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Bevor der Riesenalk verschwand

«Der Letzte seiner Art» heisst der neueste Roman der französischen Schriftstellerin Sibylle Grimbert. Sie erzählt darin von einem Riesenalk. Dieser Seevogel der Arktis ist seit der Mitte des 19. Jahrhunderts definitiv ausgestorben.

Die Tatsache ist traurig, aber unbestritten: «Die letzte verlässliche Sichtung dieser Art erfolgte im Jahr 1852», steht in einem Buch der Oxford University Press über Seevögel. Wegen seines schwarzweissen Gefieders meinten Forscher früher, der Riesenalk sei mit dem Pinguin verwandt, was sich als Irrtum erwies. Wie der Papageientaucher, der Tordalk oder die Trottellumme gehört er zu einer eigenen Familie. Von denen wird keiner so gross wie dieser, nämlich bis zu 90 cm.

Schon damals sahen aufmerksame Menschen mit Sorge, was heute Tierschützerinnen und -schützer zu wütendem Protest bewegen würde: In Kanada, auf Grönland, Island und den Färöer-Inseln wurden Riesenalke regelrecht abgeschlachtet. Eine solche grausame Jagd im Jahre 1835 auf einer Felseninsel vor Südisland, Eldey, ist historisch belegt.

Artenschutz – noch ein Fremdwort

Damit beginnt der Roman. Der junge Zoologe Auguste, beobachtet dies. Er hat gerade sein Studium in Lille beendet und soll nun die Tierwelt in den arktischen Gewässern erforschen. Als er nach dem wilden Töten von seiner Schaluppe aus im Meer «ein schwarzes Etwas» entdeckt, zieht er es ins Boot. «Es erinnerte ihn an einen Putzlappen», aber Gus, wie ihn alle nennen, spürt die Nervosität und die Kraft dieses grossen Vogels, trotz dessen momentaner Schwäche.

Gus hatte eigentlich vorgehabt, einen toten Riesenalk nach Lille zu bringen, damit er ausgestopft und im Museum ausgestellt werden konnte. Naturforscher waren sich bewusst, dass der Riesenalk vom Aussterben bedroht war. Deshalb verschafften sich verschiedene Naturkundemuseen tote Vögel, um sie ausstellen zu können. Nicht nur das, es war ein richtiger Markt entstanden. Der Balg des Riesenalks, seine Federn, seine Eier, der Schnabel, alles wurde teuer verkauft. Das erfährt Gus bald von einem neuen Freund.

Für seinen Forschungsauftrag liess Gus sich auf den Orkney-Inseln nieder. Als er dort mit seinem Riesenalk ankam, waren die Einwohner schockiert, auch Mrs. Bridge, seine Haushalthilfe. Den Geruch des Vogels, er stank wie verdorbener Fisch, konnte sie nicht ertragen. Zudem musste Gus erst herausfinden, wie er mit seinem neuen Gast umgehen sollte. Wie die beiden sich gegenseitig anschauen, der Vogel Gus misstrauisch und angstvoll, Gus den Riesenalk neugierig und erwartungsvoll, beschreibt die Autorin so, als sässen wir neben den beiden.

Neugier und Misstrauen

Glücklicherweise findet Gus einen Freund, den Notar Buchanan, einen weltoffenen, klugen Menschen im gleichen Alter, der dem Franzosen Ratgeber und Helfer sein wird. Erst als sie gemeinsam den grossen Vogel beobachten, erkennt Gus ihn als Wesen mit Intelligenz und Gefühlen, nicht menschlichen, aber einem lebenden Wesen gemäss. Buchanan spricht das Massaker der Fischer an, worüber Gus bisher nicht gewagt hatte nachzudenken.

Riesenalke im Sommerkleid (stehend) und Winterkleid. Historisches Gemälde, um 1900, von J. G. Keulemans. Foto: commons.wikimedia.org

Nachdem sich der schottische Notar und der französische Zoologe kennengelernt haben, entschliesst sich Gus, mit dem Riesenalk einen Ausflug ins Meer zu machen, mit einer Leine um dessen Fuss, denn ihm ist nun bewusst, dass er auf seinen «Fang» sehr gut aufpassen muss. Die Autorin beschreibt, wie der Vogel im Wasser aufblüht, «seine eigentliche Gestalt» wiederfindet und mit Gus ein Seilziehen beginnt, bei dem Gus um ein Haar den Kürzeren gezogen hätte. Aber: «Es war unglaublich: Der Riesenalk schien glücklich zu sein.» Noch einmal geht es um das Kennenlernen der verschiedenen Welten. Gus merkt allmählich, dass er für seinen Vogel verantwortlich ist. – Und damit beginnen die Verwicklungen erst.

Eine besondere Freundschaft

Die Kunst der Autorin besteht darin, die allmähliche Annäherung von Mensch und Riesenalk anschaulich zu beschreiben. Wir erfahren, wie Gus zu dem Entschluss kommt, seinen Vogel Prosperous zu nennen, kurz Prosp, denn der Alk ist inzwischen wohlgenährt und dieser Name scheint Wohlstand und Glück zu verheissen. Mit der wachsenden Vertrautheit zwischen Gus und Prosp – und den praktischen Ratschlägen von Buchanan, der stets ein Teil dieser Freundschaft bleibt, ergeben sich neue Schritte.

Gus zieht auf die Färöer-Inseln, wo er mit Prosp weniger Anstoss erregt. Dort lernt er Elinborg kennen, die er heiratet, und später zieht er mit Frau, Kindern und Prosp nach Kopenhagen, wo er an der Universität unterkommt. Wichtiger als die kleine Familie sind die Erfahrungen mit Prosp. Ein Versuch, ihn mit anderen Riesenalken in Kontakt zu bringen, scheitert kläglich. Aber mit einer Gans kann sich Prosp schliesslich anfreunden. Wie nebenbei erfahren wir einiges über Naturforschung im 19. Jahrhundert – und über das Aussterben des Riesenalks.

Sibylle Grimbert  © Céline Nieszawer

Eine kurze Begegnung mit einem Matrosen aus Island bewegt Gus schliesslich, mit Prosp dahin zu reisen. Es wird für beide die letzte Fahrt sein. Gus warf seiner Familie «vom Schiff aus Kusshände zu, während sein Riesenalk, den er im Arm hielt, fröhliche Rufe ausstiess, die wie das Versprechen klangen, sich wiederzusehen.»
Wie der Roman ausgeht? – Lesen Sie selbst!

Menschlichkeit – Humanismus – gilt hier für alle Wesen in der Natur. Sibylle Grimbert schreibt darüber differenziert und einfühlsam, in Sorge für alles Lebendige, aber auch humorvoll. Prosp mit seinem dicken, harten Schnabel und seinem schwarzweissen Federkleid gibt oft genug Anlass zu Heiterkeit. In Frankreich erschien ihr Buch vor einem Jahr. Inzwischen hat es vier Preise erhalten. Die Autorin wurde 1967 in Paris geboren. Ihr Leben war stets von Büchern geprägt: als Verlegerin und als Schriftstellerin. Es heisst über sie, ihr Werk verbinde Sozialsatire, psychologisches Feingefühl, Burleske und Melancholie, diese sei gleichsam ihr Markenzeichen.

Sibylle Grimbert:  Der Letzte seiner Art. Roman. Aus dem Französischen von Sabine Schwenk. (Le Dernier des Siens). Eisele Verlag München 2023. 256 Seiten. ISBN: 978-3-96161-168-3

Titelbild: Riesenalke (Alca impennis, früher Pinguinus impennis) Illustration von Heinrich Harder (1858-1935), aus «Tiere der Urwelt» (1916). Foto: commons.wikimedia.org

 

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