StartseiteMagazinKultur100 Jahre Praesens im Landesmuseum

100 Jahre Praesens im Landesmuseum

1924 hat ein russischstämmiger jüdischer Ingenieur zusammen mit einem waghalsigen Piloten die erste Filmproduktionsfirma mit Sitz in Zürich gegründet. Das Geschäftsmodell und die Besitzer wechselten, das Label Praesens ist geblieben.

Lazar Wechsler (1896-1981) und Walter Mittelholzer sind die Namen, wobei Wechslers Ehefrau Amalie bis zu ihrem Tod als dritte im Bunde beim Aufbau und Betrieb der Filmgesellschaft wirkte, die nun das Hundertjährige feiert. Das erfährt man bei der räumlich kleinen, inhaltlich reichen Ausstellung Close Up im Landesmuseum. Wechsler stammte aus Russland, studierte an der ETH in Zürich, blieb wegen des 1. Weltkriegs in der Schweiz und wurde eingebürgert, bevor die Praesens entstand.

Standbild aus dem Trickfilm «Elfenkleid» von 1930, welches für die Zauberseife LUX wirbt.

Zunächst wurde die kommerzielle Reklame vom Zeitungsinserat und der Litfasssäule als bewegte Propaganda in die Kinosäle gebracht, dann entwickelte sich die Praesens zu einer Filmproduktionsgesellschaft mit politischem und gesellschaftlichem Engagement, war eine der Stützen der geistigen Landesverteidigung und erregte mit humanistisch geprägten Filmen internationales Interesse bis Hollywood.

Die Filmcrew mit von links Hermann Haller, Leopold Lindtberg, Emil Berna und Franz Vlasak bei Dreharbeiten. Foto: Egon Priesnitz © Cinémathèque suisse

Während des Kalten Kriegs folgte der Rückzug ins Heimatliche mit Blockbusters wie Heidi. Mit der wachsenden Konkurrenz am Markt, auch mit dem Schweizer Fernsehen wurde es schwieriger, erfolgreich zu geschäften. Heute ist die Praesens AG eine Verleihfirma, welche wieder mit Coproduktionen aktiv ist, während ihr Tafelsilber in der Cinémathèque Lausanne liegt.

Museumsdirektorin Denise Tonella begründet die Jubiläumsausstellung damit, dass der Schweizer Film zum audiovisuellen Kulturerbe gehört. Clips aus der Praesens-Produktion tauchen in den Ausstellungen des Schweizerischen Nationalmuseums regelmässig auf.

Vor einem Scheinwerfer und einer Kamera: Aaron Estermann und Rahel Grunder, die beiden Kuratoren. Foto: © R. und E. Bühler

Dem Kuratorenteam Rahel Grunder und Aaron Estermann ist es gelungen, eine spannende Schau in neun Kapiteln zu gestalten, selbst die Papierdokumente sind attraktive Objekte. Beispielsweise die Pässe der Protagonisten Wechsler und Mittelholzer aus den Anfängen, als sie in der halben Welt filmemachend unterwegs waren. Oder das dicke Zensurdossier zur Produktion des Films Die letzte Chance, eigentlich ein Versuch, die Dreharbeiten und damit den Film zu verhindern, was der Behörde glücklicherweise nicht gelang.

Bundesrat Eduard von Steiger wollte die «schlechte Werbung im Ausland» verhindern, denn der Film thematisiert die für Juden geschlossene Schweizer Grenze ab 1942, was nicht zum humanistischen Image der Schweiz im zweiten Weltkrieg passte. Kamerastandorte beispielsweise oder eine vollständige Liste der Darsteller mussten eingereicht werden. Aber der Film wurde nach der Premiere international gefeiert als einer der zehn weltbesten Filme und Regisseur Leopold Lindtberg erhielt 1946 in Cannes den Friedenspreis.

Mit sechs Linolschnitten von Clément Moreau, alias Carl Meffert aus dem Zyklus Nacht über Deutschland, vertiefen die Ausstellungsmacher das unrühmliche Kapitel Kriegsgeschichte. Meffert, der eine zeitlang illegal in der Schweiz lebte, schuf sein 107 Blätter umfassendes Werk im argentinischen Exil. Gestorben ist er in Sirnach.

Die Linolschnitte (links: Die Bürokratie; rechts o.T.) sind Teil des 107teiligen Zyklus «Nacht über Deutschland», der die düstere Geschichte einer Flucht aus Nazideutschland erzählt. © Stiftung Clément Moreau, Zürich

Der davor realisierte Film Marie-Louise, welcher die humanitäre Schweiz mit einer halbdokumentarischen Geschichte über Kriegskinder feierte, die drei Monate zur Erholung in der Schweiz leben durften, war dagegen auch von den Behörden akzeptiert. Fürs Casting reisten die Filmer nach Genf zur Kinderhilfe des Roten Kreuzes, wo sie kriegstraumatisierte Kinder bei der Einreise engagieren konnten. Die Titelrolle spielte die 13jährige Josiane Hegg aus Colmar.

Filmplakat der französischen Verleih-Gesellschaft in Paris. Foto: R. und E. Bühler

1946 gab es erstmals für einen nicht englischsprachigen Film einen Oscar; ausgezeichnet wurde Richard Schweizer für das Drehbuch. Marie-Louise und Die letzte Chance wurden produziert, als sich ein Sieg der Alliierten abzuzeichnen begann.

Der Schweizer Film war schon in den 30er Jahren als wichtiges Medium im Rahmen der geistigen Landesverteidigung erkannt worden. Mit dem Füsilier Wipf oder der Gilberte de Courgenay gelang es der Praesens, gigantische Besucherzahlen in die Kinos zu locken. Heinrich Gretler und Annemarie Blanc wurden die ersten grossen Schweizer Filmstars. Jede dritte Person, nämlich 1,2 Millionen haben sich damals den Füsilier Wipf im Kino angeschaut. Nicht eins der Kostüme von Annemarie Blanc konnte das Kuratorenteam bei dem noch heute existierenden Requisitenladen finden, dafür erinnerte sich einer der Mitarbeiter an ein Requisit: die Pferdekopfmaske, die damals im Film bei einer Soldatenstuben-Aufführung getragen worden war, Beweisfoto aus dem Film hängt gleich darunter.

Sergej M. Eisenstein (rechts), Kameramann Eduard Tissé (Mitte) und Kollegen widmen dieses Foto von Jéchiel Feldstein,  Lausanne 1929, dem «waghalsigsten Autofahrer der Schweiz» Lazar Wechsler. Pewe, Wien. Foto: © R. und E. Bühler

In den 50er Jahren wurde es mühsam. Bundessubventionen gab es keine, Filme mit humanistischen oder pazifistischen Themen zogen nicht mehr, Geld auftreiben wurde schwierig. Aber dank der Heidi-Filme aus der heilen und heilenden Alpenwelt gelang es nochmals, ein grosses Kinopublikum anzusprechen. Der Effekt für den Tourismus dank des internationalen Erfolgs war spürbar, nachhaltig und hoch geschätzt.

Nach dem Tod seiner Frau Amalie 1972 verlor Lazar Wechsler den Mut und suchte Partner, weil sich Misserfolg auf Misserfolg einstellte. Die Brüder Martin und Peter Hellstern stiegen ein, übernahmen die Leitung der Firma und führten sie als Filmverleih seit 2009 auch mit Koproduktionen ins hundertste Jahr.

Ausstellungsansicht: Heinrich Gretler wechselte wie viele andere Schauspieler regelmässig zwischen Bühne und Filmset. Foto: © R. und E. Bühler

Füsilier Wipf, Gilberte de Courgenay und Heidi – diese Praesens-Blockbuster sind noch heute weitherum bekannt, aber dass Lazar Wechsler in den Zwanziger Jahren nicht nur den Werbefilm fürs Schweizer Kino erfunden hatte, sondern sich filmisch aktiv in Abstimmungskampagnen einmischte und sich kontroverser Gesellschaftsthemen annahm, wird dank der Ausstellung nun auch einem breiteren Publikum erschlossen.

Ausstellungsansicht mit Blick auf den Anti-Alkohol-Film und Abstimmungsplakate (das Linke gegen Lohnabbau wurde von Alois Carigiet gestaltet). Foto: © Schweizerisches Nationalmuseum

Da ist beispielsweise der Auftragsfilm gegen den Alkoholismus, in dem statistisches Material über die Schäden durch Alkohol filmisch aufbereitet wurde, oder der halbdokumentrische Film Frauennot – Frauenglück von 1930, ein engagiertes Aufklärungswerk zur Abtreibung, damals ein ebenso brennendes wie tabuisiertes Problem. Dafür holte Wechsler Sergej Eisenstein und seine Crew in die Schweiz, denen es anscheinend gut gefiel. Mancherorts wurde der Film verboten, und im Zürcher Kino Apollo war ein Sanitätszimmer eingerichtet worden: Männer seien öfters in Ohnmacht gefallen.

Die Ausstellung, welche Menschen vor und hinter der Kamera zeigen will, die Geschichte schrieben, findet in Partnerschaft mit der Cinémathèque suisse statt.

Titelbild: Die Superstars der Praesens-Filmgesellschaft Anne-Marie Blanc und Heinrich Gretler im Kriminalfilm Wachtmeister Studer (1939) © Cinémathèque suisse

Zum Jubiläum der Praesens ist erschienen: Benedikt Eppenberger: Heidi, Hellebarden & Hollywood erschienen. Erhältlich für 49 Franken im Museumsshop. ISBN 978-3-907396-37-7

Bis 24. April
Hier finden Sie Infos für den Besuch von Close-up im Landesmuseum
Hören Sie die Audiogeschichte zur Praesens-Ausstellung
Hier geht es zur Homepage der Praesens
Hier sehen Sie die Linolschnitt-Serie von Clément Moreau
Und die Cinémathèque suisse gibt es hier.

 

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