StartseiteMagazinKulturDer Meister und die Gelassenheit

Der Meister und die Gelassenheit

Von Gelassenheit hören wir viel – um uns herum herrscht jedoch alles andere als heitere Ruhe. Der «Vater» der Gelassenheit gibt uns in seinen Schriften einige Wegweiser.

Kein Zweifel, wer sich in Gelassenheit übt, kommt besser durch den Alltag. Stress, Krankheiten, Streit, Kriege, private Ängste und globale Bedrohungen aller Art machen es nicht leicht, gelassen zu bleiben.

Was heisst es eigentlich, gelassen zu sein? «Ihn bringt nichts aus der Ruhe», las ich kürzlich über einen Schweizer Prominenten. Genügt es, einen kühlen Kopf zu behalten? Muss ich mich abschotten, mich vor dem Elend anderer verschliessen, um nicht selbst darin zu versinken? Unglück, Verzweiflung, Katastrophen überfallen uns nicht erst seit gestern. Schon immer mussten sich Menschen damit auseinandersetzen. Und in früheren Jahrhunderten fehlte es oft an Hilfen, die uns heutzutage zur Verfügung stehen.

Meister Eckhart:
«Alles Gestürme und Unfriede stammt nur aus Eigenwillen, ob man es merke oder nicht.»

Da kommt doch der «Erfinder der Gelassenheit» wie gerufen: Meister Eckhart, geboren um 1260 in Thüringen, gestorben 1328, wahrscheinlich in Avignon. Sein Verständnis der Gelassenheit geht weit über den alltäglichen, in Mode gekommenen Begriff hinaus. Meister Eckhart war Dominikaner, mit 14 Jahren ist er als Schüler ins Dominikanerkloster Erfurt eingetreten. Sein Titel «Meister» ist nichts anderes als die deutsche Bezeichnung für Magister, das heisst, er war Universitätsgelehrter. Der Orden der Dominikaner, ein strenger Orden, erst 1215 gegründet, wurde Predigerorden genannt und widmete sich auch sozialen Aufgaben.

«Der Mensch lasse zuerst sich selbst, dann hat er alles gelassen.»

Tatsächlich muss Eckhart von Hochheim ein hochgelehrter Theologe und tiefsinniger Denker gewesen sein. Kirchenlehrer und Würdenträger pflegten damals Latein als Umgangs- und Wissenschaftssprache, Eckhart predigte und schrieb jedoch auch auf Deutsch. Er war der Meinung, dass auch «ungelehrte» Menschen das Recht hätten, sich über Gott, die Religion und die Welt Gedanken zu machen, eine Ansicht, die von vielen Klerikern missbilligt wurde.

Predigerkirche mit Flügel des Predigerklosters in Erfurt, Baubeginn um 1270

Den Begriff gelâzenheit (das -z- ist als -sz- oder -ß- zu lesen) hat er geschaffen, darin sind sich Theologen und Sprachwissenschaftler einig – und er erklärt ihn auch selbst:

«Nimm dich selber wahr und wo du dich findest, da laß von dir ab.
Das ist das allerbeste.»

Sogleich merken wir, dass Meister Eckharts Gelassenheit tiefer gründet als Coolness, Lockerheit oder ein leichter Umgang mit allem, was uns begegnet. Der kluge Kirchenlehrer spielt mit dem Wort «lassen». Es geht nicht nur darum, sich von materiellen Gütern, von fixen Vorstellungen, von unerreichbaren Zielen zu verabschieden. Es geht um alles, «um den eigenen Willen», um das «Festhalten am eigenen Ich».

Von diesem vollständigen Loslassen erfahren wir auch bei buddhistischen Lehrern. So erklären sie den Weg zur Erleuchtung, das Ziel eines Anhängers der Lehren des Buddha. – Gute Buddhisten lernen auch, dass dieser Weg unabsehbar lang und hindernisreich ist, nicht einfach ein Spaziergang zur Glückseligkeit.

Dominikanerkirche Erfurt, modernes Portal. Der Text lautet: Das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. in memoriam MEISTER ECKART.

Ist Meister Eckhart ein westlicher Buddhist? Nein, aber ein radikaler Denker, der sich nicht scheut, noch gründlicher zu erforschen, was die Seele, was Gott ist. Er studiert nicht nur die frühen Kirchenväter, sondern auch die alten vorchristlichen Philosophen Sokrates, Platon und Seneca, ausser diesen den jüdischen Philosophen Maimonides und islamische Gelehrte wie Raimondus Lullus, der 1316 auf Mallorca starb.

Unerhört für die Kleriker seiner Zeit, nicht nur für die Dominikaner. Erst ein gutes Jahrhundert später beginnen die Humanisten der frühen Renaissance, die alten Weisen wieder zu studieren.

«Hätte ich einen Gott, den ich verstehen könnte,
ich wollte ihn nimmer für Gott halten.»
«Über Gott will ich schweigen.»

Als Konsequenz wird Meister Eckhart der Ketzerei bezichtigt und muss sich in Köln, einer dominikanischen Hochburg, verteidigen. Da er dort nichts gegen das Urteil ausrichten kann, macht er sich 1327 auf nach Avignon, wo in jener Zeit die Päpste residieren. Johannes XXII. schwächt das Urteil ab, aber der Ruf, ein Häretiker zu sein, bleibt an Meister Eckhart hängen. Ob er 1328 in Avignon stirbt oder auf der Reise, ist nicht bekannt.

«Dem ruhigen Geist ist alles möglich.»

Lange Zeit hielt man Meister Eckhart für einen Mystiker. Davon ist die Forschung im 20. Jahrhundert abgerückt. Ein Mystiker versenkt sich in sein Gotteserleben. Meister Eckhart erkennt mit seinem glasklaren Wissen, was Gott und «Göttlichkeit» bedeutet. – Wenn wir ihn schon mit einer Erkenntnisrichtung vergleichen wollen, dann ähnelt sein Denken am ehesten dem buddhistischen Zen.

Sein Schüler Heinrich Seuse, der zu Recht als deutscher Mystiker gilt, vermied es möglichst, sich auf Meister Eckhart zu berufen. Ein anderer, Johannes Tauler, gab einige Predigten seines Lehrers als seine eigenen heraus und strich die brisantesten Stellen. – Ob Eckhart von Hochfeld selbst die Gelassenheit meisterte, mögen Sie sich fragen. Die Quellen geben dazu keine Auskunft.

Meister Eckhart:
«Vom Werk nicht lassen, Doch lassen von des Werkes Wirkung. Um Wirkung unbekümmert werken. Das ist das hohe Lassen! Der Gang der Freien.»

Dieser Beitrag soll dazu anregen, über Gelassenheit nachzudenken. Damit haben sich ausser Meister Eckhart zahlreiche Denker und Philosophinnen befasst. Hier wurde in keinem Sinne Vollständigkeit angestrebt.

Wer mehr über diesen modernen Weisen aus dem Mittelalter erfahren möchte:
Meister Eckhart Gesellschaft Erfurt

Kurt Flasch: Meister Eckhart. Philosoph des Christentums. Beck, München 2010,
ISBN 978-3-406-60022-7.
Und der Schweizer Germanist Alois Maria Haas, Thomas Binotto: Meister Eckhart der Gottsucher. Aus der Ewigkeit ins Jetzt. Kreuz, Freiburg im Breisgau 2013,
ISBN 3-451-61230-5.

Titelbild:  Meister Eckhart (links) und Johann I. von Brabant (rechts) am Rathausturm Köln. Geschaffen von der Bildhauerin Elisabeth Perger (*1960).
(alle Fotos: commons.wikimedia.org)

 

Rabatt über Seniorweb

Beim Kauf einer Limmex-Notruf-Uhr erhalten Sie CHF 100.—Rabatt.

Verlangen Sie unter info@seniorweb.ch einen Gutschein Code. Diesen können Sie im Limmex-Online-Shop einlösen.

Beliebte Artikel

Mitgliedschaften für Leser:innen

  • 20% Ermässigung auf Kurse im Lernzentrum und Online-Kurse
  • Reduzierter Preis beim Kauf einer Limmex Notfall-Uhr
  • Vorzugspreis für einen «Freedreams-Hotelgutschein»
  • Zugang zu Projekten über unsere Partner
  • Massgeschneiderte Partnerangebote
  • Buchung von Ferien im Baudenkmal, Rabatt von CHF 50 .-

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag und die Anregung, über Meister Eckhart und seine fast buddhistischen Ansichten wieder einmal zu sinnieren. Schade nur, dass in den damaligen kirchlichen Kreisen seine Philosophie kaum Nachahmung fand.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein