Die junge, musikalisch hochbegabte Magd Elsie träumt von einer Karriere als Musikerin,
muss in der Villa eines Textilfabrikanten den Boden schruppen. Der Direktor könnte sie fördern. Doch als sie von ihm schwanger ist, wird sie eilig mit dem Rossknecht Jakob zwangsverheiratet und auf eine ärmliche Pacht abgeschoben. Dieser hat nur einen Traum, er will ein eigenes Ross und Fuhrmann werden; sie fügt sich vermeintlich ihrem Schicksal und lebt mit Jakob, bis der junge Jenische Ricco auftaucht, der mit seiner Musik Elsies Traum nährt, Liebe weckt, die tragisch endet. Elsie und Jakob müssen beim Kampf um ihre gemeinsame Selbstbestimmung erkennen, dass sie nur eine Zukunft haben, wenn sie zusammenspannen, samt Musik als Teil ihres Lebens.

Jakobs Ross.1. Elsie musiziert am Ball Herrenhaus.jpgIn den ersten zehn Minuten

Die Regisseurin Katalin Gödrös …

Die gebürtige Zürcherin und Wahl-Berlinerin Katalin Gödrös kommt nach ihren Spielfilmen
«Mutanten» und «Songs of Love and Hate», 7 Episoden des «Bestatters» und weiteren
TV-Filmen wieder ins Schweizer Kino. Neben ihrer Arbeit als Regisseurin ist sie an der
Deutschen Film- und Fernsehakademie, der Zürcher Hochschule der Künste, der
Drehbuchwerkstatt München und der Filmschule Köln tätig.

Jakobs Ross.5. Jakob mit Pferd.jpgJakob liebt Pferde

… und ihr Statement zu «Jakobs Ross»

In diesem Film begleiten wir Elsie und Jakob, zwei junge Menschen, die gegen alle
Widrigkeiten der Zeit und ihres Standes kämpfen und ihre eigenen Lebensträume haben. Die Auseinandersetzungen in ihrer Zwangsehe um das Recht auf Selbstbestimmung sind
vergleichbar mit den Konflikten in modernen Beziehungen. Während Jakob sich von seinem
Schicksal als Knecht befreien möchte und um gesellschaftliche Anerkennung kämpft, träumt Elsie von einem unabhängigen Leben als Musikerin. In ihrem Kopf ist sie frei von den gesellschaftlichen Fesseln der Zeit und des Geschlechts, was sie zu einer modernen Frau macht.

Ein Reichtum dieses Films liegt unter anderem in der Darstellung der Arbeit, dem rauen
Leben auf der Pacht, im Kontrast zur Sehnsucht und Hoffnung in der Musik: Hände, die in
der Erde nach Steinen wühlen, Hände beim ersten hilflosen Melkversuch, schwielige Hände,
die durch ein verschwitztes Pferdefell streichen. Der zaghafte Gesang von Elsie im
Herrenhaus und auf der kargen Pacht, der ihre Hoffnung spüren lässt, die sich in der
Begegnung mit dem jenischen Musiker Ricco erfüllt. Der Film strahlt in kräftigen Farben und aus erfahrbarer Nähe zu den Figuren, egal ob sie vom Zauber der Musik, einer zehrenden Sehnsucht oder der körperlichen Arbeit erzählen. Im Zentrum steht die Wahrnehmung von Elsie. In ihren emotionalen Begegnungen mit Jakob, Ricco oder Sophie verschwinden die Grenzen zwischen Aussen und Innen. Als könnte man selbst danach greifen, es riechen und den Herzschlag der Beteiligten hören.

Jakobs Ross.6. Jakob und Elsie tanzen auf Fest.jpgJakob und Elsie beim Dorffest

Eine starke Erzählung voll Lebenskraft

«Jakobs Ross» ist ein Drama erster Güte. Er basiert auf dem gleichnamigen, 2014
erschienenen hochgelobten Debütroman der Zürcher Schriftstellerin Silvia Tschui. Katalin
Gödrös nimmt uns im Film mit ins 19. Jahrhundert, wo die einfachen Mädchen Mägde und
die armen Buben Knechte waren. Die junge Elsie (Luna Wedler) schruppt im Haus des
Direktors auf den Knien die Holzböden und kann nicht anders als dabei zu singen, was
verboten wird. Bis Sophie, die Fabrikantentochter, musikalisch gebildet und eine gute
Geigerin, das Potenzial von Elsie erkennt und für sie ein Stipendium erwirken will. Doch bald geht sie wieder Richtung Süden, Elsie bleibt zurück. Von einem Stipendium ist keine Rede mehr. Denn sie wurde, als der Hausherr sie mehrmals vergewaltigte, schwanger und musste möglichst schnell mit seinem Knecht Jakob (Valentin Postlmayr) zwangsverheiratet werden. Dieser ist ein anständiger Kerl, der von nichts anderem als von einem eigenen Ross und einer Kutsche träumt.

Zusammen verlässt das Paar mit einer Kuh das Anwesen in Richtung Alpen, wo sie in einem
zerfallenen Rustico hausen und mit nichts ein neues Leben aufzubauen versuchen. Nur das
Singen hat Elsie mitgenommen, singt überall, auch in der Kirche, was für Ärger sorgt. In ihrer Not als unfreiwillig Schwangere hilft ihr eine Frau, mit Hausmittelchen abzutreiben, was Jakob wiederum wütend macht, weil er mit dem Kind den Direktor hätte erpressen wollen. Etwas später kommen Fahrende ins Dorf, darunter der junge Ricco (Max Hubacher), der Handörgeli spielt. Elsie begleitet ihn singend. Sie werden Freunde und bald Liebende, was für neue Dynamik sorgt. Eigentlich möchte sie mit der Truppe mitziehen, in die weite Welt hinaus, weg von ihrem armseligen Leben. Doch einige Bauern bekommen Wind von der Freundschaft mit dem Fahrenden und gehen brutal auf ihn los.

«Jakobs Ross» ist ein starker, zuweilen heftiger Film, versehen mit allen Ingredienzen, die es für dieses Drama braucht. Katalin Gödrös und ihr Kameramann Sebastian Edschmid
zeichnet die Figuren glaubwürdig und einfühlsam. Das grosse Potenzial der Protagonistin ist
immer und überall zu sehen: Die 24-jährige Luna Wedler («Amateur Teens», «Blue My
Mind», «Je suis Karl») kann nicht nur wunderbar singen, sie beherrscht auch die Mimik, die
für diesen eher wortkargen Film nötig ist. Mit ihr als Elsie und Max Hubacher als Ricco ist der Film mit zwei Schweizer Stars besetzt, während der Österreicher Valentin Postlmayr als
Jakob verblüfft, wie er für seine Rolle eigens das altertümliche Schweizerdeutsch gelernt hat.

Jakobs Ross.8.Rico und Elsie bei Brücke.jpgElsie und Ricco beim ersten Treffen

Musik, die ins Herzen trifft

Elsie wünscht sich nichts sehnlicher als ein Leben mit Musik, will singen und Handorgel
spielen. Doch dieser Wunsch steht im Kontrast zu ihrem Leben als Magd im Herrschaftshaus und als Bäuerin auf der ärmlichen Pacht. In einer Umgebung, in der kaum gesprochen wird, wo es nicht üblich ist, seine Gefühle in Worten auszudrücken, ist ihre Stimme ein Wunder, die berührt, dem Innern hörbaren Ausdruck leiht. Ihre Musik wurzelt in der Volksmusik, einer archaischen Urstimme, die durch Natürlichkeit und Rohheit berührt. Eindrücklich ist auch die Tanzmusik, mit der die Jenischen im Dorf auftreten; vor allem Riccos Musik wirkt auf Elsie anziehend, inspirierend und heilend.

«Jakobs Ross» entführt durch seinen Reichtum: archaisch und modern zugleich, ein intimes Kammerspiel und kritisches Historiengemälde, eingebettet in eindrucksvollen Landschaften. Die Konflikte zwischen den Eheleuten und ihre Kämpfe um die Selbstverwirklichung, waren ein Thema, und sind es noch heute.

Dieser Film hat die Kraft, das Private und Intime der Beziehungen liebevoll und realistisch und gleichzeitig das Allgemeingültige in der Gesellschaft und Politik zu beschreiben und uns wie in einem Spiegel hinzuhalten. Mit diesem doppelten Wert fasziniert Katalin Gödrös’ neuestes Werk still und unaufdringlich, drängend und nachhaltig.

Regie: Katalin Gödrös, Produktion: 2023, Länge: 103 min, Verleih: Ascot-Elite