StartseiteMagazinKultur1300 Jahre Klosterinsel Reichenau

1300 Jahre Klosterinsel Reichenau

Die mittelalterlichen Handschriften, die von Mönchen im Skriptorium des Reichenauer Benediktinerklosters geschaffen worden sind, zählen zu den wertvollsten Originalhandschriften der Welt. Dieses „Welterbe des Mittelalters: 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ wird im Archäologischen Landesmuseum Konstanz präsentiert.

Im gedimmten Licht der Schauräume kommen die Handschriften mit ihren Buchmalereien vollkommen zur Geltung. Diese Zusammenstellung von aussergewöhnlichen Exponaten bekommt man in dieser Fülle kaum einmal zu sehen. Die Ausstellung stellt neben den Handschriften auch die religiöse und politische Vernetzung des Klosters Reichenau mit den Mächtigen und mit andern Klöstern in den Vordergrund. Gezeigt werden UNESCO-Weltdokumente aus vielen Ländern, eines davon ist der Codex Egberti. Dieses Werk der ottonischen Buchmalerei wurde vor der Jahrtausendwende erstellt.

Die zwei Reichenauer Mönche Kerald und Heribert überreichen dem Erzbischof Egbert von Trier das fertiggestellte Auftragswerk. Codex Egberti (Widmungssbild). UNESCO-Weltdokumentenerbe © Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier, Foto: A.D. Runkel

Die herausragende Bedeutung des Skriptoriums (Schreibstube) zeigt sich nicht nur im künstlerischen Können der Reichenauer Malermönche, sondern auch in der europaweiten Bedeutung des Benediktinerklosters in einer Welt lange vor der Erfindung des Buchdrucks. Das Kloster produzierte regelmässig Auftragswerke – eine wichtige Einnahmequelle. Die Bedeutung dieses Hotspots der damaligen Zeit zeigt sich darin, dass man in den Klosterschulen die Elite der Verwaltung für die königlichen und kaiserlichen Höfe der damaligen Zeit ausbildete.

Reichenauer Schulheft mit dem altirischen Gedicht über Pangur Bán, den weißen Kater. Frühes 9. Jh. © St. Paul im Lavanttal, Foto: Gerfried Sitar

Reichenau war im 10. und 11. Jahrhundert eines der innovativsten kulturellen und politischen Zentren des Reiches. Bis ins 15. Jahrhundert galt das Kloster als einer der grössten europäischen Wissensspeicher und Impulsgeber. 

Doch wieder zurück zur Ausstellung in Konstanz. Die Mönche verstanden sich bestens auf den Umgang mit Pergament, Tinte und Siegel. Die Bereitstellung einer Pergamentseite war zuerst einmal strenge Handarbeit (Tierhäute wurden enthaart geglättet und zum Beschreiben hergerichtet), dann erst kam die Schreib- und Malkunst.

Elfenbeintafel als Buchdeckel mit der Himmelfahrt Christi, Lothringen oder Lüttich, vermutlich 11. Jahrhundert. © Rheinisches Bildarchiv, Foto: Museum Schnütgen, Köln

Verträge, Privilegien oder Beglaubigungen gehörten zum Angebot; also nicht nur Evangeliare oder andere religiöse Werke für den Eigenbedarf. Bekannt sind auch offensichtliche Fälschungen. Reichenauer Mönche versorgten eine ganze Reihe von Klöstern, Kaisern oder Königen mit Dokumenten, die im Sinn der jeweiligen Auftraggeber korrigiert waren. Es gab im Hochmittelalter eigentliche Fälscherwerkstätten. Auch die Urkunde, die bestätigt, dass das Kloster im Jahre 724 gegründet wurde, soll eine Fälschung sein, ist aber aufgrund von anderen Quellen durchaus plausibel.

Der heilige Pirmin, Gründer des Klosters Reichenau. Skulptur um 1500, Pfäfers, Katholische Kirchengemeinde

Woher er kam, der Heilige Pirmin, weiss niemand genau. Wahrscheinlich aus Irland, wie damals viele Mönche, unter ihnen im Jahre 612 auch Kolumban und Gallus. Irland war nie romanisiert worden und hatte in vielen Bereichen seine keltische Kultur behalten und weiter entwickelt. Zusammen mit ein paar Mönchen zog Pirmin quer durch Europa und verkündigte den christlichen Glauben. Anfang des 8. Jahrhunderts soll er an den Bodensee gekommen sein. Die Gegend scheint ihm gefallen zu haben. Man kann sich vorstellen, wie die kleine Schar von Mönchen von einer Anhöhe aus auf den Untersee blickte, auf eine kleine Insel: die Reichenau. Pirmin bat den Landvogt, zu dessen Besitz sie gehörte, ihm das Stück Land zu überlassen, damit er dort ein Kloster gründen könne. So erzählt es die Legende.

Goldbeschlagener Buchkasten für ein Evangeliar aus dem ehemaligen Frauenkloster Säckingen um 1320/1330. Bad Säckingen, Katholische Kirchengemeinde

Archäologische Grabungen haben gezeigt, dass die Insel Reichenau schon vor dem 8.Jahrhundert besiedelt war. Mit der Gründung des Klosters begann ein unerhörter Aufschwung. Zwar am östlichen Ende des Frankenreichs, wurde die Insel zu einem der bedeutendsten Orte der mittelalterlichen europäischen Geschichte. Wenige Jahrzehnte nach dem Bau des Klosters entstanden weitere Kirchen. Zuerst St. Peter und Paul im Nordwesten der Insel. Im 9.Jahrhundert die Kirche St. Georg, deren karolingische Fresken noch heute erhalten sind.

Gero-Codex: Majestas Domini, Kloster Reichenau, vor 969. UNESCO-Weltdokumentenerbe. © Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt, Foto: Arne Kienzl

Buchherstellung war ein einträgliches Geschäft. Die Schreibwerkstatt war so berühmt wie die Klosterschule. Das zog die besten Köpfe an. Walahfrid Strabo, der im 9. Jahrhundert als Novize auf die Reichenau kam, später Mönch und Abt des Klosters wurde, war einer der bedeutendsten Dichter des Mittelalters. Im 11. Jahrhundert machte der Universalgelehrte Hermann der Lahme auf der Reichenau das auf Arabisch überlieferte Wissen über Mathematik und Astronomie für den Westen zugänglich, verfasste historische Werke und vertonte Marienhymnen.

Weil die Fürbitte für das Seelenheil von so entscheidender Bedeutung war, führte man Bücher, in denen alle Lebenden und Verstorbenen verzeichnet waren, für die im Kloster gebetet wurde. Das waren die Mitglieder der karolingischen Herrscherfamilie und vor allem Mönche aus anderen Klöstern, die ihrerseits wiederum die Reichenauer Mönche in ihr Gebet einschlossen.

Miniatur „Papst Gregor der Große diktiert seine Briefe“ Gregormeister, Trier, 983/84 Wissenschaftliche Bibliothek der Stadt Trier

Es gibt auch Bilder mit Legenden zum Schmunzeln, wie die Darstellung des Papstes Gregor des Grossen als Autor. Der Kirchenvater ist während des Diktats verstummt und lauscht versunken auf göttliche Worte, die ihm die Taube des Heiligen Geistes ins Ohr flüstert. Links sieht man den Schreiber mit Griffel und Schreibtafel. Er bohrt ein Loch in den Vorhang, um den Grund des päpstlichen Schweigens herauszufinden.

Der Austausch zwischen den Klöstern war vielfältig. Beziehungen bestanden auch über die Alpen. Besuch aus dem Trentino: Büsten-Reliquiar des Heiligen Bischofs Zeno von Verona aus dem Marienmünster in Radolfzell

Die ganzseitigen Bilder strahlen heute noch wie vor mehr als 1000 Jahren. Hier eine Majestas Domini-Darstellung (lat. für „Herrlichkeit des Herrn“ ) – ein besonders im Mittelalter beliebtes Bildschema, bei dem Jesus Christus auf seinem Thron, oft auch in einer Mandorla und umgeben von den vier Symbolen der Evangelisten dargestellt wird.

Innenansicht von St. Georg Reichenau-Oberzell, 9. Jahrhundert. © Tourist-Information Reichenau, Foto: Theo Kelle

Das Badische Landesmuseum hat im Archäologischen Landesmuseum Konstanz und auf der Reichenau, dem Standort des Klosters je eine Ausstellungen kuratiert. Sie geben Einblick in die mittelalterliche Welt. Das Kloster Reichenau war – neben St. Gallen – ein wichtiger Impulsgeber für Kunst, Kultur und Politik.

bis 20. Oktober

Titelbild: Abbildung der Ecclesia aus dem Petershausener Sakramentar um 980, Universitätsbibliothek Heidelberg
Fotos: Justin Koller

Die Große Landesausstellung „Welterbe des Mittelalters: 1300 Jahre Klosterinsel Reichenau“ ist bis zum 20. Oktober 2024 im Archäologischen Landesmuseum Konstanz und auf der Klosterinsel Reichenau zu sehen.

 

 

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