zeit abbildet, sich auch mehr Menschen mit Politik befassen und ihre Stimmen an der Urne abgeben werden. Meinen Überlegungen, zu denen Sie mich herausgefordert haben, könnten etwas mehr Platz beanspruchen, als ich dies normalerweise in meinen Kommentaren tue.

      1848 bestand der Bundesrat aus 7 Männern der Freisinnigen Partei (heute FDP). Im Laufe der Jahrzehnte änderten sich die Parteizugehörigkeiten, was der Wählerstimmstärke der vorherrschenden Parteien entsprach. Das Festhalten an dieser «Zauberformel» aufgrund von Wählerstimmen führte immer mehr zu einer Falschgewichtung der tatsächlich existierenden Gefühlslage im Volk. Die bisherigen Regierungsparteien bringen es seit der letzten Abstimmung auf: SVP 27,93%, SP 18,27%, FDP 14,25%, Mitte 14,06% Wähleranteile. Damit decken sie 74,51% der eingegangenen Wählerstimmen ab.

      Der Rest der Stimmen hat kein Gewicht und soll die Bundesratswahl durch das Parlament nicht beeinflussen dürfen? Bei einer Stimmbeteilgung von 46,6% bilden die vier Bundesratsparteien knapp Zweidrittel der Wählerstimmen ab. Da ist es doch nur logisch, dass weitere Parteien, insbesondere die Grünen mit 9,78% und die GLP mit 7.55% Anteilen, zusammen 17.33% (noch vor FDP und Mitte) im Bundesrat vertreten sein sollten. Mir ist schleierhaft, dass sich die Parteien mit dem Hauptthema Umwelt nicht zusammenschliessen; ihr Einfluss könnte sich vervielfachen und dies wäre dringend nötig für unsere Zukunft. Aber wie ich das sehe, kocht der Parteipräsident der GLP sein eigenes unternehmerisches Süppchen.

      Meines Erachtens ist es nicht mehr zeitgemäss, dass die wählerstärksten politischen Parteien sich die sieben Sitze und Departemente im BR unter den Nagel reissen. Wir sind über die Jahrzehnte eine vielfältigere Gesellschaft mit vielen neuen Einflüssen und relevanten Themen und Anliegen geworden, die ein Anrecht auf eine entsprechende Vertretung in der Regierung haben sollte. Zudem wissen wir heute, auf welche Weise Wählerstimmen «eingefangen» werden.

      Konkret sehe ich eine Neuverteilung der BR-Sitze auf mindestens fünf Parteien, die die Bevölkerung realistischer abbildet. Dadurch kämen auch Parteien zum Zuge, die eine Minderheit vertreten, was in unserer Verfassung explizit vorgesehen und als demokratisches Ziel vorgegeben ist. Dann könnte man auch besseren Gewissens von einer Volkswahl sprechen.
      Allerdings habe ich Mühe mit der Formulierung, dass sich jede*r Schweizer*in, also ohne politische Vorbildung, quasi Krethi und Plethi, für dieses anspruchsvolle Amt bewerben kann. Für jeden hohen Kaderposten in der Privatwirtschaft besteht ein genaues Anspruchsprofil, das sollte auch für unsere Regierungsvertrerer*innen und Vorsteher*innen der Departemente gelten. Die Auswahl, wen sie ins Rennen schicken, sollte nicht allein den Parteien überlassen werden.

      Was die Passivität der Wahlberechtigten betrifft, ist ein eigenes Thema. Ich war lange für einen Stimmzwang mit Busse bei Zuwiderhandlung. Mit Hilfe der Medien, besonders der Internetforen der Jungen aber auch anderer Altersgruppen, sollten doch neue Wege gefunden werden, die Leute besser und mit angesagten Triggers und ohne jede Polemik auf politische Themen aufmerksam zu machen und vor allem zu motivieren, sich an der Gestaltung der zukünftigen Schweiz zu beteiligen. Es gäbe auch die Möglichkeit, Nichtwählerstimmen in einem bestimmten Verhältnis zu den Wählenden einer Gemeinde oder eines Kantons, in das Ergebnis einzubinden. Z.B. keine Stimmabgabe < plus Ja Stimmen. Das könnte den Abstinenzler*innen Beine machen. Wer unsere Freiheit der Stimmabgabe nicht nutzt, verdient sie auch nicht. Meine Meinung.

  3. “Kein Mensch liebt Veränderungen, ausgenommen der Säugling, der die Windeln voll hat”, Zitat Georg Gresser

    Liebe Frau Mosimann, geschätzter Herr Vogel, ihr beide habt ja so recht. Trotzdem, es liegt nicht allein am System, es liegt vor allem an den Wahlberechtigen. Natürlich wird die schweizerische Bevölkerung nicht gerecht abgebildet, schon weil ein Viertel keine Mitsprache und vom Rest 54% keine Lust hat. Die “Essenz”, also gerade knappe 35% aller Bürgerinnen und Bürger bestimmt, was in den kommenden vier Jahren im Namen des Volkes in unserer Schweiz geschieht.

    Dazu kommt, dass die Mehrzahl unserer Interessensvertretenden immer noch nicht wissen oder wissen wollen, dass die grossen Dinge nicht im Muotatal oder hinter dem Säntis angepackt werden, sondern in den wirtschaftlichen und politischen Zentren unseres Landes. 80 % der Bevölkerung drängen sich in den Wirtschaftsraum Zürich, aber diese innereidgenössischen Wirtschaftsmigranten wählen weiterhin wie im heimatlichen Tal, dort wo der Horizont allseits von den Bergen beschränkt wird. Der Zürcher Ständerat Jositsch hat dasselbe politische Gewicht, wie Daniel Fässler gewählt im Kanton Innerrhoden bei einer Wahlbeteiligung von nicht einmal 25%. Das ist systembedingt und ein bisschen lächerlich.

    Veränderungen ergeben sich in der Schweiz ausschliesslich unter dem Druck von aussen. Es ist damit zu rechnen. Herr Vogel nehme zur Kenntnis: Falls die beiden Grünen sich zusammentun, sind sie die drittgrösste Kraft und das ist ein valables Argument für Veränderungen im Bundesrat. Frau Mosimann, Anton Schaller und ich, wir dürfen also noch hoffen.

    • Top Ihr Statement Herr Weber, danke! Sie sollten sich öfter melden auf dieser interessanten Plattform. Leider bin ich meistens allein auf weiter Flur mit meinen Kommentaren, was mich zunehmend fragen lässt, ob es keine Meinungen gibt bei anderen Leser*innen? Eine Schreiberin frage mich einmal warum ich so viele Kommentare abgebe. Ich erwiderte, dass ich einfach sehr gerne schreibe. Vorallem jedoch schreibe ich weil ich der Überzeugung bin, dass sich die Beschäftigung mit wichtigen und interessanten Themen unseres Lebens in der Schweiz aber auch im Kontext mit anderen Ländern lohnt. Zudem verdienen die sehr engagierten Autorinnen und Autoren bei seniorweb respektvolle und ehrliche Kommentare, auch wenn man eine kritische Meinung zum Thema hat.

  4. Chère Madame, merci pour les fleurs. Wir sind uns schon ein paar mal begegnet in den Beiträgen von Anton Schaller, dem quasi politischen Kolumnisten des Seniorweb. Schreiben ist immer gut, zuweilen muss man einfach die im Kopf bereits begonnenen Sätze loswerden. Und sie schreiben gut, bleiben Sie dran. Herzlichst HTW

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