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Viel Glück wünscht Wien…

…der Schweiz auf dem Weg nach Europa. Alexander Van der Bellen (80), der Bundespräsident Österreichs, war am 20. März 2024 hier, in der Aula der Zürcher Universität. Und mit dem ersten Gedanken in seiner bedächtig vorgetragenen Rede erinnerte er an einen gewichtigen Vorgänger, der vom gleichen Redenpult aus nicht nur zum vollbesetzten Auditorium, sondern historisch betrachtet zu ganz Europa, gar zur Welt sprach: Winston Curchill (1875-1965), der britische Kriegspremier, der am 19. September 1946 vor beinahe 78 Jahre prophetisch verkündete: «Wir müssen eine Art Vereinigte Staaten von Europa errichten. …Ich sage Ihnen jetzt etwas, das Sie erstaunen wird. Der erste Schritt zu einer Neuschöpfung der europäischen Völkerfamilie muss eine Partnerschaft zwischen Frankreich und Deutschland sein. Nur so kann Frankreich seine moralische und kulturelle Führerrolle in Europa wiedererlangen.“

Wie tönt das jetzt in unseren Ohren: Nachdem Grossbritannien aus der EU ausgestiegen ist, der französische Staatspräsident Emmanuel Macron und der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gerade jetzt, wo Putin nach Europa greift, nicht eng zueinander finden, wo es jetzt so dringend notwendig, ein geeintes Europa so wichtig wäre? Wo wir uns in der Schweiz so abmühen, ein normales, ein wirtschaftlich notwendiges Verhältnis zu Europa zu finden. Und schaue ich in der Aula nach links, so steht da tatsächlich auf einer eindrücklichen Tafel, was sich am 19. September 1946 hier abspielte, als Winston Churchill seine historische Zürcher Rede hielt,  zur Ikone der Europabewegung wurde.

Der elegante ältere Herr aus Wien entfachte kein rhetorisches Feuerwerk. Er zitierte beherzt, gewürzt mit wienerischem Charme und Witz, aus seinen Unterlagen, legte dar, dass ihm Europa deshalb so sehr am Herzen liege, weil er ein Kind dieses weiten Europas sei. Als Sohn einer Estin und eines Russen mit niederländischen Wurzeln, aus der estnischen Hauptstadt Tallin stammend, habe seine Familie auf der Flucht vor der Roten Armee zunächst in Wien, dann im Tiroler Kaunertal Aufnahme und Heimat gefunden. So sei er Tiroler als auch Weltbürger, heute vor allem ein überzeugter Europäer. Van der Bellens Vita ist beeindruckend: Finanzexperte, Ordinarius an der Universität Wien, Dekan, Einstieg in die Politik. Grüner Nationalrat. 2017 Wahl zum Bundespräsidenten mit Nebengeräuschen; die Wahl musste wiederholt werden. Am 26. Jänner 2023 erfolgte die Bestätigung der eindrücklichen Wiederwahl für weitere 6 Jahre. Und weil ihm – vor allem in den Medien, aber auch in der Öffentlichkeit – eine etwas zu passive Rolle im Amt unterstellt wurde, gewann er zunehmend an Profil. So mischt er sich seither weit stärker in die österreichische Innenpolitik ein. Erinnert sei an seine Rolle beim Sturz des jüngsten Bundeskanzlers seines Landes, Sebastian Kurz, und an die Querelen um die rechtaussen angesiedelte Freiheitliche Partei Österreichs FPÖ, die aktuell die höchsten Umfragewerte aufweist.

Er hielt auch nicht an Kritik an der Europäischen Union EU zurück. Im Gegenteil. Für ihn sind die Institutionen völlig ungenügend durchdacht, noch weit entfernt vor einer soliden demokratischen Ausrichtung. Neben der Kommission unter Ursula von der Leyen, an sich die EU-Regierung, gebe es das Gremium der Staatschefs. Und wer regiere nun wirklich? Immer wieder setzten sich die Staatschefinnen und Staatschefs durch, eben die jeweils nationalen Interessen. Auch das europäische Parlament habe noch nicht die notwendigen Kompetenzen erhalten, um seine demokratischen Funktionen als staatliches Kontrollorgan über die Kommission, über den Ministerrat, die europäische Völkergemeinschaft insgesamt wahrnehmen zu können. Van der Bellen stellte die Frage: «Wie wäre es in der Schweiz, wenn es neben dem Bundesrat auch noch eine Regierung der 26 Kantone gäbe?» Nicht zu verwechseln mit dem Ständerrat, der ja Teil des föderativ aufgebauten Parlaments sei. Van der Bellen ist zuversichtlich und realistisch zugleich: In 20 bis 30 Jahren würden die Institutionen in Brüssel so aufgestellt sein, dass die EU demokratisch funktionieren würde. Denn die EU, das ist seine feste Überzeugung, braucht es, mehr denn je. Nur die Staatengemeinschaft EU sei in der Lage, die grossen aktuellen und zukünftigen Fragen zu lösen, in der Klima-, der Energie-, der Verkehrs-, der Gesundheits-, der Sozial- und nicht zuletzt auch in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die Nationalstaaten allein seien dazu nicht mehr in der Lage. Und der Schweiz wünschte er eines: Viel Glück in den anstehenden Verhandlungen mit der EU. Wobei er keine Zweifel offenliess: «Die Schweiz gehört zu Europa.»

Bei der Frage aus dem Publikum, ob er um die Weiterentwicklung Europas wegen der Rechtstendenzen in Europa, speziell in Italien, in Frankreich, im Osten Deutschlands, aber auch in Österreich nicht Bedenken habe? Da liess er dann doch einige Zweifel aufkommen, als er kurz nachdachte und meinte: «Ja, wir haben jetzt mit der EU ein Europa, aber haben wir auch genügend Europäerinnen und Europäer?»

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1 Kommentar

  1. Weshalb sich die Schweiz nach wie vor konstant weigert, Europa beizutreten, beantworte ich jeweils mit der Gegenfrage: „Wann tritt Europa endlich der Schweiz bei?!“

    Zugegeben, das „Europa von Brüssel“ ist sich der Demokratiedefizite bewusst und unternimmt immer wieder Anläufe, diesen entgegen zu wirken. Allerdings liegen dem Zweierlei im Wege: der in europäischen Kreisen unübliche Föderalismus und knapp zwei spannende Jahrhunderte. Föderalismus, in Dosen verabreicht, gestattete zum einen Teil eigenständig zu bleiben und gleichzeitig sich mehr oder weniger freiwillig in einen Verband einzufügen, der persönliche und Rechtssicherheit nach innen wie nach aussen gewährleistet. Dass dies nicht im Zeitraum einer Generation geschehen musste, war eine Chance, die die meisten Staaten nie hatten. Das Abseitsstehen hatte sich in dieser Hinsicht gelohnt.
    Heute spielt der Wirtschaftskanton Zürich eine ähnliche Rolle, wie Deutschland in Europa, die Ost- und die Nordwestschweiz spiegeln sich in den europäischen Staaten nördlich der Alpen und auch wir haben unsere compatriots vom alemannischen Elsass bis zu den um einiges lässigeren nicht zwingend nachlässigeren Miteidgenossen. Unser Luxembourg heisst Kanton Zug. Wir haben unsere unterschiedlichen Steuergesetze und den weitgehend sanktionierten Steuerausgleich zwischen den Kantonen, alles im Rahmen der gerade noch tolerierbaren und deshalb verbindenden Ungerechtigkeit. Getreu dem Motto: Alle sollen nach ihrem Können beitragen und jene die dies partout nicht wollen, lässt man auch in Ruhe.
    Allerdings liegt auch ein kultureller Unterschied vor: In der liberalen Schweiz versucht die Politik der Wirtschaft auf den Fersen zu bleiben. Im Gegensatz, in manchen europäischen Staaten sagt die Politik der Wirtschaft, was Sache ist. Das gipfelt manchmal darin, dass der Wirtschafts- dem Innenminister ins Gehege kommt, weil der eine dem eben geadelten Bäckermeister „Meilleure Baguette de France“ hilft, Arbeitsstellen zu sichern und der andere aus formalistischen Gründen für denselben Meister unbedingt den freien Sonntag fordert.
    Dabei wäre gerade jetzt doch der Zeitpunkt günstig: Die „Eurozone“ könnte dem Schweizer Franken beitreten, schliesslich liegt die Wechselkursdifferenz gerademal um 2,3 Cents, respektive Centimes oder Rappen auseinander. Aber stelle man sich mal vor, die Windeln ennet dem Rhein würden plötzlich gleichviel Kosten wie im Coop in Sarnen. Schlicht unvorstellbar. Nun, nicht immer die erste Idee sei die Beste!
    Aus diesen und vielen anderen Gründen wird Europa wohl nicht so bald der föderalistischen Schweiz beitreten. Obgleich ein sehr in die Jahre gekommener Uraltpräsident Frankreichs mit denselben Überlegungen spielt, allerdings unter peinlichstem Einhalten der weitmöglichsten Distanz vom bereits erfundenen Modell. Dass die Grande Nation ausgerechnet dem Kleinstaat nicht beizutreten mag, der ihm über einen dermassen langen Zeitraum so viel Ungemach bereitete, kann ich begreifen. Und aus ähnlichen Gründen käme dies wohl den wenigsten Staaten des uneinigen Europas in den Sinn. Aber das alles ist nicht von Belang; vermutlich würden ohnehin wieder 52% der Schweizer gegen den Beitritt stimmen. Das ist zwar nicht besonders gescheit, dafür echt schweizerisch.

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