StartseiteMagazinKulturLust und Laster, Leid und Tod

Lust und Laster, Leid und Tod

Sprichwörtlich bei Adam und Eva beginnt die grosse Frühlingsausstellung über den «Körper im Mittelalter» im Landesmuseum: Von der Geburt bis zum Tod ist der Leib der Menschen «begehrt, umsorgt, gemartert.»

Als Malerei aus Lucas Cranachs Werkstatt empfangen uns Adam und Eva zwischen grünen Vorhängen nach dem Prolog. Mit einer Grafik über Körpergrösse und Lebensalter vor bald tausend Jahren sowie mit Hieronymus Boschs Heuwagen beginnt die Zeitreise. Das erste biblische Paar war noch bis ins 15. Jahrhundert eine Gelegenheit, nackte Körper abzubilden. Und erst noch wurden sie jung, schlank und schön dargestellt.

Ideal und geschlechtslos ist der «Kosmosmensch» im Stundenbuch des Duc de Berry. Vor dem bedruckten Schleier beim grossen Aufgang führt Kuratorin Christine Keller in die Ausstellung ein.

Wie nah die Menschen im Mittelalter uns heute in Bezug auf den Körperkult sind, könnte die Zentralaussage der Ausstellung sein: Immer mehr junge Frauen und Männer finden es normal oder gar notwendig, ihre Schönheit mithilfe der Kosmetikindustrie und der Chirurgie zu optimieren. Das lesen wir regelmässig in einschlägigen Medien. Den einen geht es um Fitness, den anderen um Schönheit.

Ringen und Schwingen ist offensichtlich eine sehr alte Sportart. Solothurner Fechtbuch. Zentralbibliothek Solothurn © Schweizerisches Nationalmuseum

Dieser Wunsch war auch im Mittelalter omnipräsent bei all denen, die nicht mit Schwerarbeit sämtliche Energie fürs nackte Überleben brauchten. Wer reich und adelig war, konnte seinen Körper pflegen, gesund leben und notfalls medizinische Hilfe anfordern, wer nichts hatte, musste hart arbeiten, wurde krank, litt Hunger, machte Unfall.

Blick auf das Gemälde von Lucas Cranach in der Sektion «Nackt». © Schweizerisches Nationalmuseum

In diesem Spannungsfeld bewegt sich die Ausstellung, wobei die Reichen und Schönen mehr Raum einnehmen – es gibt ja auch mehr Zeugnisse. Der Rundgang von Geburt bis Tod, umfasst einen Zeitraum vom 9. bis zum 15. Jahrhundert, also bis zur Erfindung des Buchdrucks und zum Umbruch der Reformation: Über allem steht die Kirche. Sie regelt das Leben für reich und arm und verspricht auch den Geschundenen Erlösung im Himmelreich, die den Märtyrern ja gewiss war.

Prägend für das Leben ist der Sündenfall, wie ihn Augustinus und die Kirchenväter im frühen Mittelalter proklamierten. Damit kam der Schmerz ins Leben, damit wurden Frauen als Verführerinnen, Männer als ihnen Verfallene definiert. Die umfassende Körper-Schau fordert Intimität oder Diskretion. Die riesige Ausstellungshalle ist diesmal mit zarten Vorhängen in verschiedenen Farben in sieben Räume geteilt, von den Ausstellungsmachern Sektionen genannt.

Es gab Verordnungen, wie lange die Spitze eines Schnabelschuhs sein dürfe. Bally Schuhmuseum, Schönenwerd. © Schweizerisches Nationalmuseum

Die zweite Sektion ist der Erotik gewidmet. Das Mittelalter war alles andere als ein prüdes Zeitalter. Ein zentrales Werk, Hieronymus Boschs Garten der Lüste wird zwar vom Prado in Madrid nie mehr ausgeliehen, aber dank einer raffinierten Animation auf einem Bildschirm werden uns die erotisch aufgeladenen und zugleich moralisierenden Szenen eine um die andere vorgeführt.

Israhel van Meckenem: Idealisiertes adeliges Paar: blondgelockt, schlank, in erotisierender Haltung und Kleidung. Kupferstich, 15. Jh. ALBERTINA, Wien

Eine Malerei war ein Einzelstück, aber einen Kupferstich konnte man vielfach reproduzieren, so kamen explizit erotische Szenen unter die Leute, die es sich leisten konnten. Verbreitet war auch erotische oder eher zotige Literatur, dank Hörstationen darf man sich daran erfreuen oder sich darüber wundern. Was heute der Bleistiftabsatz der Damen war damals der Schnabelschuh vorwiegend der Herren, eine Fussbekleidung, die erotisch konnotiert war. Zwei wertvolle Schuhe und eine Trippe, ein Holzuntersatz für draussen im Dreck, sowie passende Druckgrafik zeigen, worum es geht.

Israhel van Meckenem: Der Moriskentanz. Der wilde Tanz der Männer um eine Frau, die einen Ring präsentiert, ist eine Parodie auf höfische Tänze. ALBERTINA, Wien

Die Ausstellung hält selbst für jene, die dachten, sie wüssten längst alles, Erstaunliches bereit, zum Beispiel die metallenen Pins, die sich die Menschen damals an die Kleider hefteten: Vulven und Phalli, mit Humor und Fantasie in Szene gesetzt. Oder auch die Schönheitsliteratur, beispielsweise ein ganzes Buch über Haarpflege. Die ideale Frau hatte nämlich langhaarig und blondgelockt zu sein, graues Haar ging schon damals nicht.

Das Haarpflegebuch in der Ausstellung. In roter Schrift heisst es: «Das funfft Capitel sagt wie man dem har helffen sol, dasz es nit graw werd. und wie man das graw har vertreyben mag.»

Und erst noch sollten die Menschen angenehm riechen. Die Bäderkultur war verbreitet, das Bad war allen zugänglich und im Bad waren erst noch alle nackt und gleich – es sei denn, die Edlen hätten einen Schmuck oder eine Kopfbedeckung anbehalten. Das Bad diente einerseits der Körperpflege, andererseits aber auch einem selbst von der Kirche geduldeten Vergnügen.

Hans Bock d.Ä., Bad zu Leuk (?) um 1597, Kunstmuseum Basel

Oft war ein Badehaus gleichzeitig ein Bordell – und schon sind wir wieder hochaktuell. Die Badekultur fand mit der Ausbreitung der Syphilis und der Reformation ein Ende. Parfümieren statt Körperwäsche kam viel später in Mode.

Drei Aquamanile und ein Waschbecken. Damit wurden zunächst bei der Eucharistie, vom 13. Jahrhundert an regelmässig auch beim Tafeln die Hände gewaschen.

Eine Sektion ist der Medizin gewidmet. Die engen Verhältnisse in den Städten des späten Mittelalters begünstigten Krankheiten, beispielsweise die Pest und die Lepra. Die Gesellschaft grenzte zwar aus, sorgte mit Spitälern meist in Klöstern jedoch dafür, dass die Kranken versorgt waren. Für die Bessergestellten gab es ausgebildete Ärzte, deren Fachwissen auf der weit fortgeschrittenen arabischen Wissenschaft beruhte. Im Mittelalter wurde diese Fachliteratur übersetzt.

Leid und Schmerz wurden nicht ausgegrenzt, im Gegenteil: Omnipräsent ist der fast nackte Mann am Kreuz und im 13. Jahrhundert nimmt der Märtyrerkult zu. Deutlich wird, dass der Gekreuzigte und die Heiligen im Martyrium dem Körperideal der Zeit – schlank, helle Haut, schöne Gesichtszüge, makellos selbst mit Folterspuren – entsprechen, die oft gut gekleideten Schergen dagegen sind hässlich-brutal dargestellt.

Ausschnitt aus der Bildergeschichte von den Zürcher Stadtheiligen, Malerei um 1490. Keresztény Múzeum Esztergom

Für Zürich ein besonderes Exponat ist der siebenteilige Bilderzyklus über Leben und Sterben der drei Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius. Über diese Leihgabe aus Ungarn freut sich Kuratorin Christine Keller speziell. Natürlich gab es auch damals Fakes, die Menschen glaubten an unglaubliche Wesen, teilweise aus Tier und Mensch bestehend. Real waren dagegen Missbildungen wie beispielsweise siamesische Zwillinge.

Am Ende holt der Tod nicht nur die Heiligen, sondern alle, ohne Ansehen der Person. Tote Körper wurden nicht ausgesondert und versteckt. In der Ausstellung steht eine Replik des Grabmals von Franz von La Sarraz (VD), gestorben 1363, der in halbverwestem Zustand dargestellt wird: Schlangen und Kröten haben seinen Leib besiedelt, auf seinem Kopfkissen jedoch liegen zwei Pilgermuscheln, Zeichen der Pilgerfahrt auf dem Jakobsweg.

Malerei zum Thema Auferstehung und Hostie

Nach dem Tod würde jeder Mensch auferstehen – der Körper im besten Alter, nämlich um die dreissig, also in dem Alter, als Christus zu Tode kam. Dann wäre noch die Frage offen, ob es ins Paradies, in den Warteraum Fegefeuer oder gleich in die Hölle geht – je nach Sündenregister. Auferstanden ist der Leib Christi in Form der Hostie, verehrt wurden auch die sterblichen Überreste der Heiligen als Reliquien. Das Museum präsentiert in einer grossen Vitrine mehrere Reliquiare aus dem 13. bis 15. Jahrhundert.

Mit Adam und Eva und dem Sündenfall hat es begonnen, im Goldenen Zeitalter – ebenfalls von Lucas Cranach – endet die Reise durch Lust und Leid der Körper im Mittelalter. Hier gibt es nur kontemplatives und gutes Leben im Einklang mit der Natur, der Sündenfall bleibt draussen vor der dicken Mauer, die diesen Garten der Harmonie umschliesst.

Nachbemerkung: die Exponate sind faszinierend, einerseits die Animationen, die einen einladen, genauer hinzusehen, was bei den Wimmelbildern von Hieronymus Bosch unabdingbar ist, andererseits die Handschriften, viele in deutscher Sprache, und schliesslich die Erkenntnis, dass der Mensch im Mittelalter uns keineswegs fremd ist.

Titelbild: Zwei Skelette aus Holz, vermutlich Totentanz-Figuren. 15. Jh. © Schweizerisches Nationalmuseum
Fotos: Schweizerisches Nationalmuseum und E. Caflisch

Bis 14. Juli
Hier finden Sie weitere Informationen zur Ausstellung.
Begleitpublikation «begehrt, umsorgt, gemartert. Körper im Mittelalter», hg. vom Schweizerischen Nationalmuseum im Verlag Scheidegger & Spiess ist reich bebildert und enthält acht Essays zu den einzelnen Themen. ISBN 978-3-03942-187-9

 

 

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