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Museum als offene Werkstatt

Die unbeschwerte Freude an exotischen Objekten hat sich durch die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus verändert. Die «Werkstattreihe – 5 Fragen an die Sammlungen» im Völkerkundemuseum Zürich regt an, Sammlungen und Objekte aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten.

Wenn wir in ferne Länder reisen, bringen wir gerne Souvenirs zurück. Grössere Sammlungen kommen ins Museum. Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich besteht seit 1914 und ist das drittälteste ethnologische Museum der Schweiz. Neben der Sammlungsbetreuung sind Forschung, Lehre und Öffentlichkeitsarbeit die hauptsächlichen Tätigkeitsbereiche.

Gebäude des Völkerkundemuseums der Universität Zürich im alten Botanischen Garten «zur Katz». Foto: Wikimedia Commons

Der Umgang mit ethnologischen Sammlungen hat sich verändert, der Respekt gegenüber den Urheberinnen und Urhebern von Objekten hat oberste Priorität. Heute wird der Austausch mit den Nachkommen der Menschen, die die Objekte herstellten, auf Augenhöhe gesucht, in Dialogischen Führungen auch mit dem Publikum.

Objekte der Noanamá-Sammlung aus Kolumbien, die der Ethnologe und Geschäftsmann Borys Malkin dem Völkerkundemuseum 1969 verkaufte.

Im Rahmen der Ausstellung Werkstattreihe5 Fragen an die Sammlungen eröffnete das Völkerkundemuseum der Universität Zürich ab Frühjahr 2022 bis Herbst 2023 fünf unterschiedliche Ausstellungen. Alle unterliegen fünf Leitfragen: «Woher kommen die Sammlungsbestände, welche Geschichten haften ihnen an, welche Könnerschaft steckt in den Objekten, von welchen Begegnungen sind sie Zeugnis und welche Bedeutungen haben sie heute?».

Die Ausstellungsreihe dient als offene Werkstatt, als Raum, in dem die Museumsarbeit sichtbar und das Wissen gemeinsam erarbeitet und geteilt wird. Nicht die Inszenierung der Objekte steht im Fokus, sondern der Prozess der Nachforschung, etwa mit Karteikarten und Archivalien.

Ellen und Hans Paasche als Verlobte, 1907/1908. Foto Archiv Werner Lange

Die als erste eröffnete Ausstellung Hochzeitsreise? beruht auf einer Sammlung, die Hans Paasche (1881-1920) auf seiner Hochzeitsreise 1909 im heutigen Rwanda erworben hatte. Zwei Jahre nach seinem Tod gelangte sie ans Völkerkundemuseum in Zürich. Paasches Biografie ist gut dokumentiert, doch über die genaue Herkunft der Objekte sowie die Übergabe der Sammlung an das Museum ist wenig bekannt.

In der Schau werden auf einer Weltkarte die Reise der Objekte von Tansania und Rwanda bis nach Zürich nachgezeichnet, ebenso biografische Angaben und Briefe des Ehepaars vorgestellt. Die Alltagsgegenstände, Schmuck, Musikinstrumente und Werkzeuge werden in Tischvitrinen als «Rohdaten» der Forschung präsentiert. Es war ein Glücksfall, dass Andre Ntagwabira, der aus Rwanda stammt, für die Ausstellungsvorbereitung gewonnen werden konnte. Er ist Archäologe und Spezialist für materielle Kultur aus Rwanda. Dank seinen Kenntnissen fanden sich erste Hinweise zu Herkunft und Bedeutung einzelner Objekte.

Vitrine mit kaiserlichen Seidengewändern, China um 1900. Foto: rv

Die Ausstellung Plünderware? betrifft geplündertes Kulturgut aus Chinas Kaiserzeit nach dem Boxerkrieg 1901 mit mehr als 100’000 Toten. Die britische Kolonialpolitik erzwang 1860 eine Öffnung der chinesischen Häfen, die westliche Armeeangehörige, Händler, Missionare und Botschafter nach China brachte. Gegen sie formierte sich Widerstand, angeführt von athletischen, in Kampfkunst ausgebildeten Männern, die im Westen als «Boxer» bezeichnet wurden. Sie griffen Kirchen und ausländische Gesandtschaften in Peking an, was 1900 zu einer westlichen Militäroffensive, dem sogenannten Boxerkrieg, führte.

Für das Schönheitsideal des sogenannte Lotos- oder Lilienfusses von etwa 10 Zentimeter Länge wurden die Füsse von kleinen Mädchen durch Knochenbrechen und anschliessendes extremes Abbinden deformiert. Das Füssebinden wurde 1949 durch Mao Zedong gesetzlich verboten. Das Völkerkundemuseums besitzt 28 Paar und 8 einzelne Schuhe für gebundene Füsse. Foto: rv

Beim Boxerkrieg wurden 80 Prozent des Kulturgutes zerstört oder geplündert und in den Westen verkauft. Auch das Völkerkundemuseum besitzt chinesische Seidenroben, Bronzen, Rollbilder, Porzellane und Schuhe für gebundene Füsse, die vermutlich aus dem Boxerkrieg stammen. Die entsprechenden Museumskarteikarten verzeichnen lediglich: «Aus der Plünderung von Peking stammend». Vertiefte Fragen nach der Herkunft und der Geschichte der Objekte werden erst heute gestellt, auch Fragen wie damit umzugehen ist. Ein Forschungsprojekt soll hier mehr Klarheit schaffen.

Querrolle mit Ahnenporträts, China, um 1900. Wie sie ins Museum kam, ist unbekannt.

Die Ausstellung Maskenspiel? zeigt neu erworbene Masken, Kostüme und Ritualgegenstände aus Sri Lanka. Ursprünglich einbezogen in Heilrituale und rituelle Tänze, waren solche Objekte bis 1947 auch Teil der Zürcher «Völkerschauen», an denen man «Teufelstänzer aus Ceylon» auftreten liess. Diese Tänzerinnen und Tänzer bezeichnete man damals als «Eingeborene». «Wie wäre es, wenn man sie als Zeitgenossen oder Vorfahrinnen begreifen würde?», fragt das Museum.

Die Masken und Kostümbestandteile aus Sri Lanka gehörten einst zur Ritualausstattung von Heil- oder Bannungsritualen, 1980er-1990er-Jahre.

In der Ausstellung Geschäftsidee? wird eine Sammlung mit über 2’200 Alltagsobjekten der Noanamá aus Kolumbien hinterfragt, die der Ethnologe und Geschäftsmann Borys Malkin (1917-2009) zu Sets gebündelt an Museen in Europa und Nordamerika verkaufte. 1969 erwarb auch das Völkerkundemuseum rund 140 Objekte. Die Ausstellung untersucht diese heute als fragwürdig angesehene kommerzielle Sammelpraxis. Durch Besuche vor Ort wird die Beziehung zwischen den Noanamá, dem Sammler sowie dem Museum beleuchtet. Den Nachfahren sind viele der gesammelten Objekte nicht mehr vertraut, doch mit dem Wissen der älteren Bevölkerung kann es wieder zurückgewonnen und die eigene Geschichte belebt werden.

Gegenstände rund um das Kochen aus der Sammlung der Noanamá aus dem Gebiet am Río San Juan in Kolumbien, 1968/1969.

Das Völkerkundemuseum betrachtet die Werkstattreihe als Beitrag zur aktuellen Debatte zu Provenienz und Dekolonisierung. Mit den kritischen Fragen, die die Schau begleiten, wird auch der Name des Museums reflektiert. In der Folge wird er auf den Flyern und auf der Website mit einem Fragezeichen «Völkerkunde?museum» als Einladung zum Nachdenken versehen.

Titelbild: Detail einer bunten mit geometrischen Mustern bestickten Frauenjacke mit Knöpfen und Kaurischneckenhäuschen, hergestellt von einer Beduinenfrau, um 1950. Aus: «Werkstücke? 5 Fragen an Stickereien von Negev-Beduininnen im Blick ihrer Nachkommen».
Fotos: © Völkerkundemuseum UZH Kathrin Leuenberger 2022/23, und rv

«Werkstattreihe – 5 Fragen an die Sammlungen des Völkerkunde?museums» in fünf Ausstellungen im Völkerkundemuseum der Universität Zürich
bis 14.04.2024: «Hochzeitsreise?» und «Geschäftsidee?»
bis 12.5.2024 «Plünderware?»
bis 15.9.2024  «Maskenspiel?» und «Werkstücke?»

 

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