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Experimentalfilme auf Papier

Hannah Höch, viel zu wenig bekannte Künstlerin der Berliner Dada-Gruppe, liess sich von den Experimentalfilmen ihrer Zeit inspirieren. «Montierte Welten» im Berner Zentrum Paul Klee zeigt ihre Arbeiten in einer umfassenden Werkschau.

Die letzte Hannah Höch gewidmete Ausstellung in der Schweiz fand vor fünfzehn Jahren im Tinguely-Museum Basel statt. So wie der Freiburger seine Skulpturen zu kraftvollen, witzigen, geräuschvollen Skulpturen montierte, so «montierte» Hannah Höch ihre Bilder aus Fotos und Zeitungsausschnitten. Sie benutzte für ihre Arbeit den Begriff «montieren», während wir von Collagen sprechen. Hannah Höch, eine der wichtigsten Erfinderinnen bzw. Erfinder der Collage, schafft «Experimentalfilme auf Papier», erklärt Kurator Martin Waldmeier.

Ohne Titel (Hannah Höch. Doppelt belichtetes Portraitfoto), o. D. Silbergelatineabzug, 11 x 8,5 cm. Berlinische Galerie – Landesmuseum für Moderne Kunst, Fotografie und Architektur / Repro: Anja Elisabeth Witte / Berlinische Galerie

Seit ihrer Jugend begeisterte sie sich für die aufkommende Kunst des Experimentalfilms. Dieser entstand neben den «Handlungsfilmen», aus denen sich allmählich die bekannten Kinofilme entwickelten. In ihren Tagebüchern notierte sie genau, welche Filme sie gesehen hatte. Auch von den Programmen der Filmclubs, in denen sie Mitglied war, sind noch viele erhalten.

Während wir durch die grosse Ausstellungshalle des Zentrums Paul Klee schlendern, können wir an verschiedenen Bildschirmen einige der alten Filmclips anschauen. Sie allein sind schon einen Besuch wert und sie erklären, was Hannah Höch interessierte. Ausser ihren Collagen sehen wir Gemälde und Zeichnungen, nicht nur von ihr selbst, sondern auch von Künstlern aus dem Dada-Kreis. Die Kunstszene hiess die begabte und enthusiastische junge Frau nicht willkommen. Einige Dada-Vertreter sahen sie scheel an, einige wollten sie nicht einmal in den Künstlerkreis aufnehmen. – Die Anerkennung einer Frau als gleichberechtigte Partnerin war noch weit entfernt.

Insgesamt zeigt die Ausstellung hundert Werke von Hannah Höch und fünfzig Werke zeitgenössischer Künstler, die zu Höchs Arbeiten in Beziehung gesetzt werden. Martin Waldmeier erzählt, dass er drei Jahre lang an dieser Ausstellung gearbeitet hat. Er wurde bei seinem Studium in den USA auf diese Künstlerin aufmerksam.

Hannah Höch, Flucht, 1931. Collage 23 x 18,4 cm. Institut für Auslandsbeziehungen e. V., Stuttgart © 2023, ProLitteris, Zürich

Seit den 1990er Jahren hatte dort ein regelrechter Höch-Boom eingesetzt, sie galt als feministische Künstlerin. Besonders ihre Beziehung zum Film interessierte damals – und wird in Bern von Martin Waldmeier aufgenommen. Er will sie als Künstlerin der 1920er Jahre zeigen, ihre Beziehung zum Dada, die Probleme der damaligen Gesellschaft und den kunsthistorischen Zusammenhang.

Hannah Höch wurde 1889 im thüringischen Gotha geboren und starb 1978 in ihrem Häuschen in Berlin-Heiligensee. Ihre Selbstständigkeit muss ihr schon von Jugend an viel bedeutet haben. Sie konnte sich gegen ihre Familie durchsetzen und in Berlin die Kunstgewerbeschule besuchen. In den 1920-Jahren arbeitete sie im Ullstein-Verlag, vor allem in der Zeitschriftenabteilung.

Die Nachkriegszeit verlief nicht ohne Schrecken: 1923 erschütterte eine rasante Inflation die Wirtschaft in Deutschland und damit alle Haushalte. Geld erhielt eine absurde Dimension.

Hannah Höch, Geld, um 1922. Collage 11 x 18,3 cm. Institut für Auslandsbeziehungen e. V., Stuttgart © 2023, ProLitteris, Zürich

Wie ihre Dada-Kollegen wurden ihre Werke in der Nazizeit verboten. Damals zog sie sich radikal zurück, veröffentlichte bis 1945 nichts und lebte in bescheidensten Verhältnissen. Mit ihrem damaligen Partner hatte sie Gelegenheit, die Nazi-Ausstellungen «Entartete Kunst» zu besuchen und dort die Werke ihrer Kolleginnen und Freunde zu sehen, vielleicht wiederzusehen. Als 76-Jährige wurde sie an die Akademie der Künste in West-Berlin berufen, eine späte Ehre.

Zum Dada gehört es, Kanten, Brüche, Widersprüche der etablierten Gesellschaft genüsslich vorzuführen. Hannah Höch engagierte sich nicht politisch, nicht wie John Hartfield, der seine Kunst für kommunistische Propaganda benutzte. Sie ging mit den Stilelementen des Dada frei um. Eindeutige Aussagen finden wir in ihren Werken nicht. Wir erkennen die Spannungen der Bildelemente und sind gehalten, selbst einen Sinn zu finden. «Das Bild entsteht aus Bildern», sagt Waldmeier. Sie ging in der Aufteilung der Bildfläche ähnlich vor wie die Kubisten, Picasso etwa oder George Grosz. Sie abstrahiert von den Alltagsformen und schafft rhythmische Formen, ähnlich wie Oskar Schlemmer, mit dem sie befreundet war.

Hannah Höch, Ohne Titel (aus einem ethnographischen Museum), 1929 Collage 22,3 x 15,3 cm. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg © 2023, ProLitteris, Zürich

Obwohl sie Max Ernst wahrscheinlich nie persönlich getroffen hatte, schätzte sie seine Arbeiten und den Surrealismus. Traumwelten am Rande der Abstraktion – das sprach Hannah Höch an. Eines ihrer Bilder trägt den Titel: «Nur nicht mit beiden Beinen auf der Erde stehen.»

Sie malte auch Bilder «Aus einem ethnografischen Museum». Damals interessierten sich viele Kunstschaffende für aussereuropäische Kunst. «Primitive» Kunst galt nicht als Abwertung, sondern als Rückkehr zu den Ursprüngen. Der koloniale Hintergrund interessierte damals nicht.

Das Abstrakte nahm nach dem Ende des 1. Weltkriegs oft groteske Züge an. Ganz konkret wurde man mit verletzten, verstümmelten Kriegsheimkehrern konfrontiert. Das erschreckte und stiess ab. Chirurgen versuchten damals erstmalig Gesichtsprothetik. Auch von Otto Dix kennen wir solche grotesken Darstellungen.

Hannah Höch, Eule mit Lupe, 1945. Collage auf Karton 19,5 x 25,2 cm. Privatsammlung © 2023, ProLitteris, Zürich

Auf unserem Spazierweg durch die Stationen der Ausstellung gibt es vieles zu entdecken, sei es ihr Garten, ihr dickes, fragiles «Fotoalbum» oder ihr skurriles Kinderbuch. Wir folgen nicht nur dem Lebensweg und der künstlerischen Entwicklung von Hannah Höch, sondern erfahren, wie sie das politische und gesellschaftliche Leben im Laufe der Jahrzehnte wahrnahm und auf ihre Weise zum Ausdruck brachte.

Hannah Höch, Montierte Welten. Im Zentrum Paul Klee Bern bis 25. Februar 2024.

Begleitpublikation: Hannah Höch, Montierte Welten. Hrsg. von Stella Rollig, Martin Waldmeier und Nina Zimmer mit Texten von Hannah Höch, Kirstin Makholm, Martin Waldmeier u.a. Verlag Scheidegger & Spiess. 200 Seiten. 130 farbige und 20 s/w Abbildungen ISBN 978-3-03942-171-8

Titelbild: Hannah Höch: Fata Morgana, 1957. Collage, 21,2 x 28,2 cm. Privatsammlung. © 2023, ProLitteris, Zürich

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